Die gewaltsame Ablösung von säkularen Diktatoren durch Islamisten hat die Situation in Nahost noch verschlimmert  

Von Amotz Asa-El (Audiatur)

Sieben düstere Jahre sind vergangen, seitdem der Straßenverkäufer Mohamed Bouazizi sich in der Altstadt von Tunis selbst in Brand setzte und damit unbeabsichtigt eine Kettenreaktion aus Straßendemonstrationen, politischen Niedergängen, religiösen Konflikten und Bürgerkriegen auslöste, die schon bald die arabische Welt, den Mittelmeerraum, Europa und die gesamte internationale Ordnung aus dem Gleichgewicht brachte.

Bouazizis Wut, Demütigung und Verzweiflung wurden ausgelöst durch die Aufforderung einer weiblichen Polizeibeamtin, seinen mobilen Verkaufsstand von einem Standort zu entfernen, für welchen er keine Lizenz hatte. Ihr Umgang mit ihm war grob und sie bot ihm auch keinen alternativen Standort an, wo er seinen Unterhalt verdienen konnte.

Dieser Vorfall verkörperte einen Mikrokosmos aus allen gesellschaftlichen Missständen der arabischen Welt, in der Millionen ungebildete und unterbeschäftigte Menschen so von der gefühllosen Elite behandelt werden, für die die soziale Mobilität der Massen eine existenzielle Bedrohung darstellt.

Bouazizi starb zwei Wochen, nachdem er sich am 17. Dezember 2010 selbst angezündet hatte. Ihm folgten schon bald Dutzende andere hoffnungslose Araber von Algerien über Ägypten bis nach Saudi-Arabien, die Aufstände auslösten, die sich schon bald von Nordafrika nach Jemen und Bahrain ausweiteten.

Der massive Ausbruch der „Macht des Volkes“ gipfelte in Kundgebungen in der Altstadt von Kairo, an denen Millionen Menschen teilnahmen. Die Situation in Ägypten forderte eine Reaktion des strategischen Förderers des Landes ein – den USA. Die Reaktion kam schnell und zerstörerisch.

Der weltfremde Vergleich mit Osteuropa
Oberflächlich, leicht zu beeinflussen und überstürzt – so entschied Präsident Barack Obama, dass es sich bei dem, was er im Fernsehen sah, um die gleiche Macht des Volkes handelte, die zuvor einen Großteil Osteuropas demokratisiert hatte.

Leise Warnungen Israels, dass hinter den progressiven Demonstranten in Kairo Islamisten lauerten, um die Revolution an sich zu reißen, stießen auf taube Ohren. „Der Wandel muss jetzt beginnen“, sagte Obama Mubarak während eines schicksalhaften Telefongesprächs, bei dem er den sofortigen Rücktritt Mubaraks forderte.

Man muss Obama fairerweise zugestehen, dass viele Menschen in den USA und in Europa ebenfalls den Eindruck hatten, dass die Massendemonstrationen in Kairo und anderen arabischen Hauptstädten das zusammenfassten, was sie als „arabischen Frühling“ bezeichneten. Dies sollte sich als große Fehleinschätzung erweisen.

Dem säkularen Diktator folgt ein Islamist
Die Nachfolge von Mubarak in Ägypten trat der Islamist Mohammed Mursi an, der sich schnell daran machte, die Verfassung zu ändern, um das Parlament zu entmachten und die Judikative zu überwältigen. Gleichzeitig ignorierte er die Wirtschaft und brachte sie damit beinahe zum Zusammenbruch. Außerdem versagte er darin, die christliche Minderheit Ägyptens, der ungefähr ein Zehntel der Bevölkerung angehören, vor islamistischer Gewalt zu schützen.

Dies alles resultierte in einem Staatsstreich, angeführt durch den derzeitigen Präsidenten Abdel Fatah el Sisi und unterstützt durch die Massendemonstrationen.

Obwohl sich Ägypten weiterhin täglich mit islamistischem Terror auseinandersetzen muss, meinte es das Schicksal mit dem Land besser als mit den meisten anderen Staaten, über die die Unruhen infolge des Todes von Bouazizi hinwegfegten.

Nur in Tunesien gab es demokratische Erfolge
Das einzige erfreuliche Ergebnis, das die siebenjährigen Unruhen bislang hervorgebracht haben, zeigt sich in Tunesien. Präsident Zine El Abidine Ben Ali floh nach 24 Jahren im Amt nach Saudi-Arabien und wurde durch eine funktionierende Demokratie ersetzt.

Andernorts gab es vor allem Blut, Schweiß und Tränen.

Auf den lange überfälligen Sturz von Muammar al-Gaddafi folgte die Aufspaltung des Staates Libyen, angetrieben durch rivalisierende Stämme aus dem Westen und Osten des Landes, die sich in Tripolis und Bengasi versammelten.

Im Jemen folgte auf das Ende von Ali Abdullah Salehs 22-jähriger Präsidentschaft ein Bürgerkrieg, der das Land aufteilte zwischen Schiiten im Norden und den Sunniten im Süden.

Syrien-Krieg: Schlimmster Krieg des 21. Jahrhunderts
In Syrien begann alles mit Demonstrationen gegen Baschar Assad und entwickelte sich zum schlimmsten Krieg des Jahrhunderts, der Schätzungen zufolge 0,5 Millionen Todesopfer forderte und fast die Hälfte der Bevölkerung des Landes, die vor Kriegsbeginn 21 Millionen Menschen zählte, verdrängte.

Der Krieg in Syrien, in dem die sunnitische Mehrheit durch die Artillerie, Panzer und Kampfflugzeuge der von den Alawiten angeführten Armee abgeschlachtet wurde, verstärkte die Gewalt im nahen Irak, dessen bereits bedrängte sunnitische Minderheit nun vom barbarischen „Islamischen Staat“ übernommen wurde.

Die Schreckensgeschichten beschränkten sich nicht nur auf Mesopotamien: Im Jemen breiten sich aufgrund des Zusammenbruchs der Infrastruktur infolge der intensiven Kampfhandlungen Krankheiten aus, und Kinder sind am Verhungern; in Libyen entstand durch den Zusammenbruch der Grenzkontrollen und dem Zustrom afrikanischer Flüchtlinge mit dem Ziel Europa ein Sklavenhandel und in Syrien wachsen tausende Kinder heran, die noch nie eine Schule besucht haben, da tausende Lehrer im Krieg verwundet, verdrängt oder getötet wurden.

Währenddessen drängten die zahlreichen Bürgerkriege tausende Araber in die hungrigen Fluten des Mittelmeeres, denen sie in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa trotzen wollten. Tausende ertranken.

Dies hatte verhängnisvolle Folgen für die Stabilität Europas.

Brexit
Der Migrantenzustrom verursachte den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, den Niedergang des altgedienten Parteiensystems in Frankreich, die Rebellion mitteleuropäischer Regierungen gegen Brüssel und jetzt die Lähmung des politischen Systems in Deutschland.

Das alles geschah parallel zu Irans faktischer Machtübernahme von vier arabischen Hauptstädten, Russlands Kontrollübernahme über die syrische Küste und natürlich der Zerstörung ganzer arabischer Städte durch dessen Kampfflugzeuge – hier sei vor allem die Metropole Aleppo genannt.

Obama wurde überrumpelt
Der arabische „Frühling“ war kurzgesagt ein Albtraum, und die Frage ist: Warum hat er viele im Westen so sehr überrascht – angefangen mit Barack Obama?

Nun, Tatsache ist, dass einige von Anfang an wussten, dass die arabische Welt von innen heraus kränkelte, da sie politisch dekadent, kulturell unterdrückt und sozial explosiv war, wie schon im UN-Bericht über die menschliche Entwicklung in der arabischen Welt aus dem Jahr 2002 beschrieben oder im Buch „What’s really wrong with the Middle East?“ von Brian Whitaker, einem Journalisten des „Guardian“ (London 2009).

Traurigerweise schenkte man ihnen größtenteils keine Beachtung, vor allem in Europa, wo sich große Teile der kulturellen und politischen Elite vormachten, das Problem des Nahen Ostens sei nicht der Zustand der arabischen Führung, Bildung, Regierung und Aufklärung, sondern der arabisch-israelische Konflikt, und dass es für dieses komplexe Problem eine einfache Lösung gebe – Israel müsste einfach so-und-so-viel abgeben und seine Feinde so-und-so-wenig.

Jetzt, wo die reale arabische Welt täglich neue Opfer an die Küsten und in die Städte und Machtbereiche Europas schickt, erfährt Europa die Wahrheit über den realen Nahen Osten – denjenigen Nahen Osten, den es zu konfrontieren nicht fähig war und zu dessen Integration es jetzt unfähig ist.

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