Der Islam, der im Westen nur als Glaube der Gastarbeiter wahrgenommen wurde, war im Osten die gefürchtete Ideologie der brutalen Besatzer  

Von Anastasia Iosseliani

Zu den folgenden Zeilen wurde ich inspiriert aufgrund der Attacke auf den Bürgermeister von Thessaloniki/ Salonica, Yiannis Boutaris, durch einen orthodox-chauvinistischen Mob. Yiannis Boutaris, der demokratisch legitimierte und weltgewandte Bürgermeister Thessalonikis wurde bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Genozids an den Pontos-Griechen von orthodoxen Chauvinisten de facto krankenhausreif geschlagen.

Dieser schrecklichen Begebenheit liegt eine Tragödie zugrunde: Dem Leiden der orthodoxen Christen unter islamischer Okkupation. Die fehlende Anerkennung besagten Leids hilft – leider – gewissen orthodoxen Chauvinisten, daraus politisches Kapital zu schlagen. Und manchmal nicht nur das. Um Staaten, wie Griechenland, Georgien und Rumänien näher an die Kernländer der EU zu bringen ist es deshalb notwendig das Martyrium der orthodoxen Christen unter islamischer Okkupation ins gesamteuropäische Bewusstsein zu bringen. Auch um zu verhindern, dass Schlägermobs und Politiker wie Putin eine Monopolstellung bei diesem Thema haben.

Vielen Bewohnern und Politikern mittel- und westeuropäischer Staaten, deren erster Kontakt mit einer größeren Anzahl von Muslimen durch Gastarbeiter in den 1950er und 1960er Jahren geschah, ist nicht klar, wie es Ländern wie Rumänien und Griechenland (beide unter osmanischer Fremdherrschaft) und Georgien (unter persischer Besatzung) erging. Oft wird ja, um die angebliche Toleranz der islamischen Herrscher zu betonen, von den vertriebenen Juden aus Spanien erzählt, welche als Dhimmis im Osmanischen Reich Zuflucht fanden. Aber hier liegt auch des Pudels Kern: Die Juden waren, wie auch die Christen, im Osmanischen Reich den Muslimen rechtlich nicht gleichgestellt, sondern, wie oben erwähnt, Dhimmis. Deshalb muss man die sogenannte Toleranz der islamischen Herrscher im historischen Kontext betrachten und auch einen Blick drauf werfen, wie die Schahs und Sultane die rebellierende, orthodoxe Bevölkerung betrachtet haben.

Ein paar Beispiele:

Da Christen, wie auch Juden, als Dhimmis galten, waren ihnen per Gesetz gewisse Berufe versperrt, des Weiteren durften sie keine Waffen besitzen oder auf Pferden reiten. Es gab zahlreiche Verbote und Beschränkungen beim Bau neuer Kirchen und/oder Synagogen.

Die Hagia Sophia war die wichtigste Kirche der orthodoxen Christenheit und wurde unter osmanischer Herrschaft in eine Moschee umgewandelt. Heute ist die Hagia Sophia ein Museum, welches seiner Geschichte gerecht wird. Allerdings gibt es leider mehr als genug islamistisch eingestellte Türken, welche die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umwandeln und so die edlen Fresken dort endgültig zerstören wollen.

Unter persischer Besatzung wurde Tiflis, die Hauptstadt Georgiens, inklusive des Symbols der georgischen Orthodoxie, der Sioni-Kathedrale, fünfmal zerstört und niedergebrannt, zuerst unter Schah Abbas I. und zuletzt unter dem Agha Mohammed Schah. Alleine unter der Herrschaft von besagtem Agha Mohammed Shah wurden über 15.000 georgische Sklaven ins iranische Kernland verschleppt.

Das berühmteste Wahrzeichen der serbischen Stadt Nis ist der Schädelturm, auf Serbisch „Cele Kula“ genannt, der von den Osmanen aus den Schädeln und Knochen von serbischen Rebellen errichtet wurde.

Summa summarum: Das Leid der christlich-orthodoxen Bevölkerung war schrecklich und dieses Leid muss anerkannt werden. Allerdings sollten orthodoxe Christen und die Kirche sich auch in Demut üben: Nein, das Leid, das sie erlitten haben, war kein Holocaust. Auch wenn es Genozide wie den oben erwähnten Völkermord an den Pontos-Griechen oder den Armeniern gab. Opferneid ist keine Tugend und es hilft niemandem – am allerwenigsten den Opfern besagter Genozide – wenn hier und heute Menschen wie Yiannis Boutaris in der Öffentlichkeit krankenhausreif geschlagen werden.

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