Februar 9, 2018 – 24 Shevat 5778
Mehr Theokratie wagen?

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Nach dem „Arabischen Frühling“ wollte der Westen eigentlich nicht mehr mit nahöstlichen Diktatoren zusammenarbeiten – er tut es natürlich trotzdem.  

Von Stefan Frank

Viele Leser sind vielleicht wie der Verfasser schon so alt, dass sie sich noch an das Jahr 2011 erinnern können. Damals gab es in Europa eine Geißlerbewegung, wie man sie seit dem Mittelalter nicht erlebt hatte. Journalisten und Politiker kasteiten sich, weil „wir“ jahrelang Diktatoren unterstützt hätten. Es gab keine konkreten Schuldeingeständnisse; welche moralischen Verfehlungen begangen worden waren und wer dafür verantwortlich war, blieb unklar. Die Geißler schlugen sich die Rücken im Namen des „Westens“, es war eine Kollektivschuldthese, bei der alle schuld waren und keiner. Die Rolle „des Westens“ wurde im Rausch des „arabischen Frühlings“ überhöht; es wurde übersehen, dass sich die meisten Diktatoren Nordafrikas und des Nahen Ostens entweder auch ohne ausländische Unterstützung hätten an der Macht halten können (Mubarak, Ben Ali) oder Diktatoren waren, die den Westen hassten und bekämpften (Gaddafi, al-Baschir, die Assad-Dynastie, das Ayatollah-Regime).

Beispielhaft für Hunderte ähnliche Artikel steht dieses Zitat aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 11. März 2011:

„Über Jahrzehnte hat der Westen mit Diktatoren aus Arabien, Afrika, Lateinamerika und Asien zusammen gearbeitet. Viele haben sich zu Lasten ihrer Bevölkerungen bereichert und Teile ihrer Vermögen ins Ausland gebracht. Mittlerweile hat der Westen den Potentaten die Freundschaft gekündigt.“

Solche moralischen Ankündigungen gab es damals häufig: Nie wieder werden wir Diktatoren unterstützen! Ein solches Versprechen wäre durchaus lobenswert gewesen – von nun an also tatkräftige, effektive Unterstützung der Demokraten in aller Welt, richtig so. Doch schon damals konnte man die Heuchelei mit Hände greifen: der ägyptische Präsident Mubarak etwa wurde in den Zeitungen erst dann als „Diktator“ bezeichnet, als er seine Macht verloren hatte. Nun, da er gestolpert war, traute man sich, ihn zu treten. Der Abscheu, so zeigte sich, galt in Wirklichkeit gar nicht Diktatoren, sondern Ex-Diktatoren, den Gefallenen, Gestürzten. Niemand möchte sich an der Seite von Verlierern zeigen. Nicht ihren Machtmissbrauch oder die illegitime Art ihres Machterwerbs warf man den Potentaten eigentlich vor, sondern ihren Machtverlust.

Das zeigte sich auch daran, dass sich im Verhältnis zu jenen Despoten, die ihre Macht erhalten konnten, nichts änderte. Das iranische Regime wurde ebenso weiter hofiert wie die Golf-Monarchien oder die „Palästinensische Autonomiebehörde“, und was Baschar al-Assad betraf, der schon 2011 das meiste Blut an den Händen hatte, so gab es immer mehr, die seine Entfernung als nicht dringlich betrachteten oder ihm sogar gute Seiten abgewinnen konnten. Innert kurzer Frist wandelte sich die Lehre, die man aus dem „arabischen Frühling“ zog: Von „Nie wieder Diktatur“ hin zu „Mehr Stabilität durch Autokratie“. Tyrannen, so das neue alte Credo, soll man nicht stürzen, sondern stützen. Ohne sie droht, wenn nicht gleich alles den Bach runter geht, zumindest gefährliche Instabilität. In den Kommentaren zu den Protesten im Iran gibt es einige immer wiederkehrende Versatzstücke, die diese Haltung widerspiegeln.

„Ein Sturz der Diktatur ist schlecht, weil das Instabilität bringt“
Ein Kommentator der britischen „linksgerichteten“ Tageszeitung „The Guardian“, drückt dem iranischen Regime die Daumen, denn: „Jegliche wirkliche oder eingebildete Schwächung der Macht des iranischen Regimes könnte der Vorbote einer gefährlichen Eskalation der regionalen Spannungen sein.“ Der Autor hat sich den Standpunkt von Ayatollah Khamenei völlig zu eigen gemacht.
Dass das iranische Regime im Irak, im Libanon, in Syrien und im Jemen auf brutale Weise seine imperialen Ziele verwirklicht, die Hisbollah, die Hamas und Dutzende andere Terrorgruppen bewaffnet und einen Krieg mit Saudi-Arabien anzuzetteln versucht – das verursacht demnach keine Spannungen.
Dass Iraner in Rechtlosigkeit und ständiger Angst vor der Polizei und den Milizen leben müssen, dass ihnen Amputationen, Blendungen oder systematische Vergewaltigungen in Irans Foltergefängnissen drohen; dass im Iran selbst neunjährige Mädchen zum Tode verurteilt werden können – das alles ist keine Eskalation.
Eine „gefährliche Eskalation der regionalen Spannungen“ liegt erst dann vor, wenn Ayatollah Khamenei schlecht schläft, weil er sich ärgert, dass seine Untertanen gegen ihn protestieren. Implizit lehnt der Autor somit die Gültigkeit der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ ab; denn um sie im Iran durchzusetzen, müsste das Regime gestürzt werden. Wer Menschenrechte für die Iraner einfordert, gilt ihm somit als „Falke“: „Die kreisenden amerikanischen, saudischen und israelischen Falken sollten sich vorsehen, was sie sich wünschen“, schreibt er.

„Wer Verbesserungen will, muss das Regime unterstützen“
Ralf Dorschel, Redakteur der Hamburger „MoPo“, wirbt für das Regime:

„Ohne Rohani bekommen die Iraner keine Öffnung und keinen Fortschritt und die ganze heikle Region wird noch instabiler. Das sind gute Gründe für Europa, weiter auf Erfolge des Präsidenten zu setzen.“

Wie lange setzen die Europäer bereits auf den Reformer ohne Reformen, und welche „Erfolge“ hat er vorzuweisen? Auch Dorschel scheint zu meinen, dass Iraner keinen Anspruch auf Menschenrechte oder Demokratie hätten, denn weder das eine noch das andere hat Rohani überhaupt je versprochen, geschweige denn gefördert.

Good cop, bad cop
Viele Journalisten spielen mit vorgetäuschter oder echter Naivität das „Good cop, bad cop“-Spiel mit, bei dem so getan wird, als gäbe es im Iran einen Machtkampf zwischen den Guten und den Bösen, und als wäre Rohani nicht ein Mann des Regimes, sondern einer der Guten. Doch zum einen ist Rohani keiner der Guten, zum anderen kann es einen Machtkampf zwischen ihm und Ayatollah Khamenei gar nicht geben: Nur Khamenei hat echte Macht, und würde sich Rohani gegen ihn stellen – was er nicht tut –, wäre das Hochverrat und würde mit dem Tode bestraft. Die Folgerung, die einige Kommentatoren aus dieser Situation ableiten, lautet: Die iranischen Demonstranten sollten nur klitzekleine Forderungen stellen, solche, die das Regime erfüllen kann. Volker Perthes von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik mahnte die Iraner im Ö1-Mittagsjournal:

„Alles, was nach Anarchie und Chaos und Gewalt aussieht, nützt einer Regierung nicht und nützt auch dieser Regierung von Rohani nicht. Er hat ja relativ deutlich gesagt, dass es ein Recht auf friedliche Demonstration gibt, das würde ihm helfen, wenn Demonstrationen friedlich bleiben, wenn sie mit klaren Slogans etwa nach wirtschaftlicher oder politischer Reform auf die Straße getragen würden, das wären Proteste, die er vielleicht in seine Agenda würde einbauen können, aber wenn die Proteste aussehen, was in Neujahrsnächten in Deutschland oder vielleicht auch in Österreich – das weiß ich jetzt nicht – geschehen ist, dann ist das so, dass eher Hardliner ihm vorwerfen werden, die Lage außer Kontrolle geraten zu lassen.“

Wenn also die Iraner nur gegen die hohen Eierpreise protestieren, ist das aus Perthes Sicht gut; wenn sie hingegen Demokratie, Meinungs- und Religionsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit sowie die Abschaffung der Schariapolizei und der frauendiskriminierenden Gesetze fordern, dann wären das die falschen Slogans, weil Rohani diese eben nicht „in seine Agenda einbauen kann“. Also: Proteste ja, aber nur innerhalb des Rahmens der theokratischen Diktatur. Und es darf nicht aussehen wie „Neujahrsnächte in Deutschland“; die Demonstranten im Iran mögen sich bitte gesitteter benehmen, als Deutsche im Silvestertaumel das zu tun pflegen, und keinen Lärm veranstalten.

Auch Gudrun Harrer weiß im „Standard“ zu unterscheiden zwischen „berechtigten Unzufriedenheitsäußerungen“ und offenbar unberechtigten „Hassparolen gegen das geistliche Oberhaupt Ali Khamenei“:

„Präsident Hassan Rohani hat in seiner ersten Rede noch versucht, das Dilemma zwischen – seinen Worten nach – berechtigten Unzufriedenheitsäußerungen und prinzipiellen Forderungen nach einem Systemwechsel aufzulösen. Bei den Demonstrationen kommt beides vor: soziale Slogans genauso wie Hassparolen gegen das geistliche Oberhaupt Ali Khamenei.“

„Hass“ wirft Harrer nicht denen vor, die morden und foltern – sondern denen, die die das Morden und Foltern beenden wollen. (…)

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