Von Henryk Broder

Anfang November begab sich die RTL-Reporterin Raschel Blufarb von Tel Aviv nach Gaza, wo „die Frauen weder verhüten noch abtreiben dürfen“ und sich „nach Selbstbestimmung und Freiräumen sehnen“, so die Moderatorin des RTL-Nachtjournals, Ilka Essmüller, in ihrer Anmoderation.

In Gaza, einer „der am dichtesten besiedelten Regionen der Welt“ – eine Floskel, die in keinem Bericht aus Gaza fehlen darf –, besucht Raschel Blufarb eine leicht atypische Familie. Jamal, seine drei Frauen und insgesamt 34 Kinder. „Wir können sie schlicht nicht ernähren“, sagt eine der drei Ehefrauen von Jamal, die mitnichten unterernährt oder verwahrlost aussieht, ganz im Gegenteil. Auch die beiden anderen Frauen machen einen properen Eindruck, ebenso wie die 34 Kinder der Großfamilie. Alle wohnen unter einem Dach, jede Frau hat eine Etage für sich und ihre Kinder. Vater Jamal pendelt, von einer Etage zur anderen, und weil es ihm langsam fad wird, wünscht er sich eine vierte Ehefrau, mit der er weitere Kinder haben möchte, sie müsste nur eine „dünnere und jüngere“ sein als die drei, die er schon hat.

Kein Wunder, dass Jamal arbeitslos ist. Wer hätte unter diesen Umständen Zeit zum Arbeiten? Gut, dass er sich wenigstens ein paar Minuten freinimmt, um die RTL-Reporterin zu empfangen, nachdem er ein wenig auf dem Markt eingekauft hat. Für den Fall, dass ein Zuschauer an dieser Stelle stutzen und fragen sollte, womit oder wovon er die Einkäufe bezahlt, erklärt Raschel Blufarb, wie der 34-fache Vater das Versorgungsproblem löst: „Die Familie lebt hauptsächlich von Spenden.“ Könnten es UNRWA-Zuwendungen sein? Oder hat sich womöglich eine der in Gaza wohltätigen deutschen NGOs der Familie angenommen?

Es ist ein Schmierenstück der Extraklasse, bei dem Bild und Ton auseinanderlaufen. Man sieht eine fröhliche Familie, die unter Umständen lebt, von denen die meisten Menschen in Ägypten, Syrien, Jordanien und dem Libanon nur träumen können, und hört, wie arm sie ist und welche Mühe die Mütter haben, ihre Kinder satt zu kriegen. Am Ende des Tages bleibt ihnen nur die Hoffnung, „dass sie den nächsten Tag überstehen werden und dass es irgendetwas zu essen gibt für ihre 34 Kinder“.

Das kann doch nicht wahr sein, dachte ich, nachdem ich den Bericht gesehen hatte, und schickte eine E-Mail an Peter Kloeppel, den RTL-Nachrichtenchef, mit der Bitte um Aufklärung. Der reichte die E-Mail an seine Reporterin in Tel Aviv weiter. So kam es zum folgenden Notenwechsel:

„Lieber Herr Broder, Peter Kloeppel leitete mir eine Mail von ihnen weiter. Gern beantworte ich ihnen die Fragen zum Bericht aus Gaza. Bitte geben sie mir doch ihre Telefonnummer. Ich melde mich dann.
Herzliche Grüße, Raschel“

„liebe frau blufarb, ich gebe ihnen gerne meine tel-nummer. wir können uns auch in cafe mersand treffen oder die rehov sheinkin rauf- und runterflainieren. seien sie aber so nett, vorher die mail zu beantworten, die ich an herrn klöppel geschickt habe, der offenbar noch nie in gaza war.
dash, b.“

„liebe frau blufarb, kann ich noch mit einer antwort von ihnen auf die mail rechnen, die herr klöppel an sie weiter geleitet hat? die drei minuten werden sie doch zwischen zwei besuchen bei den armen von gaza wohl noch finden, oder?
shalom, b.“

„Lieber Herr Broder, ich rede gern und ausführlich mit ihnen über das Thema, und beantworte gern alle Fragen. Warum das schriftlich stattfinden soll, erschließt sich mir nicht. Wenn sie also Zeit finden für ein persönliches Gespräch unter Journalisten, sehr gern. Die zwei Minuten werden sie doch haben, nahon? 🙂
Lg, R.“

„lo nahon. es geht nicht um ein gespräch „unter Journalisten“. ich will mit ihnen auch nicht ins separee. sie teilen sich ihren zuschauern öffentlich mit und sollten in der lage sein, fragen zu ihrem auftreten auch öffentlich zu beantworten. haben sie das auf der reporterschule nicht gelernt?
b.“

(„Nahon?" bedeutet „stimmt?" Und „lo nahon“ bedeutet „stimmt nicht!". Jetzt warte ich auf den nächsten Tearjerker von Raschel Blufarb, über den sie nur unter vier Augen sprechen möchte.)

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