August 7, 2014 – 11 Av 5774
Der Mob rast

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In Deutschland offenbart sich anlässlich der erneuten Eskalation im Nahost-Konflikt wieder einmal der tiefsitzende Antisemitismus. 

Wenn sich die Außenminister Frankreichs, Italiens und Deutschlands treffen, um in einer gemeinsamen Erklärung zu beteuern, «mit allen Mitteln des Rechtsstaats gegen Taten und Äußerungen» vorgehen zu wollen, «die die Grenze zu Antisemitismus» überschreiten, dann müssen dramatische Entwicklungen ihren Lauf genommen haben.

Die Vielzahl antijüdischer und antiisraelischer Demonstrationen und Ausschreitungen in vielen europäischen Ländern ist alarmierend. In zahlreichen deutschen Städten bilden sich Querfronten aus Islamisten, Salafisten, Neonazis und überwiegend dem antiimperialistische Spektrum zugehörigen Linken, die gegen den jüdischen Staat auf die Straße gehen. Dabei geht es nicht um Solidarität mit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen oder Kritik an der israelischen Militäroperation «Protective Edge», wie die meisten Demonstranten gar nicht mehr versuchen vorzugeben, sondern darum, puren Hass auf die Straße zu tragen.

Demonstrationen von Frankfurt am Main, München und Berlin bis nach Essen, Köln oder Bremen haben eins gemeinsam: In einem fort werden antisemitische Parolen gezeigt, die die Shoah relativieren, den Nationalsozialismus verherrlichen und Israel dämonisieren und delegitimieren. Schilder mit Aussagen wie «Das ist kein Krieg, das ist Völkermord», «Angeblich früher Opfer – heute Täter» oder «Stoppt den Holocaust in Gaza» werden so oder in leichten Variationen auf den Veranstaltungen präsentiert und vor allem: Toleriert. Ebenso das Tragen von Hamas-, Hisbollah- oder Dschihad-Fahnen. Und immer wieder finden sich, wie am 12. Juli in Frankfurt am Main, Vertreter der Linken ein, hier des Studierendenver- bands Die Linke.SDS – Seite an Seite mit Islamisten und Neonazis. Am selben Tag stört es Mitglieder der Linkspartei und der Antiimperialistischen Aktion auch nicht, mit den faschistischen Grauen Wölfen, Hamas-Anhängern und Schildern mit Aufschriften wie den be- schriebenen sowie «Hitler lebt noch, nur unter anderem Namen: Israel» in München zu demonstrieren. 1.100 Menschen sind anwesend.

Am 17. Juli skandieren sie in Berlin «Jude, Jude feiges Schwein – Komm her- aus und kämpf‘ allein», zwei Tage später kann ein Ehepaar aus Jerusalem, das zufällig den Weg einer Gaza-Demo kreuzt nur mit Müh und Not von der Polizei vor einem aggressiven Mob geschützt werden, der die beiden Israelis mit «Scheiß Juden, wir kriegen Euch!» und «Wir bringen euch um!» bedroht. Auch Pressefotografen müssen geschützt werden, die man angeht und ihnen Sprüchen wie «Zionisten-presse» oder «Wir kriegen euch» zuruft. Auch hier beteiligt: Linke Gruppierungen wie Die Linke.SDS, die sogar mit zu der Kundgebung aufgerufen hatten.

Al-Quds Demonstration 2014

Al-Quds Demonstration in Berlin Juli 2014

In Essen folgen am 18. Juli etwa 1.500 Demonstranten einem Aufruf von Linksjugend Ruhr, der Palästinensischen Gemeinde und den linken Bundestagsabgeordneten Inge Höger und Niema Movassat. Auch Ralf Michalowsky, der Landeschef der Linken in Nordrhein-Westfalen, unterstützt das, später folgt auch die Partei. Trotz zahllosen Warnungen und Aufforderungen die Demonstration abzusagen schalten die Organisatoren auf stur, es kommt zum Desaster. Nachdem die Kundgebung abgebrochen wurde, ziehen etwa 200 überwiegend islamistische Kundgebungsteilnehmer zur nahe gelegen proisraelischen Gegenkundgebung und durchbrechen mindestens eine Polizeikette auf dem Weg. Was folgt beschreibt die Aktivistin Lena S. so: «Ich habe den 18. in Essen als Straßenschlacht erlebt. Allerdings als einseitige, denn auf unserer Seite ist niemand gewalttätig geworden. Ich habe es als beängstigend erlebt und für mich war das teilweise Progromstimmung, vor allem, als wir nicht wussten, ob nun Leute auf dem Weg zur Synagoge sind oder nicht.»

Die Polizei ist in zahlreichen Städten überfordert gewesen. Am 13. Juli überlässt man einen Reporter der taz in Bremen sich selbst, trotz drohendem Mob. Ein Passant wird gleichzeitig von antiisraelischen Aktivisten schwer verletzt, er liegt im Koma. In Frankfurt, am 12., versucht man zu deeskalieren, indem man einem Demonstranten den Lautsprecherwagen zur Verfügung stellt, dieser nutzt das um die Menge mit Parolen wie «Kindermörder Israel» weiter anzustacheln, die Beamten lassen ihn gewähren. Entweder unterschätzt die Polizei die Veranstaltungen und ist in zu geringer Stärke vor Ort, oder sie handelt fahrlässig und ohne Sensibilisierung für die Problematiken. So auch im Falle Essens. Lena stellt sich auf einen Kasten um zu filmen, daraufhin fliegen Flaschen und Böller nach ihr. Ähnliche Berichte gibt es aus anderen Städten.

Jan-Niklas KNIEWEL

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