Ist es einerlei für die Terrorgefahr, wie sich eine Gesellschaft gegenüber Muslimen verhält?  

Von Ramin Peymani

Es ist wieder passiert. Und diesmal hat es ein Land getroffen, das aus Sicht der lautstarken Rufer nach mehr Integration gar nicht im Fokus des islamistischen Terrors hätte stehen dürfen. Der Multi-Kulti-Vorzeigestaat Schweden beweint die Opfer des Attentats von Stockholm.

Ausgerechnet Schweden – keine andere Gesellschaft der westlichen Welt hat über Jahrzehnte hinweg derart viel für die Integration der muslimischen Einwanderer getan. Schweden verhält sich politisch und militärisch neutral, vermeidet jeden Konflikt mit dem Islam und geht bis an die Grenzen der Selbstverleugnung, damit Muslime dort so leben können, wie sie es wollen.

Nun also hat der IS-Terror auch in einem Land zugeschlagen, das dem Islam keinerlei Anlass für Hass und Gewalt geboten hat. Die vielen selbsternannten Experten, die nach jedem Terroranschlag von den Kameras angezogen werden, wie die Motten vom Licht, müssen die Schuldfrage diesmal anders beantworten. Zu leicht hatten sie es in Frankreich, in Großbritannien oder in Deutschland, den muslimischen Tätern die Absolution zu erteilen. Immer schwang neben der Bestürzung auch der unterschwellige Vorwurf mit, eine Gesellschaft, die andere ausgrenze, dürfe sich nicht wundern, wenn bei Einzelnen die Frustration in Gewalt umschlage. Zwar geht der Vorwurf ins Leere, doch zeigt er gerade hierzulande immense Wirkung.

Die sprichwörtliche Obrigkeitshörigkeit, die Deutschland im vergangenen Jahrhundert ins größte Verderben seiner Geschichte gestürzt hat, mag auch der Grund dafür sein, dass kaum einmal ernsthaft hinterfragt wurde, warum sämtliche muslimischen Attentäter auf deutschem Boden anschließend für psychisch gestört erklärt wurden. Die pietätlose Umdeutung der Täter zu Opfern ihrer vermeintlichen seelischen Erkrankung scheint es für manche einfacher zu machen, mit dem Unfassbaren zu leben. Dabei liegt man wohl tatsächlich nicht falsch, wenn man jemanden für verrückt erklärt, der wahllos auf andere losgeht, um sie zu meucheln. Jemand, der mit einer Machete, einem Beil oder einem Fahrzeug wildfremde Menschen niedermetzelt, hat offensichtlich nicht alle Tassen im Schrank. Dies aber jeweils unmittelbar nach der Tat hervorzuheben, um jeden Verdacht auf einen Zusammenhang mit der religiösen Weltanschauung des Täters zu zerstreuen, ist geradezu zynisch. Wer befürchtet, mit der Benennung des Offensichtlichen irgendwelchen Rechtspopulisten in die Hände zu spielen, darf sich nicht wundern, wenn die Verschleierung offenkundiger Muster genau dies bewirkt.

Nun betrauert Schweden die Opfer eines Anschlags, den es aus Sicht der Multi-Kulti-Prediger gar nicht hätte geben dürfen. Dabei war schon lange nicht mehr alles gut in Stockholm, Malmö oder Göteborg. Von der deutschen Öffentlichkeit wenig beachtet, prägen seit mehreren Jahren immer wieder Unruhen und gewaltsame Auseinandersetzungen das Bild in den muslimisch dominierten Stadtvierteln. Besonders die hohe Arbeitslosigkeit unter den Migranten wird dabei regelmäßig von den Berichterstattern ins Feld geführt. Was in Frankreichs Vorstädten als Begründung taugen mag, greift in Schweden jedoch zu kurz. In einem Land, das Chancengleichheit über alles stellt und in dem der Wohlfahrtsstaat trotz aller Reformen auch heute niemanden zurücklässt, ist es zu einfach, die offenbar latent vorhandene Gewaltbereitschaft unter jungen Muslimen damit zu begründen, dass diese sich abgehängt fühlten. Eher schon lässt sich der Absturz des früheren Pisa-Wunderlands mit der hunderttausendfachen muslimischen Zuwanderung erklären.

Fehlt vielleicht doch der Integrationswille der Neuankömmlinge? Auffällig ist jedenfalls eines: Egal, ob in Schweden, Frankreich, Deutschland oder sonst irgendwo – anders als die Einwanderer der übrigen Religionsgemeinschaften, scheinen sich muslimische Migranten insgesamt eher mühsam in ihrer neuen Gesellschaft einzuleben. Wo immer es in der westlichen Welt um das Thema Integration geht, reden wir nicht von Buddhisten, Hindus oder Juden. Wir reden über den Islam. Der religiöse Absolutheitsanspruch ist dabei ebenso ein Problem wie die fehlende Aufklärung. Und auch eine Terrorgefahr geht ganz offensichtlich von keiner der anderen Weltreligionen aus. Es muss also etwas dran sein an der Befürchtung, dass mit der Religion zu tun hat, was wir seit Jahren in Europa erleben.

Dass sich die friedfertige muslimische Mehrheit nicht klar und vernehmbar gegen den Terror stellt, macht die Sache nicht leichter. Zweifel nähren auch manche muslimischen Dachverbände.
Es scheint, als müssten sich all die Islamversteher in der deutschen Medien- und Politiklandschaft mit dem Gedanken anfreunden, dass es völlig einerlei ist, wie sich eine Gesellschaft gegenüber Muslimen verhält. Denn von Stockholm geht an diesem traurigen Tag eine Botschaft aus: Solange wir nicht zum Islam übertreten, und zwar zu jenem radikalen politischen Islam, den der IS propagiert, sind wir in den Augen der Islamisten legitime Opfer. Es kann keine friedliche Koexistenz fundamentalistischer Muslime mit „Ungläubigen“ geben. Wir sollten der Tatsache ins Auge sehen, dass wir uns in einem Kampf befinden, den wir verlieren werden, wenn wir die Auswüchse des Islams nicht mit aller Härte verfolgen. Und zwar nicht erst dann, wenn wieder einmal viele unschuldige Opfer zu beklagen sind, sondern schon vorher, wenn radikale Prediger Muslime in Moscheen aufhetzen, wenn sich islamistische Propaganda über die sozialen Netzwerke ihren Weg bahnt, oder wenn sich sogenannte Gefährder unbehelligt in Europa bewegen.

Die Nulltoleranzstrategie gegenüber dem radikalen Islam darf nicht nur Wahlkampfaktionismus sein, wie dieser Tage zu beobachten, sondern muss sich als politischer Wille durch alle Parteien und Institutionen ziehen. Viel zu lange haben die Verantwortlichen bagatellisiert, schöngeredet und ignoriert. Sie haben es zugelassen, dass sich Parallelgesellschaften etabliert haben. Statt konsequent die Pflicht zur Integration einzufordern, wurde diese viel zu oft zur Disposition gestellt. Im Zweifel war stets die Mehrheitsgesellschaft schuld, weil sie zu wenig getan habe. Dabei ist es pure Ironie, dass erst die Freiheit und die Toleranz unserer westlichen Gesellschaften dem radikalen Islam die Tür geöffnet haben. Und dies im sprichwörtlichen Sinne, gelang es dem sogenannten Islamischen Staat doch vor allem im Zuge der Zuwanderungswelle der vergangenen Jahre, seine Kämpfer nach Europa einzuschleusen. So sehen wir heute unsere Zivilisation, unsere Kultur und unsere religiöse Vielfalt bedroht, weil wir zu nachsichtig mit intoleranten religiösen Fanatikern waren.

Noch können wir die Dinge zum Guten wenden. Doch dazu gehört der Mut zur Ehrlichkeit auf allen politischen Ebenen sowie ein gemeinsames Vorgehen aller gesellschaftlichen Kräfte ohne falsch verstandene Toleranz oder ideologische Scheuklappen. Wer einer Religion die uneingeschränkten Segnungen der Religionsfreiheit zukommen lässt, die noch Jahrhunderte von einer Säkularisierung entfernt ist, handelt naiv. Und wer den Islamismus gebetsmühlenartig vom Islam trennt, handelt fahrlässig. Hatten sich Medien und Politik bei früheren Attentaten bemüht, diesen Eindruck zu erwecken, so ist mit dem Anschlag auf die schwedischen Willkommens-Weltmeister zur Gewissheit geworden, dass die Lösung nicht in größeren Integrationsanstrengungen westlicher Gesellschaften liegt. Die Kämpfer des Islams führen einen Religionskrieg gegen die „Ungläubigen“. Seit Stockholm gibt es keine Ausreden mehr.

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