Autoren der bekannten Online-Enzyklopädie versuchen einen israelischen Journalisten gegen besseres Wissen als „rechts“ abzustempeln 

Von Chaim Noll

Zu Besuch in Deutschland, werde ich Zeuge unheimlicher Vorgänge. Viele deutsche Intellektuelle scheinen von der Obsession heimgesucht, sich voneinander abgrenzen zu müssen. Ein Vorgang der Fragmentierung. Zunächst schafft das Ein- und Ausgrenzen eine gewisse Ordnung. Wie das Einordnen verstreuter Objekte in formelhaft beschriftete Schubladen. Es mag hilfreich sein bei toten Gegenständen. Bei lebendigen Menschen hat es den Nebeneffekt, dass die Kommunikation, der Meinungsaustausch, das kreative Klima einer bizarren Ordnung geopfert werden.

Alte Bekannte erklären mir mit starrem Blick, mit anderen alten Bekannten nicht mehr verkehren, mit dieser oder jenem nicht mehr sprechen zu können. So schrieb mir eine Berliner Freundin:

„Mit XY möchte ich nie wieder zu tun haben, nachdem sie diese Initiative mit konservativen und rechten Intellektuellen für ein Einwanderungsgesetz unterschrieben hat.“

Die Zuordnung von guten Bekannten als „rechts“ oder „konservativ“ erstaunt mich, ich kenne die Genannten noch als „Linke“ oder „Liberale“. Die neuen Abgrenzer behaupten, jene alten Freunde wären „bedenklich nach rechts gerückt“. Haben sich die Maßstäbe für die Pauschal-Etiketten „links“ und „rechts“ verschoben? Oder dient das Etikettieren als Vorwand, sich lästiger Bekanntschaften zu entledigen?

Diffamierung durch Weglassen
Auch ich bin längst etikettiert und eingeordnet. Erst dieser Tage sprach mich nach einer Vorlesung ein Student an: Warum ich in der als „rechts“ bekannten Zeitschrift „Sezession“ veröffentlicht hätte. Er weiß es aus Wikipedia. Denn dort steht: „Noll war Redaktionsmitglied und Autor des Monatsmagazins ‚Mut‘. Darüber hinaus ist er Autor der Zeitschrift ‚Sezession‘ des „Instituts für Staatspolitik‘ sowie des politischen Blogs ‚Die Achse des Guten‘.“ Ende. Kein weiteres Wort zu meiner seit Jahrzehnten laufenden publizistischen Arbeit in zahlreichen deutschen Medien der verschiedensten politischen Richtungen.

Ich arbeite seit etwa 35 Jahren als sogenannter „freier Autor“. In dieser Zeit habe ich für fast alle deutschen Rundfunkanstalten und großen Printmedien geschrieben, für die „Frankfurter Allgemeine“, die „Welt“, für „Focus“ oder den „Stern“, für als „links“ bekannte Blätter wie „taz“ oder „jungle world“, sogar für das „Neue Deutschland“ (solange dort eine intelligente, nicht manisch israelkritische Redakteurin im Feuilleton beschäftigt war). Nichts davon findet sich in meinem Wikipedia-Eintrag. Obwohl dutzende Texte von mir in den erwähnten Medien erschienen sind.

Ich habe in der „Jüdischen Allgemeinen“, der „Jüdischen Rundschau“ und vielen anderen Wochenzeitungen und Zeitschriften veröffentlicht, in literarischen wie „Lettre“ oder „Merkur“, in politischen wie „liberal, Die politische Meinung“ oder „Deutschland Archiv“, in historischen wie der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“, doch keine von ihnen ist dem anonymen Wikipedia-Schreiber eine Erwähnung wert, genannt werden dort ausschließlich „Mut“, „Achse des Guten“ und, als Krönung meiner Abirrung nach „rechts“, die Zeitschrift „Sezession“.

Weil dadurch die Ordnung gestört wird
Zur „Achse des Guten“ will ich mich gern bekennen. „Mut“ wurde inzwischen eingestellt. In der „Sezession“ habe ich nur ein einziges Mal veröffentlicht, und dabei handelte es sich um den Nachdruck eines Textes aus der „Jüdischen Zeitung“. Was im betreffenden Heft der „Sezession“ korrekt vermerkt worden war, vom anonymen Wikipedia-Schreiber jedoch verschwiegen wurde. Mein Text beschäftigte sich mit Voltaires Versdrama „Mahomet oder Der Fanatismus“, das in Europa de facto nicht mehr aufgeführt werden darf. Mir war bekannt, dass die „Sezession“ als „rechts“ gilt, und ich fand es gerade interessant, dass sie einen Text aus der „Jüdischen Zeitung“ veröffentlichen wollte. Warum denn nicht? Weil dadurch die Ordnung gestört wird, die heilige Ordnung deutscher Gedankenwächter, wonach alles entweder „links“ oder „rechts“ sein muss und nichts anderes existieren darf als diese jämmerlichen Kategorien?

Ich werfe dem Wikipedia-Anonymus nicht vor, dass er unwahre Behauptungen verbreitet, ich habe für die genannten Medien geschrieben und werde es nach Möglichkeit weiterhin tun. Doch ich muss ihm unfaires Verzerren und Vereinseitigen vorwerfen, das Einschränken meiner vielseitigen publizistischen Arbeit auf drei Medien in der Absicht, wenigstens mit der spürbaren Wirkung, mich dadurch im zunehmend hysterischen deutschen Intellektuellen-Betrieb als „rechts“ zu stigmatisieren. Der Artikel reduziert mich auf einen schmalen Sektor meiner selbst, er stempelt mich ab, wörtlich im Sinn dieser Metapher: Er macht mich flach und leicht konsumierbar. „Rechts“. So einfach ist es heute, einen unliebsamen Autor abzutun.

Der Anonymus – oder die Anonyma – projizieren die eigene Einseitigkeit, die Engstirnigkeit des Ideologen auf mich, ihren Gegenstand. Haben nicht gerade jene, die sich „Linke“ nennen, stets „Differenzierung“ in der Darstellung gefordert? Ich kann nicht sagen, wie oft ich inzwischen auf diesen Eintrag angesprochen wurde. Er ist schlampig geschrieben, schlecht recherchiert und tendenziös. Es gibt noch einen englischen Wikipedia-Artikel unter meinem Namen, um einiges informativer, doch in Deutschland wird vornehmlich der deutsche gelesen, der den größten Teil meiner Arbeit unterschlägt. Danke, Wikipedia. Auch dadurch ist mir klar geworden, was in Deutschland insgeheim vor sich geht. Dabei habe ich noch Glück: Einem Juden traut man sich nicht so leicht „Rassismus“, „Nähe zu Rechtsradikalen“ oder „Fremdenhass“ anzuhängen. Was, wenn ich keiner wäre?

Nachtrag: Der entsprechende Wikipedia-Eintrag wurde wenige Stunden nach Erscheinen dieses Beitrages offenbar „upgedated“. Jetzt heißt es dort:

„Seit seiner Übersiedlung nach West-Berlin ist Noll als Autor für eine Vielzahl deutscher Medien tätig. Er veröffentlichte u.a. in: FAZ, Welt, Focus, Stern, taz, Jungle World, Neues Deutschland, Jüdische Allgemeine, Jüdische Rundschau, Lettre International, Merkur, Liberal – Das Magazin für die Freiheit, Die Politische Meinung, Deutschland Archiv, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Noll war Redaktionsmitglied und Autor des inzwischen eingestellten Monatsmagazins Mut. Darüber hinaus wurde in der Zeitschrift Sezession des Instituts für Staatspolitik ein Beitrag Nolls aus der Jüdischen Zeitung

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