Juli 3, 2014 – 5 Tammuz 5774
Von «Bar-Kochba» bis «Ha-Koach»

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Deutsch-jüdische Sportler trugen mehr zum Aufbau Israels bei als allgemein angenommen 

In der jüdischen Tradition ist Sport weniger
im Zusammenhang mit notwendiger körperlicher
Ertüchtigung oder als Aspekt des militärischen
Trainings gesehen worden. Während
beispielsweise für die antiken Griechen
Schönheit (und Sport) heilig waren, war für
die Juden Heiligkeit schön. Im traditionellen
Judentum blieb das Bild des «durchgeistigten
» Juden stets positiv besetzt, und der
biblische Samson nahm keine notwendige
Vorbildfunktion ein. Gesellschaftliche und
politische Umstände beeinflussten diese Haltung
ebenfalls. Sport wurde mit der fremden
und «gefährlichen» hellenistischen Kultur
gleichgesetzt. Außerdem waren die Olympischen
Spiele mit der Verehrung speziell des
Gottes Herkules verbunden.
Der Widerstand gegen Sport hielt sich auch
im Diasporischen Rom noch eine Zeit lang,
wo Theater und Spiele als Antithese zu Schule
und Synagoge verstanden wurden, und das
nicht nur wegen der Grausamkeiten, sondern
auch, weil Juden zum Gegenstand von Satire,
Parodie und Spott wurden.

Geburt des «Muskeljudentums»
Während der Moderne änderte sich diese
Haltung grundlegend, insbesondere auch im
europäischen Raum. Seit dem Kaiserreich bedeutete
gerade denjenigen Juden, denen durch
satzungsgemäße «Arierparagraphen» die
Mitgliedschaft in der deutschen Turnbewegung
verwehrt war, der selbstorganisierte
Sport einen wichtigen Beitrag zur Abwehr des
Antisemitismus. Jüdischer Sport wurde zu
einem kraftvollen Versuch, das weitverbreitete
Vorurteil von der körperlichen Minderwertigkeit
der Juden zu widerlegen. Ideologe
des «Muskeljudentums» war der Arzt und
Schriftsteller Max Nordau, ein enger zionistischer
Mitstreiter von Theodor Herzl. Jahrhunderte
lang hatten Juden ihre Muskeln nicht
ausbilden können, meinte Nordau, denn:
«Alle Elemente der aristotelischen Physik
waren uns knickerig zugemessen: Licht und
Kraft, Wasser und Boden. In der Enge der Judenstraße
verlernten unsere armen Glieder,
sich fröhlich zu regen». Doch Nordaus Forderung,
die er auf dem 5. Zionisten-Kongress
1901vortrug, ging weiter: Körperliche Betätigung
sollte zugleich ein wesentliches Mittel
gegen die «Degeneration der Nation» und für
die Rückkehr zur jüdischen Selbstachtung
und damit zum Wiederaufbau einer jüdischen
Nation werden.
Der moderne Antisemitismus hat die angebliche
körperliche Schwäche als negatives
Merkmal des Judentums immer wieder hervorgehoben.
Dem wollte der moderne Zionismus
mit praktischen Schritten entgegentreten.
Die nationaljüdische Bewegung begann den
«neuen Juden» erfinden, um ihren Gegnern
ein Gegenbild zum antisemitischen Image
anzubieten. Angesichts des real existierenden,
sich manifestierenden Antisemitismus lagen
für Nordau die Gründe für jüdisches Turnen
und Sport auf der Hand: «Der Welt ist immer
noch die Ghettogestalt des geduckten Jüdchens
geläufig, die ihren Hohn und ihre Verachtung
erregt. Wir müssen uns aus der Karikatur
herausarbeiten und uns (…) erheben».
Der Diasporajude sollte durch den stolzen,
physisch anmutenden Juden ersetzt werden,
so das zionistische Leitbild.

Über 100 Makkabi-Vereine in Europa
Was Nordau für den Turnsport propagierte,
galt natürlich auch für andere Sportarten –
Kampfsport zumal, aber auch Leichtathletik
und viele andere mehr. Nordaus Schrift «Das
Muskeljudentum» aus dem Jahre 1900 stieß
auf große Resonanz im Judentum und beeinflusste
vor allem die Einstellung zur körperlichen
Aktivität bei den Menschen, die die zweite
Aliyah (Einwanderungswelle) während
der Jahre 1904-1919 nach Palästina brachte.
Angesichts dieser neuen Tendenzen betrachtete
eine zunehmende Zahl von Erziehern die
körperliche Kräftigung auch als Teil ihres Erziehungsauftrages.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges gab
es in Europa bereits über 100 «Makkabi»-
Vereine. Die größten – «Hakoach» in Wien,
«Bar-Kochba» in Berlin und «Hagibor» in
Prag – waren berühmt für ihre hervorragenden
Mannschaften. «Bar Kochba Berlin» war
1898 der erste jüdische Turnverein auf deutschem
Boden.
Obwohl die meisten Juden im 19. Jahrhundert
unter Umständen lebten, die sportliche
Leistungen nicht förderten, gab es in England,
Deutschland, Ungarn, Kanada, Frankreich,
Österreich und den USA schon eine ganze
Reihe von Spitzensportler. 1896 waren unter
den Medaillengewinnern der ersten Olympischen
Spiele der Neuzeit in Athen sieben
jüdische Athleten, die vierzehn Medaillen gewannen.
Allein Alfred Flatow und Gustav Felix
Flatow errangen insgesamt fünf Gold- und
eine Silbermedaille im Turnen für Deutschland.
Alfred Flatow verhungerte im Dezember
1942 in Theresienstadt. Sein Cousin Gustav
Flatow, auf 20 Kilogramm Körpergewicht
abgemagert, starb im Januar 1945 im gleichen
Konzentrationslager.

Sport als nationaler Identitätsstifter
Die jüdische Beteiligung am Sport in
Deutschland vor der NS-Zeit war nicht exklusiv
zionistisch geprägt: Deutsch-jüdische
Sportler trieben vor 1933 ihren Sport nicht
exklusiv als Juden. Doch im Gegensatz zu den
konfessionellen Sportorganisationen und der
Arbeitersportbewegung wurde der jüdische
Sportverband «Makkabi» 1933 in Deutschland
nicht aufgelöst. Er nahm vielmehr in den
folgenden Jahren einen bemerkenswerten
Aufschwung, weil er den aus Vereinen des
«Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen
» ausgeschlossenen Juden eine letzte
Möglichkeit sportlicher Betätigung bot. Der
Novemberpogrom 1938 setze dem organisierten
jüdischen Sport in Deutschland ein
Ende. Vor dem Hintergrund der politischen
Entwicklungen in der NS-Zeit werfen die
sportlichen Begegnungen zwischen jüdischen
Mannschaften aus NS-Deutschland und Palästina,
die es zuletzt 1937 gab, Fragen über
die Hintergründe, Motive und Austauschprozesse
auf.

Von L. Joseph HEID

Sport als Element des Kulturtransfers. Jüdische
Sportler zwischen NS-Deutschland
und Palästina. Hrsg. v. Lorenz Peiffer
und Moshe Zimmermann, Wallstein Verlag,
Göttingen 2013, 249 S., 24,90 Euro,
ISBN-10: 3835312340

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