Juli 3, 2014 – 5 Tammuz 5774
Verwegene Orient-Expedition

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Julius H. Schoeps rekonstruiert in «Der König von Midian» das Leben des Berliners Paul Friedmann 

Lange vor Theodor Herzl, dem Begründer des politischen
Zionismus, trieb den Berliner Historiker und Philanthropen
Paul Friedmann (1840 – um/nach 1911) die
Idee, verfolgte osteuropäische Juden am Küstenstrich
Midian auf der arabischen Halbinsel anzusiedeln. Sein
abenteuerlicher Versuch vom Winter 1891/92, Dutzende
dieser Juden im Gebiet zwischen Akaba und der Hafenstadt
El Widsch sesshaft zu machen, scheiterte kläglich
und sorgte obendrein für ernsthafte diplomatische
Verwirrungen wie für weltweite Schlagzeilen. Das neue
Buch des Potsdamer Historikers Julius H. Schoeps bettet
die Schilderung dieser verwegenen Expedition ein in
eine skizzenhafte Lebensgeschichte Paul Friedmanns,
beleuchtet dessen Briefwechsel, u. a. mit einem der
ersten amerikanischen Zionisten, Richard Gottheil, und
schildert die nachher heftigen Debatten um den «König
von Midian».
Über Friedmanns Lebensweg in Berlin wie auch später
– nach der gescheiterten Expedition – ist bis heute
nur wenig bekannt, was eine biographische Annäherung
nicht einfach macht. Indes rekonstruiert Julius H.
Schoeps – vor allem aus den erhaltenen Briefen und
den vorhandenen diplomatischen Akten wie auch aus
zeitgenössischen Zeitungsberichten - eine engagierte
Persönlichkeit, die das Leiden und die permanente Verfolgung
der osteuropäischen Juden mit wachem Blick
verfolgt und schließlich Geld, Zeit und auch ein erhebliches
individuelles Risiko investiert, um auf unkonventionelle
Weise eine jüdische Kolonie auf der Arabischen
Halbinsel zu errichten.
Dennoch: Wie kommt es, fragt man sich heute
gleichwohl, dass ein Mann, der bereits das 50. Lebensjahr
vollendet hatte, der als Historiker des Tudor-Zeitalters
sich einen Namen gemacht und das bequeme
Leben eines gutsituierten Rentiers hätte führen können,
sich auf ein solch abenteuerliches Unterfangen
eingelassen hat – ja, es quasi auch suchte? Was. so
fragt man sich weiter, hat diesen Mann bestimmt, mit
Mitteln aus eigener Tasche eine Expedition auszurüsten,
um mit aus Russland geflohenen Juden einen unwirtschaftlichen
Landstrich auf der arabischen Halbinsel
zu besiedeln?
Was Friedmann Unterfangen von anderen jüdischen
Siedlungsprojekten jener Jahre definitiv unterscheidet,
war der abenteuerliche Charakter des Ganzen. Weder
Baron Rotschild, Hirsch Kalischer noch später Theodor
Herzl sind beispielsweise auf den Gedanken gekommen,
sich einstiger preußischer Militärs zu bedienen,
um eine solche Expedition durchzuführen. Zudem
wurde Friedmanns Projekt von vielen jüdischen Zeitgenossen
und Frühzionisten als unverantwortlicher
«Alleingang» eines Exoten betrachtet, was sich negativ
für ihn auch in der Presse niederschlug. Friedmans Leben
und seine unkonventionellen Ideen und Versuche,
das jüdische Dilemma im damaligen Osteuropa zu lösen,
verdienen gleichwohl die nötige Beachtung. Julius
H. Schoeps ist ein spannendes und unterhaltsames
Buch gelungen, dem zahlreiche kunstvoll aufbereitete
Orient-Holzstiche aus dem 19. Jahrhundert zudem ein
mystisches Flair verleihen.

AF

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