Von Peter Grimm

Gebannt schaute die Welt auf die Bilder eines gescheiterten Putsches. Dabei nimmt der eigentliche Staatsstreich gerade erst Fahrt auf. Und das sagt kein Geringerer als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan selbst. Der Herrscher spricht in seinen Nebensätzen dankenswerterweise eine eindeutige Sprache, man muss nur richtig hinhören.

Am Samstagmorgen, nach all den kämpferischen Äußerungen, die man erwarten konnte, sagte Erdogan sinngemäß, dass der Putschversuch auch eine Gabe Gottes gewesen sei, weil der nun hinreichenden Anlass zu einer gründlichen Säuberung biete. Angesichts der bislang schon laufenden Verfolgungs- und Verhaftungswellen gegen Erdogan-Kritiker dürfte es keinen Zweifel geben, dass Erdogan es ernst mit weiteren „Säuberungen“ meint. Musste Erdogans Gefolgschaft bislang noch jeden Oppositionellen, den sie verfolgen wollte, zum Unterstützer von „Terroristen“ erklären, so reicht es künftig, ein mutmaßlicher Unterstützer des Putschversuchs gewesen zu sein. Und ist nicht jeder, der sich ein Ende der Erdogan-Herrschaft wünscht, ein klammheimlicher Putsch-Unterstützer?

Für Erdogan ist der gescheiterte Militärputsch die Chance, noch stärker als bisher mit den Mitteln eines Diktators gegen Kritiker vorzugehen, als er es bislang schon tut. Während alle westlichen Regierungen in ihren besorgten Stellungnahmen darauf verweisen, dass der türkische Präsident demokratisch gewählt worden sei und deshalb im Kampf gegen die Putschisten unterstützt werden müsse, gerät manches in Vergessenheit. Beispielsweise um welchen Preis Erdogans Anhänger die letzten Parlamentswahlen gewonnen haben.

Der Präsident führte ja bereits einen regelrechten Bürgerkrieg
Als die Opposition bei der Wahl im Frühjahr 2015 zu stark wurde und die AKP keine Mehrheit bekam, verhinderte der Präsident eine Koalitionsregierung, heizte den Konflikt mit der kurdischen PKK an, führte einen regelrechten Bürgerkrieg mit massivem Militäreinsatz in Kurdistan und verschaffte mit dem Klima der Angst seiner AKP bei den Neuwahlen einige Monate später die gewünschte Mehrheit.
Nur die Verfassung konnte seine Partei immer noch nicht ändern, um Erdogan auch ganz legal größere Vollmachten zu geben. Das erforderte Maßnahmen: Sein Ministerpräsident, der nicht mehr folgsam genug erschien, wurde ausgewechselt, den Oppositionsabgeordneten ihre parlamentarische Immunität geraubt, um sie anschließend mit Ermittlungsverfahren zu überziehen, Redaktionen wurden besetzt und Journalisten mussten vor Gericht, u.a., weil sie Beweise für die frühere heimliche türkische Unterstützung des „Islamischen Staats“ veröffentlicht hatten.

All das ist vergessen, zumal sich ja gerade die deutsche Regierung wegen ihres „Flüchtlingspakts“ mit Erdogan zu vielen Ergebenheitsgesten bereit zeigt. Dass die Visafreiheit für türkische Bürger in der EU bislang daran scheiterte, dass Brüssel eine Änderung der türkischen Anti-Terrorgesetze verlangte, nach denen inzwischen fast jeder Regierungskritiker zum Terror-Unterstützer erklärt werden kann, wird wohl kaum noch eine Rolle spielen. Schließlich musste sich der Möchtegern-Sultan doch eines Militärputsches erwehren. Weiteres Nachgeben in Berlin und Brüssel ist da zu erwarten. Verständnis für die nächsten Verhaftungswellen von angeblichen Putsch-Unterstützern inklusive. (…)

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