Januar 6, 2017 – 8 Tevet 5777
Tagesordnung: Judenmord

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Die Wannseekonferenz am 20. Januar 1942  

Von Dr. Joseph Heid

Die idyllische Gegend um den Wannsees gehört zu Berlins vornehmsten Adressen. Seit 1910 ließ hier der Maler Max Liebermann ein herrschaftliches Landhaus errichten. Er konnte dies aus dem Erlös seiner teuren Bilder finanzieren. Andere kamen günstiger an Immobilien: Hitlers Leibarzt Theo Morell setzte sich 1939 durch „Arisierung“ in den Besitz einer Villa. 1939 musste die Baronin Goldschmidt-Rothschild ihr Grundstück in der Inselstraße 7 für einen Spottpreis an Albert Speer abtreten.

In der Zeit des Nationalsozialismus kam es rund um den Wannsees zu einer Reihe von Zwangsverkäufen. Eine Reihe von Prominenten nahmen hier ihren Wohnsitz: Heinz Rühmann konnte 1938 eine Landhaus-Villa sehr günstig von der Witwe des verstorbenen jüdischen „Kaufhauskönigs“ Adolf Jandorf erworben, die vor den Nazis geflüchtet war.
An diesem 20. Januar 1942 rollten dunkle Limousinen langsam die Uferstraße Am Großen Wannsee hinunter auf das Gelände mit der Hausnummer 56/58. Die SS-Villa vorgesehen zur „Schaffung und Unterhaltung von Erholungsheimen für die Angehörigen des Sicherheitsdienstes der SS sowie für deren Familienangehörigen“ war Ende 1940 gekauft worden. Eine Übernachtung mit Frühstück im luxuriösen Gästehaus kostete 5 RM. Für die Gäste standen umfangreiche „Geselligkeitsräume“ wie ein Musikzimmer, ein Billardraum, eine große Halle sowie ein Wintergarten und eine Terrasse zum Wannsee bereit.
Die Ausstattung dieser Villa und die exquisite Lage waren tatsächlich dazu geeignet, im immer grauer werdenden Berliner Kriegsalltag einer Zusammenkunft am 20. Januar 1942 einen besonderen Glanz zu verleihen und die Teilnehmer in gehobene Laune zu versetzen. Mag sein, dass das Ambiente dieses Versammlungsortes eine Art Verfremdungseffekt auf die Herren ausübte, die der Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, zu einer Besprechung eingeladen hatte, und dazu beitrug, dass die Konferenz nachgerade reibungslos verlief.

Heydrich hatte für zwölf Uhr 14 Teilnehmer zu einer „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ in die Wannsee-Villa „Minoux“ eingeladen. Es wurde dies die berüchtigtste Konferenz der Weltgeschichte, auf der die furchtbarsten Vorschläge zum Begehen des größten Menschheitsverbrechens gemacht wurden. Das Konferenzprotokoll offenbart in kaum verklausulierter Form das diabolisch-monströse Wesen des NS-Regimes in seiner Singularität. Die Konferenz selbst leitete eine Weichenstellung ein, in deren Verlauf das Wann, das Wie und das Wo der „Endlösung“ neu bestimmt wurde. Die Vernichtung der europäischen Juden wurde von nun an zu einem Projekt, das vollständig während des Krieges durchgeführt werden sollte.

Wenige Wochen zuvor, am 12. Dezember 1941 hatte Hitler die Spitzen der NSDAP in die Reichskanzlei einbestellt und unter Bezug auf seine „Prophezeiung“ vom 30. Januar 1939 ausgeführt: „Wenn es zu einem Weltkrieg kommt, so werden die Urheber dieses blutigen Krieges mit ihrem Leben bezahlen müssen.“ Nach Hitlers Logik waren damit die Juden gemeint. Es war dies der irreversible Vollzug, seiner „Prophezeiung“, die Bekanntgabe seiner „Grundsatzentscheidung“ zur Ermordung der europäischen Juden, zugleich ein weiterer Appell zur Beschleunigung und Radikalisierung der bereits in Gang gesetzten Vernichtungspolitik.

Nach Adolf Eichmanns Aussage in der Jerusalemer Untersuchungshaft rechnete Heydrich auf der Konferenz mit Protesten, zumindest mit Kritik. Doch das Gegenteil war der Fall: In einer Prozesspause im Verfahren des Staates Israel gegen Adolf Eichmann schrieb dieser im September 1961 ein Mauskript mit dem Titel Götzen, das er zu seinem Schlusswort vor dem Jerusalemer Gericht verwenden wollte. „In seltener Einmütigkeit und freudiger Zustimmung, forderten diese Staatssekretäre ein beschleunigtes Durchgreifen. Und es war die sachbearbeitende, federführende Prominenz, welche sich zur Beschlussfassung hier versammelt hatte. Und ihre Entscheidungen waren endgültig, denn sie waren von ihren Ministern und Chefs bevollmächtigt, nicht nur bindendes Einverständnis zu erklären, sondern teilweise sogar, über von Heydrich Erhofftes, hinauszugehen. Und es wurde eine offene, unverblümte Sprache gesprochen.“

Zur Wannsee-Konferenz erschienen Staatssekretäre aus verschiedenen Ministerien und Angehörige von SS und Polizei. Protokollant war Adolf Eichmann, Heydrichs Judenreferent. Durch die Offenlegung von Einzelheiten des „Endlösungs“-Programms, so war es beabsichtigt, wurden die Teilnehmer sozusagen offiziell zu Mitwissern und Mitverantwortliche am großen Judenmord. Dabei waren sie vorher schon weder unwissend noch unschuldig, waren durch ihr Handeln längst zu Komplizen des Judenmords geworden.
Staatssekretär Wilhelm Stuckart vom Reichsministerium des Innern, wollte eigentlich seinen nächsten Mitarbeiter, Ministerialrat Hans Globke – der von 1953-1963 Chef des Bundeskanzleramtes im Kabinett Konrad Adenauer war – zur Konferenz mitbringen, was Heydrich jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen und Platzgründen ablehnte. In dieser Zeit, als noch Orden und Beförderungen im NS-Apparat zu verdienen waren, waren viele erpicht darauf, teilzuhaben an der „Endlösung“. „Seht nur, wie sie sich drängeln“, meinte Heydrich in seiner zynischen Art, „wenn sie wüssten …“. Den Rest des Satzes ließ er unausgesprochen.

Am Wannsee wurde nicht mehr das Rational der „Endlösung“ diskutiert, sondern nur noch die geordnete Implementierung und die Abstimmung der Behörden untereinander. „Wenn die ‚Endlösung’ in ganz Europa verwirklicht werden sollte“, schrieb Hannah Arendt in ihrem brillanten, wenn auch umstrittenen Essay Eichmann in Jerusalem, „dann genügte es nicht, dass sie bei den staatlichen Behörden des Reichs auf schweigendes Einverständnis traf; dieses Programm war auf aktive Mitarbeit aller Ministerien und des gesamten Beamtenapparats angewiesen.“

Leiter der Wannsee-Konferenz war der damals 37-jährige SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich. Der kühle Musikersohn hatte sich im Sommer 1941 ausdrücklich von Hitlers damaligem Kronprinzen Hermann Göring beauftragen lassen, alle Vorbereitungen für eine „Gesamtlösung der Judenfrage“ zu treffen.
Die fünfzehn Männer waren ungewöhnlich jung – die Hälfte unter 40 Jahre alt –, ungewöhnlich gebildet – jeder zweite ein Doktor, zehn mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium, unter ihnen wiederum neun Juristen. Das Thema ihres geheimen Treffens: der Judenmord, oder, wie es bereits auf dem Einlandungsschreiben zur Konferenz vermerkt war – die „Endlösung der Judenfrage“. Es ging nicht mehr über den Entschluss zur „Endlösung“, die Teilnehmer sollten allein die Durchführung einer längst von Hitler befohlenen Entscheidung besprechen und gutheißen.

Heydrich begann die Sitzung mit dem Hinweis, „den deutschen Lebensraum“ auf „legale Weise“ von Juden zu „säubern“. Was die Juden zu erwarten hatten, liest sich im NS-Deutsch so: „Unter entsprechender Leitung sollen nun im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaus anzusprechen ist“. Was den Umfang des Judenmords betraf, hieß es unmissverständlich: „Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa von Westen nach Osten durchgekämmt.“ Und das betraf mehr als elf Millionen Menschen.

Auf die Frage bei seinem Verhör in Israel im Juli 1960, was die Formulierung „entsprechend behandelt“ bedeute, begann Eichmann zu stottern: „Das ist … das ist eine … diese Sache stammt von Himmler. Natürliche Auslese – das ist … das ist sein Steckenpferd“. Auf die Nachfrage, was es denn in diesem Zusammenhang bedeute, brachte Eichmann hervor: „Getötet, getötet! Sicherlich!“

Und das geschah mit deutscher Gründlichkeit, über die sich die nationalsozialistische Führungsspitze regelmäßig informieren ließ. So notierte Joseph Goebbels am 27. März 1942 in sein Tagebuch: „Es wird ein ziemlich barbarisches und nicht näher zu beschreibendes Verfahren angewandt, und von den Juden selbst bleibt nicht mehr viel übrig. […] Odilo Globocnik, der diese Aktion durchführt, tut dies mit ziemlicher Umsicht und auch mit einem Verfahren, das nicht allzu auffällig wirkt. An den Juden wird ein Strafgericht vollzogen, das zwar barbarisch ist, das sie aber vollauf verdient haben. […] Man darf in diesen Dingen keine Sentimentalitäten obwalten lassen. Die Juden würden, wenn wir uns ihrer nicht erwehren würden, uns vernichten. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod zwischen der arischen Rasse und dem jüdischen Bazillus. […] Gott sei Dank haben wir jetzt während des Krieges eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die uns im Frieden verwehrt wären. Die müssen wir ausnutzen. […] Das Judentum hat nichts zu lachen […]“.

Anderthalb Stunden hatte die streng geheime Zusammenkunft gedauert und Eichmann hatte alles fein säuberlich protokolliert – nachdem er sich bereits vor Beginn der Sitzung „einen Augenblick verdrückt“ hatte, um sich noch „draußen schnell einen Kognac“ zu genehmigen.
Adolf Eichmann wurde 18 Jahre später bei seinen Vernehmungen nicht müde, sich als kleines Licht, als subalterner Gestapo-Beamter darzustellen und beteuerte, welch kleines Rädchen im Getriebe, welch untergeordneter Aktentaschenträger er gewesen sei, der nur am Protokolltisch in der Ecke gesessen und Bleistifte gespitzt hatte. Er habe er das Protokoll glätten und „gewisse Auswüchse“, einen gewissen „Jargon“ abmildern, „in dienstliche Worte“ kleiden müssen. Er verstand sich trefflich auf die Terminologie, mit der der bereits in Gang gekommene Massenmord umschrieben wurde.

Eichmann besaß eine Schlüsselrolle in der praktischen Durchführung des Holocaust, er war weit mehr als ein kleiner Schreiberling, der sorgfältig notierte, was die Herren Staatssekretäre und SS-Chargen von sich gaben. „Unverblümte Worte“ und „sehr unparagraphenmäßiger“ Ton, ungeschminkte Formulierungen, die die Konferenzteilnehmer ganz männerbündisch nach Ende der Sitzung in aufgeräumte Stimmung ein Kognakschwenker oder Weinglas in der Hand austauschten, das hat er sehr wohl vernommen und nicht gewagt, dies in seiner Niederschrift aufzunehmen. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass das eigentlich Furchtbare nicht im Protokoll verzeichnet ist.

Bei seinem Verhör in Jerusalem sagte Eichmann aus, Heydrich habe ihn zu sich gerufen und ihm gesagt: „Der Führer hat die physische Vernichtung der Juden befohlen“. Daraufhin schickte Heydrich Eichmann auf „Dienstreise“, um zu sehen und darüber zu berichten, wie vernichtet wurde. Eichmann kam voller Horror von seiner Inspektion zurück. Was ihn am meisten erschüttert hatte, waren die Massenerschießungen. „Mein Gott“, so sagte er zu Heydrich, „unsere armen Jungs. Wie sollen die das bloß aushalten?“ Über die Opfer verlor er kein Wort. Aber die „armen Jungs“, die da erbarmungslos in die wehrlosen Judenmassen hineinschossen, taten ihm leid. (…)

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