Januar 11, 2018 – 24 Tevet 5778
Stärker als der Titel

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Leslie Maitlands Buch über eine Liebe im Zweiten Weltkrieg  

Von Valerie Herberg

Die besten Geschichten schreibt das Leben, heißt es. Die wahre Geschichte, die Leslie Maitland in ihrem Buch „Liebe ist stärker als die Zeit“ erzählt, ist eine besonders gute. Die amerikanische Journalistin beschreibt darin das Leben ihrer Mutter und die bewegte Liebesgeschichte zwischen ihr und ihrem Jugendfreund. Doch auch wenn der Titel anderes vermuten lässt: „Liebe ist stärker als die Zeit“ ist viel mehr als eine Liebesgeschichte.

Getrennt durch Krieg und Vertreibung
Es sind die Dreißigerjahre in Deutschland: Juden sind immer stärkeren Einschränkungen und Schikanen ausgesetzt. Janine Maitland, geborene Hanna Günzburger, lebt mit ihrer Familie in Freiburg. 1938 verlassen die Günzburgers das Land und gehen nach Frankreich. Hanna Günzburger, die hier ihren Vornamen in Janine ändert, ist zu dieser Zeit ein Teenager. In Frankreich lernt sie Roland Arcieri kennen. Die beiden verlieben sich und werden ein Paar. Als die Günzburgers auch Frankreich verlassen müssen, werden die beiden jungen Leute getrennt. In den folgenden Jahren verloren sie den Kontakt zueinander. Janine Günzburger heiratete in den USA schließlich einen anderen Mann. Jahrzehnte später machte sich Leslie Maitland, Janines Tochter, auf die Suche nach Arcieri.

Wiedergefundenes Glück
Zwei Liebende, die in den Wirren des Krieges auseinandergerissen werden – solche Geschichten muss es tausendfach gegeben haben. Die Geschichte von Maitland und Arcieri hat allerdings ein Happy End. Das ist kein Spoiler, es steht sogar auf dem Cover des Buches. In dem Buch, das wie ein Roman geschrieben ist, erzählt Leslie Maitland diese besondere Liebesgeschichte. Doch nicht nur das: Das Schicksal von Janine Maitland ist exemplarisch für das bewegte, teils dunkle 20. Jahrhundert.

Historische Hintergründe anschaulich erklärt
Auch schöne und wichtige Geschichten brauchen einen guten Erzähler, der sie den Lesern zugänglich macht. Leslie Maitland ist eine sehr gute Erzählerin. Und sie hat ein Händchen dafür, die wichtigsten Ereignisse aus dem Leben ihrer Mutter auszuwählen. Die Autorin fasst die Geschichte so zusammen, dass sie für die Leser nachvollziehbar und gleichzeitig spannend ist.

Anschaulich zu erzählen gelingt der Autorin auch, wenn es um die historischen Hintergründe geht. So erklärt sie knapp und verständlich, wie es für Juden in den Dreißigerjahren in Deutschland immer gefährlicher wurde. „In der ‚Reichskristallnacht‘, wie der Terror des 9. und 10. November 1938 genannt wurde, zertrümmerten die Nazis nicht nur Glas und Häuser, sondern auch die letzte Illusion, dass Moral und Gesetz im Reich eine Chance hätten. In Freiburg, traditionell eine Bastion des Geistes und der Kultur, wurde die großartige Synagoge aus dem 19. Jahrhundert bis auf die Grundmauern niedergebrannt.“

Sprachlich sehr schön, leicht zu lesen
Die Liebesgeschichte, die sich vor diesem Hintergrund abspielt, erzählt Leslie Maitland spannend und gefühlvoll. Leider gerät ihre Beschreibung der Begegnungen des Paares zeitweise zu pathetisch. Davon abgesehen ist der Text lebendig und sprachlich schön. Die Sätze sind zwar teils lang und verschachtelt. Das rund 700-seitige Buch liest sich trotzdem sehr leicht. Das ist auch Claus Schneggenburger zu verdanken, der das Buch aus dem Amerikanischen ins Deutsche übersetzt hat.

Der Text wirkt auch wegen der vielen Details, die Maitland beschreibt, so lebendig. Das Buch ist ausgezeichnet recherchiert. Maitland, die als investigative Journalistin bei der „New York Times“ gearbeitet hat, nahm sich zwölf Jahre lang Zeit, um Nachforschungen anzustellen. Sie reiste nach Frankreich, Deutschland, Kanada und Kuba, las Originaldokumente, sprach mit Zeitzeugen. Viele der Dokumente wie Passierscheine und Briefe sowie zahlreiche Fotos sind im Buch abgedruckt.

Erstaunlich detailliert
Dennoch ist es erstaunlich, wie genau Maitland beschreibt, was die Menschen getan, gedacht und gefühlt haben. Oft klingt es, als sei sie selbst dabei gewesen. Über die Flucht der Günzburgers aus Freiburg schreibt sie zum Beispiel: „Als sie auf dem Weg zum nahegelegenen Bahnhof das Eingangstor passierten, biss er [Janine Maitlands Vater, Anm. d. Red.] die Lippen aufeinander, sein Mund verzog sich zu einem Strich und er wandte sich ab. So versagte er sich einen letzten Blick auf all das, wofür er so lange und so hart gearbeitet hatte.“ Leslie Maitland schreibt im Nachwort, dass ihre Mutter über ein erstaunliches Erinnerungsvermögen verfügt und ihre viele Erinnerungen weitergegeben habe. Die Autorin habe zudem viele lange Gespräche mit Arcieri und anderen beteiligten Personen geführt. Sie habe versucht, Dialoge mit Hilfe der damals Anwesenden so genau wie möglich wiederzugeben.

Empfehlenswerte Lektüre
Leslie Maitland erzählt die Geschichte ihrer Mutter in einem lesenswerten Buch. Sehr gut recherchiert und gespickt mit Details ist es eine empfehlenswerte Lektüre – auch, wenn man das Ende schon kennt. Doch auch ohne die Love Story wäre Janine Maitlands Lebensgeschichte erzählenswert gewesen. Schicksale wie ihres zeigen, was Hass, Krieg und Vertreibung im Leben von Menschen anrichten können. Es ist wichtig, solche Geschichten zu erzählen.

Vielleicht tut Leslie Maitland uns den Gefallen, ein weiteres Buch zu schreiben. Eine gute Erzählerin wie sie könnte sicherlich auch erfundene Geschichten verfassen. Übrigens: Der Titel sollte ursprünglich anders lauten, wie Schneggenburger auf einer Buchvorstellung in Berlin erwähnte. Aus dem Originaltitel „Crossing the Borders of Time“ sollte „Stärker als die Zeit“ werden. Dass es anders gekommen ist, hat mit Udo Lindenberg zu tun. Als Schneggenburger das Buch übersetzte, wurde bekannt, dass der Rocksänger ein Album mit dem gleichen Titel herausbringen wollte – in etwa zu der Zeit, in der auch Maitlands Buch erscheinen würde. Verlag und Übersetzer entschieden sich deshalb, das Buch „Liebe ist stärker als die Zeit“ zu nennen. Der Titel mag etwas kitschig klingen – das Buch ist es nicht.

Leslie Maitland: „Liebe ist stärker als die Zeit“
Verlag Herder: Freiburg 2016
704 Seiten
ISBN: 978-3-451-34844-0

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