August 7, 2014 – 11 Av 5774
«Sehr viele weinten…»

image

Aufsehenerregendes Buch über deutsch-jüdische Militärseelsorge im Ersten Weltkrieg 

Im August 1914 hoffte die große Mehrheit der deutschen Juden, durch Betonung ihrer patriotischen Überzeugung die letzten Hindernisse auf dem Weg der Eingliederung in die Gesellschaft zu überwinden. Ausnahmslos sämtliche jüdische Organisationen in Deutschland, quer durch alle Schichtungen und Schattierungen, riefen ihre Mitglieder am Tag der Mobilmachung auf, freiwillig zu den Waffen zu eilen. «Dass jeder deutsche Jude zu den Opfern an Gut und Blut bereit ist, die die Pflicht erheischt, ist selbstverständlich». Oder es hieß in religiöser Konnotation: «Wir rufen Euch auf, im Sinne des alten jüdischen Pflichtgebots mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Vermögen Euch dem Dienst des Vaterlandes hinzugeben».

Auch jüdischerseits vernahm man in den Augusttagen des Jahres 1914 national(istisch)e Töne. Derartige Äußerungen wurden in den lokalen und überregionalen Presseorganen, in Kommentaren und Leserbriefen mit Begeisterung registriert. Zitiert wurde auch Leo Baeck, ein Rabbiner und aufsteigender Stern am Himmel des deutschen Judentums, der bislang als überzeugter Pazifist und Gegner des Militärs galt. Er hatte Anfang August 1914 in der liberalen Synagoge in Berlin-Charlottenburg in einer viel beachteten Predigt erklärt, dass «die schweren Tage uns alle haben empfinden lassen, wie das Leben des Vaterlandes unser Leben ist und wie das Gewissen des Volkes in dem unseren widerklingt». Zugleich kündigte er an, er werde als Feldrabbiner seinen Dienst leisten.

Im Kriege von 1870/71 hatte erstmals ein Student des jüdisch-theologischen Seminars in Breslau um die Erlaubnis zur Ausübung der Seelsorge unter den jüdischen Soldaten nachgesucht. Doch erst im Ersten Weltkrieg nahmen Rabbiner ihren Dienst als Feldgeistliche in großem Stil auf. Dies war ein weiterer patriotischer Schritt und dem Versuch geschuldet, die Judenemanzipation zu befördern.

81 Freiwillige bei Kriegsausbruch
Dem ersten Aufruf des Verbandes der deutschen Juden am 4. August 1914, als Feldseelsorger zu wirken, waren noch im gleichen Monat 81 Rabbiner gefolgt − mehr als benötigt wurden. Die Ausstattung der Feldrabbiner entsprach der Uniform der christlichen Militärseelsorger, anstelle des Kreuzes trugen sie als religiöses Zeichen den Davidstern an der Mütze und der Halskette. Für die Uniform mussten sie anfangs selbst aufkommen, und das führte bei dem einen oder anderen zur Kritik. «Meine Montur, nach der Sie fragen», schrieb Leo Baeck dem Ausschuss des Verbandes der deutschen Juden im Februar 1915, «hat sich, was den Stoff anlangt, wie ich glaube, gut bewährt.» Um dann zu bemängeln: «Ein Mangel liegt nur darin, dass seiner Zeit keine genügende Anprobe stattfand und daher manche Stücke ihre Engen und Weiten haben». Nicht viel anders erging es Feldrabbiner Bruno Italiener, seit 1907 zwanzig Jahre lang Rabbiner der Israelitischen Religionsgemeine Darmstadt war, der sich in Berlin beschwerte: «Leider muss ich Ihnen [...] mitteilen, dass der von dem Schneider für die Reithose gewählte Stoff miserabel ist; er war nach 6 Wochen durchgeschabt, und dabei habe ich noch auf keinem Gaul gesessen!»

«Mögen einzelne, mögen Tausende fallen, Deutschland wird leben, Deutschland muss leben! Amen!» Mit diesen Worten endet der Abschnitt der 1918 veröffentlichten Schrift «Jüdische Seelsorge an der Westfront» von Feldrabbiner Dr. Martin Salominski. Die grundsätzliche Beschränkung auf die Zulassung von sich freiwillig meldenden Rabbinern wurde auch im Ersten Weltkrieg beibehalten und galt für Feldrabbiner, die an allen Fronten jüdische Feldseelsorge ausübten.

Ab August 1915 erhielten die Feldrabbiner eine monatliche Aufwandsentschädigung, jedoch nur aus «Billig- keitsrücksichten», weil das preußische Kriegsministerium an dem Standpunkt festhielt, dass ihnen ein Rechtsanspruch auf Gewährung von Vergütung für ihre Tätigkeit nicht zustehe.

Die Tätigkeit der Feldrabbiner erstreckte sich auf die Veranstaltung von Gottesdiensten, auch für Kriegsgefangene, den Besuch von Lazaretten und Sanitätsformationen, die Mitwirkung bei Beerdigungen, Verteilung von religiöser Lektüre und Liebesgaben aus der Heimat, wozu an der Ostfront auf Wunsch oder mit Genehmigung des Armee-Oberkommandos die Mitwirkung bei Hilfsaktionen für die jüdische Zivilbe- völkerung im Kriegsgebiete kam.

Von Theodor JOSEPH

Komplett zu lesen in der Druckausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier abonnieren oder hier ein Probeexemplar bestellen.

Brief an die Redaktion schreiben

Soziale Netzwerke