Der Jude Gerhard Löwenthal – ein Portrait  

Von Monika Winter

Gerhard Löwenthal gehörte neben Axel Springer zu den bedeutendsten, aber auch zu den umstrittensten Publizisten der Bundesrepublik. In der „DDR“ wurde er zu einer verhassten Stimme westlicher Propaganda erklärt. Am Anfang seines politischen Lebens stand die zweifache Erfahrung des Totalitarismus. Löwenthal hat seine Biographie nicht instrumentalisiert – es sind die sorgfältig recherchierten Angaben in Büchern und einzelnen Berichte, die uns Einblick in sein Leben gewähren.

Gerhard Löwenthal wurde am 8. Dezember 1922 als Sohn des jüdischen Kaufmanns Julius Löwenthal in Berlin geboren. Seine Mutter war nicht jüdisch, viel mehr ist über sie auch nicht bekannt. Gerhard Löwenthal wuchs dennoch im jüdischen Bewusstsein auf, er bezeichnete sich sogar einmal als „orthodox“ und „zionistisch“. Doch seine eigene Auffassung davon, ob er wegen des jüdischen Vaters nun ebenfalls Jude, oder wegen der nicht-jüdischen Mutter (wie nach jüdischem Selbstverständnis) kein Jude sei, sollte bald belanglos werden. Denn die Entscheidung über die seine Selbstdefinition wurde ihm von Dritten, den Nazis, abgenommen. Im November 1938 musste Gerhard Löwenthal wegen seiner jüdischen Abstammung die Schule verlassen.

Löwenthal war 21 Jahre alt, als die Gestapo seine Großeltern abholte und ins Ghetto Theresienstadt deportierte. Nicht nur seine Großeltern, sondern der Großteil seiner Familie wurde ermordet. Nach dem Novemberpogrom 1938 wird Gerhard Löwenthal zusammen mit seinem Vater Julius für kurze Zeit in das KZ Sachsenhausen eingeliefert. Der Deportation in ein Vernichtungslager entgingen sie nur aufgrund guter Beziehungen der Mutter zu einem einflussreichen Verwandten. Es wurde dem jungen Löwenthal alsdann ermöglicht, das Optikerhandwerk zu erlernen. In dem kriegswichtigen Betrieb wurden auch die Brillen Heinrich Himmlers repariert.

1943 wurde Gerhard Löwenthal aufgrund des Vorwurfes, er gehöre einer geheimen Widerstandsgruppe an, verhaftet. Es hieß, er habe Juden, denen einen Deportation in den Osten drohte, mit gefälschten Ausweisen versorgt. Den Behörden gelang es jedoch nicht, genügend Beweise gegen ihn vorzubringen. Untergetauchten Juden hatte er jedoch tatsächlich geholfen. Zusätzlich erwirkte wieder der einflussreiche Onkel mit Beziehungen zur SS seine Haftentlassung. Der Einsatz im kriegswichtigen Betrieb half Löwenthal das NS-Regime als einer von nur wenigen hundert Berliner Juden zu überleben.

Während der letzten Tage des Krieges wäre er beinahe noch von ganz anderer Hand gestorben: Er wohnte immer noch im Hause seiner Eltern in der Knesebeckstraße in Berlin und arbeitete als Augenoptiker, als die Sowjets Ende April 1945 Berlin einkreisten. Eigentlich sehnte der junge Mann den Augenblick seiner Befreiung durch die Sowjets herbei, doch mit jenen kam es zu einem gefährlichen Missverständnis.

Löwenthal war auf die Straße gegangen, um Wasser zu holen. Dabei trug er einen Stahlhelm und eine Gasmaske zur eigenen Sicherheit. Plötzlich stellten sich ihm drei Soldaten, darunter ein Offizier, in den Weg. „Stoj! Halt!“ rief einer von ihnen. Gerhard Löwenthal ließ den Wassereimer fallen. Obwohl er sicherlich glücklich über die Befreiung war, sagte ihm sein Gefühl, er befände sich in Gefahr. Seine Antwort muss dann laut seinen eigenen Erzählungen in etwa so gewesen sein: „Nicht schießen. Ich bin Jude.“ Der sowjetische Soldat schrie ihn an: „Du lügst! Du SS! Alle Juden tot!“ Löwenthal glaubte einen leichten jiddischen Einschlag in der Sprache des Soldaten zu hören. Kurzentschlossen stimmte er das Sch´mah Jissorel (Höre Israel, der Ewige ist unser G-tt, der Ewige ist einzig) an. Danach rezitierte er das Kaddisch und begann zu weinen. Der sowjetische Leutnant starrte ihn an, senkte seine Waffe und fiel in das Gebet ein. Sie umarmten einander und die beiden anderen Soldaten senkten ihre Waffen. Danach unterhielten sie sich auf jiddisch.

Nach der Bedrängnis des Nationalsozialismus heiratete Gerhard Löwenthal die Ärztin Ingeborg Lemmer, Tochter des CDU-Politikers und späteren Bundesministers für Gesamtdeutsche Fragen Ernst Lemmer. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. Ernst Lemmer leitete während der Zeit des Nationalsozialismus Informationen über den Holocaust ins Ausland weiter. Später engagierte er sich bei der Gründung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und wurde evangelischer Vorsitzender der Berliner Gesellschaft für Christlich-Jüdische-Zusammenarbeit

Nach dem Krieg nahm Gerhard Löwenthal ein Studium der Medizin auf. Er gehörte dem ersten Studentenjahrgang an, der im Januar 1946 an der sowjetisch kontrollierten Universität „Unter den Linden“ immatrikuliert wurde. Die Zeiten waren schwer. Um etwas Geld zu verdienen, arbeitete Löwenthal bei dem neuen Nachrichtensender, dem RIAS (Radio im amerikanischen Sektor) Berlin als Jungreporter. Wenig ist bekannt aus seiner Zeit beim RIAS. 1948 berichtete er von der kommunistischen Gleichschaltung der Universität „Unter den Linden“, so dass ihm die SED-Verwaltungsdirektorin mitten in der Reportage das Mikrofonkabel durchtrennte.

Löwenthal spielte 1948 auch eine wichtige Rolle bei der Gründung der Freien Universität (West-) Berlin. In Leipzig trat er auf einem Studentenkongress gegen die Gleichschaltung Ostdeutschlands durch die SED auf. Das hatte zur Folge, dass der Delegierte der Humboldt-Universität der Tagesleitung die Botschaft übersandte: „Ich würde Löwenthal herausstellen (Strafvollzug, Ostzone / Volksgerichtshof). Man muss Löwenthal angreifen“.

Nach ersten Anfängen beim RIAS und Sender Freies Berlin ging er für 5 Jahre nach Paris, wo er für die OECD arbeitete. Danach wechselte er zum neugegründeten ZDF und übernahm die Leitung der Brüsseler Redaktion.

Ernst Reuter behauptete einmal, Löwenthal neige zur SPD. Ernst Lemmer, sein Schwiegervater nannte ihn den „roten Gerhard“. Vielleicht liegt hier der Grund, dass ihm vom Fernsehrat 1968 einstimmig die Leitung des „ZDF-Magazins“ übertragen wurde. „Unerbittlich werde sein Magazin nach schadhaften Stellen in unserer Demokratie fahnden und unabhängig, entschieden und furchtlos Stellung beziehen“, so Gerhard Löwenthal. Doch Löwenthal sah diese schadhaften Stellen der Demokratie schließlich anderswo, als das seine früheren Verbündeten vermutet hatten. Löwenthal nannte rebellierende Studenten öffentlich „marxistische Wirrköpfe, die einem neuen Totalitarismus (und Terrorismus) den Boden bereiten.“ Er wurde bekämpft, oft sogar körperlich angegriffen. Scheinbar gab ihm das noch mehr Auftrieb, die „Deutsche Demokratische Republik“ anzuprangern.

Die westliche Entspannungspolitik bezeichnet er als „Wandel durch Anbiederung“. Die unwürdige Behandlung der Menschen in der DDR behandelte er in 585 Sendungen des „ZDF-Magazins“ über etwa 20 Jahre hinweg. Löwenthal kannte dabei keine Diplomatie, er handelte konsequent und legte sich mit allen an, so auch mit Helmut Kohl. Im Februar 1976 startete die SPD einen Interviewboykott gegen das ZDF-Magazin. Herbert Wehner nannte Löwenthal einen „internationalen Störenfried“, Willy Brandt schimpfte ihn einen „Schreibtischtäter“.

Es folgte, dass Gerhard Löwenthal zum Anhänger von Franz-Josef Strauß wurde. Im September 1980 zog sich Löwenthal, der 1979 das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten hatte, dann noch einen Tadel des Intendanten zu, weil er mit der Parteinahme für Franz-Josef Strauß eindeutig gegen die Richtlinien zu Stellungnahmen im Wahlkampf verstoßen habe. Das ZDF erlaubte seine Sendung nur noch alle 14 Tage, anstatt wöchentlich. Löwenthal aber agierte weiter, eine neue Sendung nennt sich „Hilferufe von drüben“. Er stellte Einzelschicksale von Häftlingen in der „DDR“ vor und erreichte jedes Jahr die Freilassung / Freikauf von etwa 200 Häftlingen, die sich an ihn wenden.

Ost-Berlin erklärt ihn zum Staatsfeind Nr. 1., was bedeutet, dass es zu realen Bedrohungen kam. Westliche Geheimdienste hielten zudem die Bedrohungslage Löwenthals durch RAF-Terroristen für sehr hoch. Er erhielt nach der Schleyer-Entführung bis 1987 Personenschutz.
Löwenthal machte weiter und kämpfte für die Stationierung westlicher Raketensysteme und gegen die westdeutsche Friedensbewegung, die ihrerseits sehr von Stasi-Agenten durchsetzt war (z.B. Gerhard Kade von den „Generalen für den Frieden“ oder William Borm, FDP-Vorsitzender von West-Berlin).

Am 23. Dezember 1987 moderierte Löwenthal zum letzten Mal: Mit 65 Jahren hatte er die Altersgrenze erreicht und wurde, wie er es auch Jahre später noch nannte, „unter dem Druck des Linkskartells in die Zwangspensionierung geschickt“. Später wurde bekannt, dass bei Mielke und seinen Mannen in Berlin-Lichtenberg an diesem Tage die Sektkorken knallten, um die Entlassung des Dauergegners Löwenthal zu feiern.

Der oftmals verbissen wirkende Mann war ein beliebtes Spott-Objekt für Kabarettisten. So stellte ihn auch Dieter Hildebrandt als einen paranoiden antikommunistischen Unsympathen dar, der grundlos überall eine kommunistische Verschwörung wittere.

Hildebrandt und viele seiner westdeutschen Landsleute hatten (und haben noch heute) keine Ahnung davon, dass die BRD eines der geheimdienstdurchsetztesten Länder der Welt war. Deutsche konnten hervorragend unter Deutschen spionieren, Einfluss nehmen und Rufmord betreiben. Das bekam beispielsweise Rainer Barzel zu spüren, den die Stasi mit jeweils 50.000 DM Bestechungsgeld an die Unionsabgeordneten Julius Steiner und Leo Wagner um das Bundeskanzleramt brachte.

Die Maulwürfe von Honecker und Mielke saßen in westdeutschen TV- und Zeitungsredaktionen (z.B. Brigitte Heinrich bei der taz, Diethelm Schröder und Holger Oehrens bei der Bild-Zeitung, Gerhart Fleischle beim Deutschlandfunk in Köln, Günter Scheer im ZDF-Fernsehrat), waren Sekretärinnen von Politikern, waren Bundestagsabgeordnete (z.B. Anton Donhauser von der CSU), sitzen in Gewerkschaften (Kathryn Burger beim ÖTV in West-Berlin), waren Lokalpolitiker (Henning Nase in Königswinter, Wilhelm Vollmann im Kölner Stadtrat, Werner Herminghaus in Bremen), arbeiteten als Polizisten (Karl-Heinz Kurras, Walter Schabronat in Duisburg oder Rolf Grunert, Vorsitzender des westdeutschen „Bundes Deutscher Kriminalbeamter“), als Professoren (Ludwig Bress in Kassel, Dietrich Staritz in Mannheim), sind Chef der Journalistenschule Köln (Heinz Stuckmann), arbeiten beim RIAS (Michael Gromnica), als Pfarrer (Horsta Krum in Berlin, Gottfried Busch in Bonn), Unternehmer (Hannsheinz Porst von „Foto Porst“), in der Industrie (Dieter Feuerstein bei MBB, Gerhard Prager bei IBM), als Kindergärtnerin (Ismet Ergün in West-Berlin) und als Chef der Bremer Straßenbahn (Hubert Resch) heimlich für die SED-Diktatur. Andere Stasi-Leute verübten gar Mordanschläge im Westen wie z.B. Aribert Freder gegen Bernd Moldenhauer oder Peter Haack gegen Wolfgang Welsch.

Gerhard Löwenthals Ansichten waren nicht mehr in Mode. Mit der Mauer hatte man sich abgefunden („Nach 40 Jahren Bundesrepublik sollte man eine neue Generation in Deutschland nicht über die Chancen einer Wiedervereinigung belügen – es gibt sie nicht!“, so der später Bundeskanzler Gerhard Schröder noch im Juni 1989), scharfe Töne gegen die „DDR“ galten als unvernünftig und kriegstreiberisch. Was in den 1960er Jahren noch breiter Konsens bis in die SPD hinein war, galt plötzlich als „rechts“ und „reaktionär“. Trotzdem erhielt er Auszeichnungen wie den Europäischen Literaturpreis Cortina Kulisse, die Silbermedaille der Europäischen Gemeinschaft, den Konrad-Adenauer-Preis der Stiftung für Publizistik, die Goldene Kamera für den „Hilferufe von Drüben“, das Bundesverdienstkreuz und den Bayerischen Verdienstorden.

Gerhard Löwenthal verstarb am 6. Dezember 2002 in Wiesbaden und ist auf dem Jüdischen Friedhof Heerstraße in Berlin beigesetzt.

Sein wohl wichtigstes veröffentlichtes Buch war „Ich bin geblieben“, ein Buch über seine Erfahrungen um Benachteiligung, Zwangsarbeit und Todesangst während der NS-Zeit. Sein Credo: Nie wieder totalitäre Herrschaft!

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