Juni 2, 2016 – 25 Iyyar 5776
Mord verjährt nicht

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Ein Interview mit den Opfer-Anwälten des Auschwitz-Prozesses gegen den SS-Mann Reinhold Hanning  

Von Michael Groys

Guten Morgen, Herr von Münchhausen und Herr Özata. Wir befinden uns gerade in der Giesebrechtstraße in Berlin. Das ist die Straße mit der größten Anzahl von Stolpersteinen in Deutschland. Was bedeutet für euch ganz persönlich – unabhängig vom Prozess – erinnern, gedenken und mahnen?

v. Münchhausen: Ich finde die Stolpersteine sehr gut, weil man sich dadurch vergegenwärtigen kann, dass die Schoah kein abstrakter Vorgang oder lediglich Theorie war. Man kriegt ein Bild davon, wie Menschen jüdischer Abstammung hier gewohnt haben und dann im deutschen Namen deportiert worden sind. Was haben sich die Nazis dabei gedacht? Das ist ein so unfassbarer Vorgang, Teil der deutschen Geschichte, den man nicht vergessen kann, den man nicht vergessen darf.

Özata: Wir haben als Deutsche eine historische Verantwortung zu gedenken und zu erinnern. Je mehr Zeit vergeht, je weniger die Zeitzeugen werden, desto mehr wird die Unwissenheit zunehmen. Wir erleben immer wieder, dass die historische Faktizität hinterfragt wird. Wir sind es aber gerade den Opfern schuldig der Welt zu zeigen, was passiert ist, um in Zukunft solche Sachen zu verhindern.

Wer war alles an dem Holocaust schuld? Putzfrauen, Fahrer, Sekretäre? Wo beginnt und endet Schuld? Moralisch, juristisch, zeitlich?

v. Münchhausen: Der Antisemitismus war in Deutschland schon immer da und bildete natürlich die Grundlage für den Holocaust. Die Menschen, die in Auschwitz vor Ort waren und irgendeine Tätigkeit ausgeübt haben, wie übrigens Hanning, der dort drei Jahre war, die haben sich mitschuldig gemacht. Jeder, der wusste, was dort passierte und sich nicht entzog – und diese Möglichkeit gab es –, der hat sich mitschuldig gemacht.

Özata: Am Beispiel Reinhold Hannings kann man es besonders gut festmachen. Er ist der Beihilfe zum vieltausendfachen Mord angeklagt. Er hat ganz konkret durch seine Wacharbeit im Lager verhindert, dass Häftlinge fliehen konnten. Hätte es diese Männer nicht gegeben, wäre auch die Schoah nicht so passiert. Seine Schuld an der Schoah ist gravierend. Er wurde übrigens befördert, was nur SS-Männern zuteil wurde, die sich durch „besonderer Leistung“ hervortaten.

Gibt es eine gerechte Strafe für solche Täter?

v. Münhausen: Herr Kaufmann, der am vorletzten Tag als Zeuge auftreten wollte, hatte eine ganz interessante Idee. Für ihn bestünde eine gerechte Strafe darin, wenn er mit Herrn Hanning nach Auschwitz fahren könnte. Dort würde Marschmusik gespielt, welche die Arbeitskommandos hören mussten, während Hanning in SS-Uniform auf den Knien Herrn Kaufmann um Verzeihung bitten müsste. Das hört sich komisch an, aber wie soll man heute bestrafen? Heute mit 94 Jahren wird er sicher nicht ins Gefängnis wandern.

Wieso also dann noch das Verfahren? Dafür wurden Sie ja nicht selten kritisiert.

Özata: Das Verfahren ist absolut wichtig, weil Mord nicht verjährt. In unserer Rechtsordnung ist die Verletzung des Rechtsgutes „Leben“ so schwerwiegend, dass niemals Verjährung eintritt. Auch aus Sicht meiner Mandantin ist es sehr wichtig, dass diesen Männern endlich ein Prozess gemacht wird, nach all diesen Jahren. Sie hat über 30 Familienmitglieder verloren. Für sie ist das eine Form der Genugtuung. Vor allem aber ist es extrem wichtig, dass man das auf die Tagesordnung setzt, die Opfer zu Wort kommen lässt und nochmal thematisiert, was dort eigentlich geschah. Sie will keine Rache. Sie würde sich wünschen, dass er als Strafe in die Schulen geht und erzählt, was er in Auschwitz getan hat. (...)

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