Der Karlsruher FV und seine jüdischen Fußballhelden Gottfried Fuchs und Julius Hirsch  

Von Tal Leder

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges zählte der KFV zu den besten deutschen Fußballmannschaften. Höhepunkt war der Gewinn der deutschen Meisterschaft 1910. Acht Spieler gehörten zwischen 1908 bis 1913 zum Stamm der A-Nationalmannschaft, darunter ihre jüdischen Starspieler Gottfried Fuchs und Julius Hirsch.

„Karlsruhe vor, noch ein Tor!“ Die Zeiten als in der badischen Hauptstadt noch rauschende Fußballfeste gefeiert wurden, sind schon lange vorbei. Mit dem diesjährigen Abstieg des Karlsruher Sport Clubs (KSC) aus der Zweiten Bundesliga hat die ehemalige süddeutsche Fußballmetropole seinen absoluten Tiefpunkt erreicht.
Viele begeisterte Fans erinnern sich noch daran, als Karlsruhe eine Dekade lang ab Ende der 1980er Jahre zu den besseren Fußballmannschaften in Deutschland zählte, doch dass diese Stadt vor über 100 Jahren den deutschen Fußball, vor allem wegen zwei jüdischer Spieler, prägte und mitbestimmte, das wissen nur die Wenigsten.

Als am 28. Januar 1900 in Leipzig 86 Vereine die Schaffung eines Deutschen Fußballbundes (DFB) beschlossen, gehörte auch der Karlsruher Fußball Verein (KFV) zu den Gründungsmitgliedern. Der Klub, der 1891 gegründet wurde, entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer der besten und erfolgreichsten Mannschaften im damaligen Kaiserreich. Zu seinen „Vätern“ gehört u. a. Walther Bensenmann, einer der wichtigsten Fußball-Pioniere Deutschlands. Er entstammte einer jüdischen Bankiersfamilie in Berlin und wurde auch als Herausgeber des Magazins „Der Kicker“ bekannt.

Der Siegeszug des KFV beginnt lange vor dem Ersten Weltkrieg, als die Spieler fünfmal in Folge die Süddeutsche Meisterschaft (1901 bis 1905) gewinnen und sich somit für die jeweilige Endrunde um den nationalen Titel qualifizieren konnten. Zwar standen sie sogar 1905 im Finale um die deutsche Meisterschaft, unterlagen da aber noch Union ‘92 Berlin. Als in den folgenden Jahren das Team dann in einer Krise steckte, übernahm zu Beginn des Jahres 1909 der charismatische Engländer William Townley das Topteam aus der Badener Region.

Der ehemalige Spieler hatte sich zum Ziel gesetzt eine Spitzenmannschaft aufzubauen und revolutionierte seine Philosophie des damals weltweit so beeindruckenden schottischen Flachpassspiels (Stoppen, schauen, zuspielen) bis in die Jugendabteilungen des Vereins.
Von Beginn an baute er die Mannschaft um und brachte einige junge Talente ins Team, unter denen die jüdischen Spieler Julius Hirsch und sein Freund Gottfried Fuchs zu den besten zählten.

Julius Hirsch, von allen nur „Juller“ genannt, wurde am 7. April 1892 im mittelbadischen Achern im Schwarzwald in eine jüdische Familie geboren, die sehr vom deutsch-nationalen Bürgertum geprägt war. Sein Vater nahm als Soldat am Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 teil.
Während seiner Schulzeit in Karlsruhe trat er 1902 mit 10 Jahren dem KFV bei. 1909 holte Ihn Townley in die 1. Mannschaft und am 17. Dezember 1911 wurde er sogar der erste deutsche Fußball-Nationalspieler jüdischen Glaubens.

In beiden Mannschaften sollte sein kongenialer Sturmpartner Gottfried Fuchs werden. Dieser erblickte am 3. Mai 1889 in Karlsruhe ebenfalls in einer jüdischen Familie das Licht der Welt. Nachdem er zunächst seine Laufbahn 1904 beim Düsseldorfer SC begann, war er drei Jahre später für seine Heimatstadt als Torjäger aktiv.

Älteste deutsche Filmaufnahme eines Fußballspieles
Zusammen mit ihrem nichtjüdischen Kollegen Fritz Förderer bildeten sie das berühmteste Innensturmtrio ihrer Zeit und lehrten ganz Fußball-Deutschland das Fürchten. Eine erfolgreiche Zeit begann. In der süddeutschen Meisterschaft war der KFV zwischen 1910 und 1912 nicht zu schlagen. Doch vor allem die Saison 1909/1910 sollte die erfolgreichste werden.
Im Halbfinale um den nationalen Titel mussten sie gegen den innerstädtischen Rivalen und deutschen Meister aus dem Vorjahr, dem Karlsruher FC Phönix (später Karlsruher SC) antreten, und gewannen in einem berauschenden Spiel – welches von vielen noch immer als das beste des KFV angesehen wird – mit 3:0.
Es gibt Filmmaterial zu dieser Partie, das lange Zeit als verschollen galt und 2014 während einer Recherche über Phoenix Karlsruhe zufällig im British Film Institute gefunden wurden. Es kann als eine kleine Sensation betrachtet werden, denn es handelt sich dabei um die älteste deutsche Bewegtbildaufnahme eines Fußballspiels. Bisher waren nur Aufnahmen aus dem Jahr 1923 bekannt.

Als dann noch gegen Holstein Kiel im Endspiel mit 1:0 in der Verlängerung gewonnen wurde, kannte das Feiern in Südwestdeutschland kein Grenzen mehr. Es sollte die einzige deutsche Meisterschaft werden. Zwei Jahre später standen sie zwar noch einmal gegen denselben Gegner im Finale, zogen aber dann mit dem gleichen Ergebnis gegen den norddeutschen Rivalen den Kürzeren.

Zwischen 1908 bis 1913 kamen sieben Kicker des Karlsruher Fußballvereins für die deutsche A-Nationalmannschaft zum Einsatz. Hirsch und Fuchs erzielen 1912 beim legendären 5:5-Länderspiel gegen die Niederlande alle Tore. „Juller“ trifft sogar viermal. Im selben Jahr verewigte sich dann Fuchs während der Olympischen Spiele in Stockholm mit seinen zehn Toren beim Spiel gegen Russland in den Fußball-Geschichtsbüchern. Dieser Weltrekord hatte bis 2001 Bestand und wurde erst vom Australier Archie Thompson übertroffen, als dieser 13 Tore in einem Spiel schaffte.

Sowohl Hirsch als auch Fuchs dienten während des Ersten Weltkriegs als Frontsoldaten und wurden mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet.
Nach dem Krieg spielte Hirsch, der 1913 nach Fürth gewechselt war und ein Jahr später mit der SpVgg seinen zweiten nationalen Titel gewann, noch bis 1925 für den KFV, während Fuchs bis 1920 nochmal für den Düsseldorfer SC seine Fußballschuhe schnürte.

Im selben Jahr heiratete Julius Hirsch die Nichtjüdin Ella Karolina Hauser. Er hatte mir ihr zwei Kinder und leitete mit seinem Bruder die Holzfirma seines Vaters. Nachdem diese 13 Jahre später Konkurs anmeldete, wurde er arbeitslos. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten und den daraus folgenden „Nürnberger Rassengesetzen“ wurde Hirsch wegen seiner jüdischen Abstammung verfolgt. Als die jüdischen Mitglieder ab 1933 aus den Sportvereinen ausgeschlossen wurden, musste Hirsch schweren Herzens seinen geliebten KFV verlassen und trat freiwillig aus dem Verein aus.
Da Juden zu dieser Zeit nicht mehr im deutschen Fußball mitarbeiten dürfen, bewirbt er sich in der Schweiz und Frankreich als Fußballtrainer. Leider erfolglos. Was ihn schließlich veranlasst nach Karlsruhe zurückzukehren und eine Stelle als Spielertrainer beim jüdischen „Turnklub 03“ anzunehmen.

Bitterer Abstieg und ein Selbstmordversuch
Geplagt von den Repressalien der Nazis- und der daraus ständigen Existenzangst versucht sich Hirsch im November 1938 das Leben zu nehmen, in dem er nach einem Verwandtenbesuch in Frankreich aus dem Zug springt. Er überlebt und erfährt in einer Psychiatrie von der Pogromnacht. Nach seiner Entlassung lässt er sich von seiner Frau scheiden, um sie und beiden Kinder vor Verfolgungen zu bewahren. Mit dem gelben Stern auf der Brust musste der ehemalige deutsche Fußball-Nationalspieler beim städtischen Tiefbauamt Karlsruhe als Hilfsarbeiter auf einem Schuttplatz Schwerstarbeit leisten. Außerdem musste er sich „Julius Israel Hirsch“ nennen und den gelben Stern tragen. KFV- Heimspiele soll er noch besucht haben, obwohl das für ihn verboten war – ein älterer Kartenkontrolleur ließ ihn durch den Hintereingang rein.

Im Februar 1943 erhielt Hirsch die Anweisung sich zum Arbeitstransport am Bahnhof einzufinden. Ein Lokführer, den er aus alten Fußballtagen kannte, bot ihm an zur Flucht zu verhelfen, was Hirsch jedoch ablehnte. Als stolzer kaisertreuer deutscher Jude verdrängte er wie viele die Gefahr und konnte sich nicht vorstellen, dass nach seinem Leben getrachtet wird. Am 1. März 1943 wurde er schließlich mit elf weiteren badischen Juden, in einem derartig letzten Transport, aus Karlsruhe nach Auschwitz deportiert, wo sich seine Spur verliert.

Sein Kollege Fuchs konnte dieses Schicksal verhindern und erkannte die Bedrohung der Nazis. Nach seiner Fußball-Karriere ehelichte er die Warschauer Architektin Eugenia Steinberg und war ebenfalls im Holzbetrieb seiner Familie tätig. Ab 1928 zog er mit seiner Frau und Kindern nach Berlin, wo er ein begeisterter Tennisspieler wurde.

Obwohl er noch bis 1937 beruflich tätig sein konnte, entschloss sich die Familie Fuchs zur Emigration in die Schweiz. Da sie dort nicht bleiben durften, zogen sie weiter nach Frankreich, was möglich war, da Gottfried Fuchs‘ Vorfahren aus dem Elsass kamen. Als der Krieg ausbricht, wird er dort als „deutscher Feind“ gesehen und muss fliehen. Seine Frau schaffte es noch in letzter Minute vom kanadischen Botschafter in Paris, General Georges Vanier, ein Visum für Nordamerika für die ganze Familie zu bekommen, was ihnen schließlich das Leben rettete. In Kanada lebte er dann als Godfrey Fox ein eher bescheidenes Leben.

Nach dem Krieg
Nach dem Krieg wollte die junge Bundesrepublik nur nach vorne schauen und die Nazizeit so schnell wie möglich vergessen. Vergangenheitsbewältigung konnten oder wollten viele nicht. Es dauerte etliche Jahre bis das Vermächtnis von Hirsch und Fuchs an die Öffentlichkeit gelangte. Mittlerweile tragen Straßen- oder Sportzentren in Deutschland ihre Namen. In Karlsruhe wurde ein Stolperstein mit dem Namen Julius Hirsch vor seinem ehemaligen Haus in Karlsruhe eingelassen.

Und seit dem Jahre 2005 ehrt der DFB Personen und Organisationen für besonderen Einsatz, Toleranz und Menschenwürde, gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, mit dem „Julius-Hirsch-Preis“. Für die gleichen Verdienste verteilt der baden-württembergische Verband seit 2017 den „Gottfried-Fuchs-Preis“

Obwohl „Godfrey Fox“ sein Leben in Kanada verbrachte, reiste er immer wieder nach Deutschland zurück, vor allem um Reparationsfragen zu klären. Doch obwohl er stets Einladungen seiner Heimatstadt bekam, vor allem von seinem früheren Verein Karlsruher FV, lehnt er diese stets ab, „weil sie den Juller ermordet haben.“

Der ehemalige Bundestrainer Sepp Herberger trug maßgeblich dazu bei, dass Gottfried Fuchs nicht in Vergessenheit geriet. Auf seine Initiative hin bekam der ehemalige Torjäger in Kanada die goldene Ehrennadel des DFB zugeschickt. Auch wollte er ihn aus Respekt für seine 10 Tore gegen Russland zur Einweihung des Münchner Olympiastadions am 26. Mai 1972 einladen. Zum Bedauern von Herberger, der in Fuchs den Franz Beckenbauer seiner Jugend sah, kam es nicht mehr dazu. Gottfried Fuchs starb am 25. Februar 1972 im Alter von 82 Jahren in Montreal an einem Herzinfarkt.

Seit einigen Jahren gibt es einen regen Kontakt der Nachkommen von Julius Hirsch und „Godfrey Fox“ und sogar gemeinsame Auftritte bei einigen DFB-Veranstaltungen. Eine Art „KFV Wiedervereinigung“ der Enkel der ehemaligen deutsch-jüdischen Nationalspieler.

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