Wie die Willkür des Facebook-Algorithmus die Pressefreiheit bedroht  

Von Carl Jancke

Soziale Medien waren nicht für die politische Diskussion gedacht. Wenn Facebook im Namen impliziert, sein Gesicht zu zeigen, hat Marc Zuckerberg nicht an politischen Anstand gedacht, sondern an eine Art virtuelles Jahrbuch seiner Elite-Universität. Mit den Geistern, die er rief, ist er nun heillos überfordert. Das zeigt auch die Tatsache, dass die JÜDISCHE RUNDSCHAU-Autorin Jaklin Chatschadorian auf Facebook gesperrt wurde, weil sie ihren eigenen Artikel aus dieser Zeitung („Von moslemisch sozialisierten Männern geht überdurchschnittlich viel Gewalt aus“) gepostet hatte.

Ihre Ankündigung war nicht reißerisch, sondern fast bis zur Langeweile neutral: „Diesmal geht es in meinem Artikel darum, dass von muslimischen Männern überdurchschnittlich viel Gewalt ausgeht und es geht um die Gewöhnung an moslemische Gewalt sowie die Verschiebung unseres Wertegerüstes“. Facebook hat diesen Text zweimal geprüft und bestätigt, dass er „unseren Gemeinschaftsstandards nicht entspricht“.

Mit diesem Erlebnis steht Jaklin Chatschadorian nicht allein da. Ein Zitat und eine Verlinkung zu einem Text der Autorin Cora Stephan in der „Neuen Zürcher Zeitung“ wurde im Mai 2018 ebenfalls gesperrt. Die Liste der politisch offenbar nicht genehmen, und daher gesperrten Autoren ist lang. Und diese Löschungen sind kein Zufall, sondern Willkür. Besonders dramatisch ist, dass Facebook die von Callcenter-Betreibern ausgesprochenen standrechtlichen Löschungen und Sperrungen auch dann nicht rückgängig macht, wenn sie wie in diesem Fall offensichtlich unberechtigt sind.

Löschkriterien sind undurchsichtig
Facebook löscht auf der Basis von vier Kriterien Beiträge und führt anschließend Sperrungen durch: Erstens durchforstet ein Lösch-Algorithmus die neuen Einträge nach bestimmten Bildern und Schlüsselbegriffen. Problematische Begriffe werden wohl den Mitarbeitern in den Löschzentren zugespielt, die dann im Sekundentakt über eine Löschung entscheiden. Daneben werden Posts von anderen Facebook-Mitgliedern gemeldet, mit denen dann in den Löschzentren ähnlich verfahren wird. Daneben werden dort wohl von diesen Mitarbeitern in geringem Umfang auch noch eigene Recherchen durchgeführt.

Die Mitarbeiter, die über keine juristische oder akademische Ausbildung verfügen müssen und von Call-Center-Betreibern angestellt sind, werden offensichtlich politisch geschult. Dabei wird insbesondere darauf Wert gelegt, dass die Mitarbeiter sogenannte „rechte“ Inhalte erkennen und löschen. Das beschreibt die ehemalige Bürgerrechtlerin, CDU-Bundestagsabgeordnete und Autorin Vera Lengsfeld, die den Bericht einer früheren Mitarbeiterin einer Löschzentrale aufgezeichnet hat, der nahelegt, dass Institutionen, die der Bundesregierung besonders nahestehen wie die Bertelsmann-Stiftung oder die Amadeu-Antonio-Stiftung (geleitet von der ehemaligen Mitarbeiterin des SED-Geheimdienstes Stasi, Anetta Kahane) in diese Schulung involviert sind.

Aus der Sicht der Betreiber sozialer Netzwerke ist dieses Verhalten sinnvoll und verständlich. Denn seit Ende 2017 gilt das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“, dass die Bundesjustizministerin ermächtigt, bei der Veröffentlichung von „Fakenews” oder „Hatespeech“ Strafen im zweistelligen Millionenbereich zu verhängen. Da kann vorauseilender Gehorsam sinnvoll sein. Erschwerend kommt für Facebook und Co. hinzu, dass „Hatespeech“ oder „Fakenews“ keine stehenden Rechtsbegriffe sind, was dem Staat Tür und Tor zur Meinungsmanipulation öffnet. Der Staat hat die Zensur privatisiert und die Netzwerkbetreiber haben sie automatisiert. Das Problem: Der Algorithmus kann nicht zwischen Statistik, Vorurteil und möglichem Rassismus unterscheiden. Die Facebook- Nutzerin Doris Laser wurde im Herbst 2017 für die gleiche Aussage, nämlich dass muslimische junge Männer gewalttätiger sind als andere, für einen Monat gesperrt. Dabei hatte sie lediglich die Ergebnisse der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes präsentiert. Beide Texte und Facebook-Posts sind vom Grundgesetz gedeckt, ihre Löschung bedeutet einen Verstoß gegen die Meinungs- und Pressefreiheit.

Offensichtlich operiert der Algorithmus aber nicht nur mit Schlüsselbildern und -Begriffen. Wer bereits einmal gesperrt war, oder wessen Beiträge schon einmal gelöscht wurden, der gerät auf so etwas wie eine „schwarze Liste“. Ihr oder sein Profil wird besonders oft und gern durchsucht, eine Löschung schneller getätigt oder und die entsprechende Person immer länger – bis zu 30 Tagen – gesperrt. Wer wie die Autorin Anabel Schunke für ihre journalistischen Aktivitäten über Facebook Spenden sammelt, für den ist das auch ein materieller Verlust. Für alle anderen Nutzer ist dies mit einem Verlust an Reichweite verbunden, die eigenen Positionen finden nicht mehr so viel Gehör.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Sperrungen und Löschungen seien das gute Recht eines Privatunternehmens, das ja nur freiwillig eine Kommunikationsplattform bereitstelle. Dabei wird übersehen, dass die Facebook-Nutzer für die Bereitstellung der Plattform bezahlen – mit ihren Daten und noch mehr mit dem Netzwerk ihrer Kontakte. Weil der Facebook-Algorithmus natürlich auswerten kann, welche Kontakte man hat und in welchen Gruppen man ist, kann er nicht nur einem selbst zielgerichtet Interessen und Werbung zuordnen, sondern auch den dabei erfassten anderen Facebook-Nutzern. Und dann kann und darf das soziale Netzwerk nicht seine Marktmacht nutzen, um einseitig Konventionalstrafen auszusprechen. Und genau das sind diese Sperren.

Der vorauseilende Gehorsam vor der Politik und dem „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ führt dazu, dass immer wieder Beiträge aufgrund nebulöser „Community Standards“ durch soziale Netzwerke gelöscht werden – ein willkürlicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und das Vertragsverhältnis.

Kein Privatunternehmen wie alle anderen
Dabei ist selbst die Definition von Facebook als privatem Angebot, das der Anbieter so gestalten kann, wie Zuckerberg es will, richterlich widerlegt. Das Oberlandesgericht München hat geurteilt, dass individuelle Grundrechte auch innerhalb „der Nutzervereinbarungen eines privatwirtschaftlichen Unternehmens wirksam“ sein müssen. Andere interpretieren das Urteil so, dass aufgrund der über 2 Milliarden Nutzer Facebook nicht die Privatsphäre des Unternehmens ist, sondern öffentlicher Raum.

Das macht es auch unwahrscheinlich, dass das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat, auch wenn jenes sich in Sachen Medien schon das ein oder andere Fehlurteil geleistet hat. „Fakenews“ und „Hatespeech“ sind wie bereits erwähnt keine bestimmten Rechtsbegriffe. Beleidigung, üble Nachrede oder Volksverhetzung hingegen schon. Doch dafür braucht man kein „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ und keine „Community Standards“. Eine Klage vorm Bundesverfassungsgericht könnte den Irrsinn also stoppen.

Die Löschung des Beitrags und die Sperre von Jaklin Chatschadorian ist übrigens rechtswidrig. Das Landgericht Köln entschied auf dem Wege der einstweiligen Verfügung, dass die AGB von Facebook zugunsten der Meinungsfreiheit auszulegen sind, „die Aussagen der Nutzer hingegen zugunsten der Nutzer“. Es kann nicht festgestellt werden, „dass der gepostete Link und der unter dem Link abrufbare Artikel den Begriff der Hassrede erfüllt oder dieser gegen gesetzliche Gebote verstößt”

Seit geraumer Zeit kämpft vor allem der in Hamburg ansässige Medienanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel für die Rechte derjenigen Facebook-Nutzer, die aufgrund politisch missliebiger Kommentare durch den Konzern gesperrt wurden. 

Wenn Sie Herrn Steinhöfels wertvolle Arbeit unterstützen möchten, können Sie das hier durch eine Spende tun: 
https://meinungsfreiheit.steinhoefel.de/spenden

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