Nach 2.700 Jahren jüdischer Präsenz hat sich der Irak mit fünf Jahrzehnten gewaltsamer Juden-Vertreibung das traurige Prädikat „judenrein“ verdient. 

Von Stefan Frank

Am diesjährigen 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, hätte auch einem anderen Ereignis aus der Geschichte der mörderischen Verfolgung der Juden gedacht werden sollen, das in der westlichen Welt so gut wie vergessen ist.

Vor 50 Jahren, am 27. Januar 1969, wurden in Bagdad auf dem sogenannten „Platz der Befreiung“ vor den Augen einer riesigen Menschenmenge 14 unschuldige Menschen – neun Juden, drei Muslime und zwei Christen – gehängt, die fälschlicherweise der Spionage für Israel bezichtigt worden waren.

Seit über 2.700 Jahren hatte es auf dem Gebiet des heutigen Irak jüdische Gemeinden gegeben, im Jahr 1936 hatte der Irak laut einer offiziellen Statistik 120.000 jüdische Bürger. Heute ist der Irak, wie fast alle arabischen Länder, „judenrein“. Die erste Etappe auf dem Weg der gewaltsamen Vertreibung der irakischen Juden waren die Pogrome vom 1. und 2. Juni 1941, die von Hadschi Amin el-Husseini, dem Großmufti von Jerusalem, der ein gegen Großbritannien und die Juden gerichtetes Bündnis aller arabischen Muslime mit dem Dritten Reich anstrebte, angeregt worden waren. Bei dem Farhud (das Wort bedeutet so viel wie „gewaltsame Enteignung“), einer Welle von Plünderungen, Vergewaltigungen und Morden, wurden Hunderte irakischer Juden ermordet.

Nach der Gründung Israels waren die Juden im Irak weiter starker Verfolgung ausgesetzt – Zionismus galt als Verbrechen – und emigrierten massenhaft, die meisten zwischen 1949 und 1951. Wer das Land verließ, musste auf seine Staatsbürgerschaft verzichten und seinen Besitz zurücklassen. 1969 lebten noch etwa 3.000 Juden im Irak. Es war das dritte Jahr gesteigerter antijüdischer Agitation im Zuge der Niederlage der arabischen Armeen gegen Israel im Juni 1967. Die Ba’ath-Partei unter General Ahmed Hassan al-Bakr und Saddam Hussein hatte sich im Juli 1968 an die Macht geputscht. Schon am 6. September 1967 hatte sie eine große Demonstration angeführt. In seinem Buch „Republic of Fear. The Politics of Modern Iraq“ schreibt der irakisch-britische Historiker Kanan Makiya:

„Sie [die Führer der Ba’ath-Partei] verlangten ein Vorgehen gegen örtliche Agenten des Zionismus und Imperialismus und brachten etwas in die politische Arena zurück, das es seit Jahren nicht mehr gegeben hatte: die Idee einer fünften Kolonne, die verantwortlich war für die Verheerungen im Juni-Krieg.“ 

Iraks eigene Verluste waren gering; die Regierung meldete zehn getötete und 30 verwundete irakische Verluste in den sechs Tagen des Krieges. Doch viele im Irak begriffen sich als Teil eines größeren Verbunds, der besiegt worden war: „Die Geister Zehntausender gefallener Ägypter, Syrer, Jordanier und Palästinenser, nicht zu sprechen von der Besatzung von Territorien, dem Kollaps ganzer Armeen und der Zerstörung von Gerät – all dies fügte sich in der Phantasie gewöhnlicher Männer und Frauen als das Werk von Iraks winziger jüdischer Gemeinde zusammen …“, so Makiya.

Tod den Spionen

Zwischen dem Ende des Sechs-Tage-Kriegs und der Eroberung der Macht am 17. Juli 1968 übte die Ba’ath-Partei Druck auf die Regierung von Präsident Abdul Rahman Arif aus, gegen die irakischen Juden vorzugehen. Wie Makiya schreibt, führte das zunächst vor allem zu Diskriminierungs-Maßnahmen im Wirtschaftsleben und an den Universitäten. Zudem wurden rund hundert Juden zeitweise festgenommen. „Keiner aber wurde gefoltert oder getötet“, so Makiya. Mit ihrer Machtergreifung im Juli 1968 aber führte die Ba’ath-Partei ein Terrorregime ein. Das Büro des irakischen Coca-Cola-Unternehmens wurde gestürmt, der Präsident verschleppt und ermordet. Juden wurden auf der Straße verhaftet – doch nicht nur sie: Ebenso traf es ehemalige Minister, Geschäftsleute, Offiziere, Intellektuelle, Ärzte und andere Angehörige freier Berufe. Am 9. Oktober 1968 verkündete die Regierung, sie habe einen großen zionistischen Spionagering in Basra ausgehoben. 17 Juden wurden verhaftet und zu Verhörzentren gebracht, die nach der Machtergreifung überall im Land eingerichtet worden waren. Im November gingen die Verhaftungen weiter. Am 25. November griffen irakische Artillerieverbände, die in Jordanien stationiert waren, ein letztes Mal während dieses sogenannten „Abnutzungskrieges“ Israel an. Bei einem israelischen Gegenangriff am 4. Dezember wurden zahlreiche irakische Soldaten getötet. Am folgenden Tag organisierte die Partei einen großen Umzug mit Särgen der Gefallenen vom „Platz der Befreiung“ zum Präsidentenpalast, an dem rund 40.000 Menschen und teilnahmen, unter ihnen, so Makiya, „ein großes Kontingent palästinensischer Guerillas“. Präsident Ahmad Hasan al-Bakr hielt eine Rede, die im irakischen Fernsehen übertragen wurde:

„Zur selben Zeit, wo wir wachsendem Druck und wiederholten Angriffen auf unsere heldenhafte Armee ausgesetzt sind, stehen wir verräterischen Bewegungen von Gesindel der fünften Kolonne und den neuen Unterstützern der USA und Israels gegenüber. … Diese verdächtigen Bewegungen führen die Aufträge durch, die ihnen zugewiesen wurden und übernehmen ihre Rolle in der amerikanischen Verschwörung. Sie trachten danach, bösartige Gerüchte zu verbreiten und Störungen zu provozieren und verüben zu diesem Zweck Mordanschläge und Sabotage und unternehmen Operationen hinter den Linien unserer heldenhaften Armee … mit dem Ziel, uns von der großen Schlacht mit dem zionistischen Feind abzuhalten. … Wir werden diese Ausbeuter und Mitglieder der Fünften Kolonne mit eiserner Faust schlagen, die Mägde des Imperialismus und Zionismus.“

Immer, so Makiya, wenn al-Bakr zwischendurch die Menge fragte: „Was wollt ihr?“, antwortete diese: „Tod den Spionen, Hinrichtung der Spione, aller Spione, ohne Verzug!“ Das Fernsehen zeigte das „Geständnis“ eines muslimischen Irakers, der im Interview sagte, er sei Teil einer Verschwörung gewesen, die Waffen von Israel über den Iran zu den irakischen Kurden hätte bringen sollen, gegen die das Regime zu dieser Zeit Krieg führte. (…)

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