Februar 9, 2018 – 24 Shevat 5778
GSG-9: Als Deutschland noch von Israel lernte.

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Ulrich Wegener – das preußische Auge Israels in Entebbe  

Von Carl Jancke

Ulrich Wegener hat deutsche Geschichte geschrieben. Ohne seine GSG-9 wäre der Sieg über den Terrorismus nicht gelungen. Weithin unbekannt war seine Nähe zu Israel und seine eigenmächtige Aufklärungsaktion im ugandischen Entebbe, die die israelische Kommandoaktion wesentlich erleichterte.

Was wäre gewesen, wenn es im Oktober 1977 keine GSG-9 gegeben hätte, die die Lufthansa-Maschine „Landshut“ stürmte und den RAF-Terror besiegte? Die deutsche Geschichte wäre anders verlaufen. Manchmal gibt es einzelne Menschen, die Geschichte schreiben.

Einer davon ist Ulrich Wegener, der Gründungskommandeur und Initiator der Grenzschutzgruppe 9. Und es gab niemanden, der mehr für die Zusammenarbeit der deutschen und israelischen Sicherheitskräfte getan hat. Dabei nahm gerade die einen furchtbaren Anfang.

Wegener war 1972 Verbindungsoffizier des Bundesgrenzschutzes (der heutigen Bundespolizei) und erlebte das Desaster des „palästinensischen“ Attentates auf die Olympischen Spiele in München machtlos auf dem Tower des Fliegerhorsts in Fürstenfeldbruck. Die schlecht ausgebildete bayerische Polizei bestritt den Einsatz mit gewöhnlichen Streifenpolizisten. Nach einem mehrstündigen Feuergefecht waren 11 israelische Geiseln und ein deutscher Polizist tot. Fünf Terroristen starben, drei wurden festgenommen und im Oktober 1972 bei einer Flugzeugentführung freigepresst. Der Tiefpunkt der deutsch-israelischen Beziehungen schien erreicht.

Vielleicht war es gerade jene Nacht im Tower, die zum Schlüssel der israelischen Beteiligung an der Gründung der GSG-9 wurde. Neben Genscher, dem Krisenstab und Franz-Josef Strauß mussten auch Israels Geheimdienstchef Tzwi Zamir und der Anti-Terror-Experte Victor Cohen mit Wegener ohnmächtig dem dilettantischem Treiben zusehen. Die israelische Anti-Terror-Einheit Sajaret Matkal wartete alarmiert auf den Einsatzbefehl. Sie wurde später zur Blaupause für die GSG-9, die keine drei Wochen nach dem fürchterlichen Ereignis in Dienst gestellt wurde. Bereits im April 1973 meldet Initiator und Gründungskommandant Wegener die Truppe einsatzbereit.

Geiselnahmen nahmen dank der GSG-9 ein schnelles Ende
Bis zu ihrem legendären Einsatz in Mogadischu, bei dem 100 Passagiere gerettet und drei Terroristen eliminiert wurden, sollten noch fünf Jahre vergehen. Wegener war froh, dass seine Männer zeigen durften, was sie können, und kommandierte die Operation von der Spitze aus. Er soll an der Eliminierung eines der Terroristen beteiligt gewesen sein. Das war das Ende des „Deutschen Herbstes“, in dem sich die Öffentlichkeit in Selbstmitleid erging und die RAF-Terroristen den Takt vorgegeben hatte. Die verlegten sich danach nur noch auf feige Attentate, Geiselnahmen gehörten in Deutschland der Vergangenheit an. Das alles ist weithin bekannt, aber Wegners Verdienst.

Weniger bekannt war die Beteiligung Wegeners an der israelischen Befreiungsaktion im ugandischen Entebbe, bei der er als Aufklärer diente. Im gemeinsamen Kampf gegen den internationalen Terrorismus sahen Ehud Barak, Rafael Eitan oder Jonatan Netanjahu ihn als „zugehörig“ an. Wegener war leider nicht der einzige deutsche Beteiligte.

Denn von den vier Terroristen, die Ende Juni eine „Air France“-Maschine auf dem Weg von Paris nach Tel Aviv entführten, waren Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann. Der Airbus A-300 mit mehr als 300 Passagieren wurde am 27. Juni 1976 nach Entebbe entführt, weil man mit der Unterstützung des ugandischen Diktators Idi Amin rechnen konnte.

Böse erwies sich als Erbe der deutschen KZ-Betreiber und selektiert wie an der Rampe von Ausschwitz ungefähr 100 Israelis und Juden. Alle anderen Passagiere durften mit einer anderen „Air France“-Maschine nach Hause fliegen.

„Wir müssen vor Ort sein.“ So brachte Wegener seine Überzeugung zum Ausdruck. Wem gegenüber er das sagte, darüber gibt es verschiedene Quellen. Mal ist vom Bundeskriminalamt die Rede, mal heißt es, außer dem Minister Genscher sei niemand informiert gewesen. Wegener reiste jedenfalls auf verschlungenen Wegen inkognito von Kenia her nach Uganda ein.

Seine Freundschaft zum britischen Militärattaché kam ihm zupass. Der griff sich kurzerhand den Rolls Royce, der mit exterritorialem Status dem Botschafter als Dienstwagen diente. Unauffällig konnte man nicht auffälliger unterwegs sein. Allerdings musste man sich vorstellen, dass die Ugander wenig Respekt vor diplomatischen Regeln und Gepflogenheiten hatten, wie sich später herausstellen sollte.

Die beiden machten sich in jenem Rolls Royce komfortabel auf den Weg nach Entebbe, der früheren Hauptstadt des Landes und mussten auf dem Weg zahlreiche Straßensperren passieren, um sich rund um den Flughafen ein Bild der Lage zu machen. Amin hatte keinen Zweifel an seiner Unterstützung der Terroristen gelassen. Niemand rechnete mit einem Angriff aus dem rund 3.500 km entfernten Israel, trotzdem dienten die Truppen rund um den Flughafen dem Schutz der Terroristen.

Heute würde man in Echtzeit für eine solche Kommando-Aktion aufgenommene Satellitenbilder verwenden, auf denen im Zweifel zu erkennen wäre, welcher ugandische Soldat mit welchem Finger welcher Hand in welchem Nasenloch bohrt. Sowas gab es 1976 vielleicht bei James Bond.

Und so waren die Einschätzungen und Aufklärungen Wegeners von großem Wert. Der Mann war erfahren und wusste, wovon er sprach. Anders gesagt, man konnte seinen Aussagen vertrauen. Wegener zeichnete die Standpunkte und Stärke der rund um den Flughafen postierten ugandischen Soldaten auf. Insbesondere die Jagd- und Kampfflugzeuge interessierten die Israelis, die ja auch noch im Nachhinein die ganze Aktion hätten gefährden können.

Die Kommando-Aktion war stabsmäßig geplant. Auch die Israelis setzten auf Tarnung durch eine Limousine. Allerdings war das ein verlängerter Mercedes, von dem die ugandischen Truppen denken sollten, es handele sich um ein Diplomatenfahrzeug. Am Ende wurden mehr als 100 Geiseln gerettet und nach Kenia ausgeflogen.

Wegener war wohl als Zaungast bei der Aktion dabei. Doch auf dem Rückweg geriet der Rolls in eine Straßensperre und in einem Gemenge wurde Wegener vom Bajonett eines ugandischen Soldaten verletzt und die beiden Männer wurden zunächst in einem Golf- und Country-Club festgesetzt.

Wegener bluffte und gab sich als britischer Staatsbürger aus, was den jungen Kommandanten der Straßensperre dazu brachte, die Insassen des Rolls Royce fahren zu lassen. Die Wunde ließ Wegener dann in Kenia versorgen.

Eine im Krankenhaus zurückgelassene Geisel wurde von Amins Schergen ebenso ermordet wie mehr als 200 Kenianer, die für die Unterstützung der Aktion durch den kenianischen Staat buchstäblich bluten mussten. Das illustriert die Gefahr, der sich Wegener ausgesetzt hatte. Auch Jonathan Netanjahu, immerhin Kommandant der Operation, fiel auf dem Flugfeld. Und Wegeners Frau und zwei Töchter machten bei seiner Rückkehr drei Kreuze, wie er später selbst berichtete.

Ulrich Wegener wurde 88 Jahre alt und starb im Dezember 2017. Er dürfte einer der wenigen Polizisten sein, dem die „New York Times“ einen langen Nachruf widmete – wesentlich länger als der, den der „Spiegel“ online veröffentlichte.

Ohnehin hatte die deutsche Linke sicher ihre Schwierigkeit mit dem gradlinigen Soldaten, der sich in der preußischen Tradition seiner Familie sah und selbst nach dem Krieg seinem Vaterland als Offizier dienen wollte. Er war ein schlagender Beweis dafür, dass diese Tradition und demokratisch-freiheitliche Werte eben kein Widerspruch sein müssen und wir uns vielleicht heute diesem Ethos vorurteilsfreier nähern sollten.

Denn als gebürtiger Jüterboger hat der Brandenburger seine demokratische Gesinnung schon in jugendlichem Alter mehr unter Beweis gestellt als all die 68er, denen der knorrige Ton und der Appell an Disziplin, Befehl und Gehorsam Anlass zum Mäkeln gaben. Er hatte vor den DDR-Wahlen Flugblätter gegen die „Einheitsliste der Nationalen Front“ verteilt und landete deshalb für 16 Monate im Stasi-Knast. Als er 1952 entlassen wurde und nach Westberlin flüchtete, wog der 1,86 m große Hüne gerade mal 60 kg. Kein Wunder, dass einer der amerikanischen Sicherheitsberater des Präsidenten gegenüber dem deutschen Terrorismusexperten Rolf Tophoven sagte: „Wegener ist der einzige deutsche Held seit dem Zweiten Weltkrieg.“ Das trifft es. Der Mann hat unserem Land viel erspart.

Im Lit-Verlag Münster ist die Biographie unter seiner Mithilfe erschienen:
Ulrich Wegener: GSG-9. Stärker als der Terror.
Und auf der Berlinale wird im Februar leider außer Konkurrenz ein neuen Film über Entebbe mit Daniel Brühl in der Rolle des Terroristen Böse gezeigt.

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