Februar 9, 2018 – 24 Shevat 5778
Gelebter Zionismus: Die Bricha (zweiter Teil)

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Fortsetzung des Artikel aus der Ausgabe vom Januar 2018 

Von Karl Pfeifer

Am 17. Januar 1945 begann die Rote Armee mit der Befreiung von Warschau. Die überlebenden Führer des jüdischen Aufstands in Warschau (1943), Jizhak Zuckermann und Zwia Lubetkin, kamen danach nach Lublin, wo über die Lehren aus der Schoa diskutiert wurde. Alle waren sich in einer Sache einig: nach Erez Israel zu gelangen. Allerdings befürwortete Kovner Rache am deutschen Volk, doch die „Asiaten“ (die aus Zentralasien zurückgekehrten Juden) widersprachen.

In Erez Israel vertrat „Haschomer Hazair“ die Idee eines binationalen Staates und war dezidiert prosowjetisch eingestellt. Die 300-400 Rückkehrer aus Zentralasien, die zum „Haschomer Hazair“ gehörten, waren zwar loyal zu ihrer Bewegung, traten jedoch für einen jüdischen Staat ein und hatten wie Kovner alle Illusionen über die Sowjetunion verloren. Der unbestrittene Anführer war Abba Kovner, aber zugleich wurde eine neue „koordinazia“ aus Rückkehrern gewählt und die übernahm die tagtägliche Arbeit der Bricha. Wahrscheinlich im Februar übersiedelten sie nach Krakau und beschlossen, die Juden, die aus der UdSSR nach Erez wollen, sollten sich als Rückkehrer nach Griechenland ausgeben. Sie wurden gewarnt, keine Dokumente mit sich zu tragen und nicht Russisch, Polnisch oder Jiddisch zu reden. Die einzige Sprache, in der sie sich verständigen konnten, war Hebräisch, das sie als einen griechischen Dialekt bezeichneten. Die Grenze zu Polen wurde mit der Hilfe russischer Soldaten überschritten, die entweder bestochen wurden oder aber aus humanistischen Motiven handelten.

Die Jüdische Brigade
Die im Sommer 1944 geschaffene Jüdische Brigade, die aus 5.000 Männern bestand, die in Erez Israel rekrutiert worden waren, nahm kämpfend teil an der Befreiung Italiens durch die achte britische Armee. Die meisten Soldaten waren Mitglieder der Hagana, zu der auch Mossad L’Aliya Bet gehörte, die Organisation der Hagana für die illegale Einwanderung.

Im Mai 1945 kam die Brigade nach Norditalien zur österreichischen und jugoslawischen Grenze. Dort trafen sie jüdische Überlebende, darunter auch Überlebende aus deutschen Konzentrationslagern, die bei den Soldaten Schock und Zorn auslösten. Es dauerte nicht lange und italienische Zionisten, die aus den Verstecken kamen, aber auch KZ-Überlebende begleiteten Juden aus Ungarn, Jugoslawien, Österreich und Deutschland nach Italien. In der Nähe der Basen der Brigade wurden provisorische Lager für die Geflüchteten – unter denen es viele Kinder und Jugendliche gab – errichtet. Hier erhielten die Jugendlichen Hebräisch-Unterricht und man bereitete sie vor auf die Alija (zu deutsch „Aufstieg“), die Einwanderung nach Erez Israel. Die Hauptbasen für die Bricha waren aber die jüdischen DP-Lager (Displaced Persons) in den westlichen Zonen Deutschlands und Österreichs, in die ganze Transporte aus Osteuropa von der Bricha gebracht wurden.

Die Juden in diesen Lagern organisierten sich auch selbst, sie errichteten Schulen für ihre Kinder und wurden vom „Zentralkomitee der befreiten Juden“ in der US-amerikanischen und britischen Besatzungszone in Westdeutschland repräsentiert. Sie erhielten nicht nur die Hilfe von Schlichim (Emissäre aus Erez Israel), sondern auch von den jüdischen Feldrabbinern der amerikanischen Armee. Die große Mehrheit dieser Flüchtlinge sah keine andere Zukunft als die in Palästina. Und immer wieder gab es Abgänge, Juden die Richtung Erez Israel in den Süden fuhren. Die US-amerikanischen Behörden konnten nicht verstehen, wieso es trotzdem immer mehr jüdische DPs gab. Nach jedem Abgang wurden mit Hilfe der Bricha Neuzugänge aus Osteuropa nach Deutschland und Österreich gebracht. Im September 1945 übernahm Mossad le Aliya Bet die ganze Aufsicht über die Aktivitäten der Bricha unter der Führung von Saul Avigur, der 30 Jahre zuvor aus Litauen eingewandert und einer der ersten Befehlshaber der Hagana war. Er versuchte, die Bricha so zu organisieren, wie man eine Armee organisiert. Es kamen Emissäre aus Palästina, um die Aktivitäten in Wien, Deutschland und Polen zu leiten. Alle berichteten nach Paris, wo sich die Zentrale befand.

Mehr als 1.000 Frauen und Männer, die in zwölf verschiedenen Ländern geboren worden waren, arbeiteten für die Bricha. Während der zwei Jahre Aktivität in Polen und im von der Sowjetunion beherrschten Teil von Osteuropa verlor Bricha einige ihrer besten Leute. 20 wurden ermordet. Viele andere wurden von den kommunistischen Behörden verhaftet und später freigelassen, doch einige verschwanden für immer in sowjetischen Gefängnissen.
In der Zeit unmittelbar nach Kriegsende in Europa waren die Grenzen oft noch nicht so streng überwacht, wie nach der Konsolidierung. Die Grenzpolizisten erhielten oft sich widersprechende Verordnungen und Befehle und die Bricha hatte hier keine Schwierigkeiten, ausgenommen natürlich die sowjetischen Grenzen. Doch sehr bald sollte sich die Situation ändern und die Bricha musste sich der neuen Lage anpassen.

Die illegale Einwanderung, oder wie sie auf Hebräisch genannt wurde: die Aliya Bet, war ein Dorn im Auge der Briten. Denn diese hatten die jüdische Einwanderung während der größten Not – siehe das Weißbuch von 1939 – eingeschränkt. Sie waren besorgt um den Weg nach Asien und ihre imperialen Interessen. Das Foreign Office war schon deswegen pro-arabisch eingestellt. Manche meinen, auch der Antisemitismus und die romantische Identifizierung mit den Arabern spielten dabei eine Rolle, doch eher ging es um sehr materielle Interessen, wie zum Beispiel den Zugang zu Ölquellen. Die britische Politik, begrenzte Schiffskapazität, die komplizierten Transitbedingungen der Balkan-Länder und der Türkei sowie die Kriegsereignisse führten dazu, dass in der Zeit zwischen 1939 und 1944 lediglich 68.549 Juden und Jüdinnen Erez Israel erreichen konnten.

Für die Führung des Jischuv wurde – nach dem Bekanntwerden der Schoa, ab 1942 – endgültig klar, dass die freie Einwanderung und ein jüdischer Staat das dringend zu erreichende Ziel der zionistischen Bewegung waren.

Die Briten sahen Aliya Bet als eine Bedrohung. Sie hatten miterlebt, wie die meisten arabischen Regierungen gegen die Alliierten Stellung nahmen und sie fast das kriegsnotwendige Öl verloren hätten, als 1940/41 die Regierung im Irak für die Achsenmächte Partei ergriff. Die palästinensische Frage war für alle arabischen Regime wichtig. Auch deswegen sahen die Briten in der jüdischen Einwanderung eine Bedrohung ihrer Interessen. Viele Linke und Liberale in Großbritannien wollten damals nicht zur Kenntnis nehmen, dass Juden in Erez Israel sich als Nation entfalteten und meinten, es gäbe nur eine jüdische Religion und daher seien die nationalen Aspirationen abzulehnen. Die überlebenden Juden sollten doch in die Länder zurückkehren, aus denen sie deportiert wurden. (…)


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