Erinnerung an einen standhaften, fast vergessenen Demokraten der Kaiserzeit  

Von Dr. Nikoline Hansen

Es gibt nur wenige Persönlichkeiten in der Politik, die erkannt haben, dass die größten Feinde einer liberalen Gesellschaft Stigmatisierung und Ausgrenzung sind. Und es gibt nur wenige Politiker, die sich konsequent dafür eingesetzt haben, diesen Feinden entschieden entgegen zu treten.

Ein Liberaler, der dies aufrichtig tat und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb? – heute fast in Vergessenheit geraten ist, ist Eugen Richter. Das mag in erster Linie auch daran liegen, dass Kämpfer für liberale Ideen in Deutschland nicht gerade populär sind, zumal Richter den Sozialismus für eines der größten Übel hielt und die Bismarck‘schen Sozialgesetze deshalb auch entschieden ablehnte. Trotzdem gilt Eugen Richter, geboren am 30. Juli 1838 in Düsseldorf, als linker Liberaler. Er war einer der ersten deutschen Berufspolitiker und wird vor allem deshalb gewürdigt, weil er als einer der brillantesten Rhetoriker des Preußischen Abgeordnetenhauses und des Deutschen Reichstags gilt.

Richter selbst entstammte einer klassischen bürgerlichen Familie, der Vater war Arzt, die Herkunft der Mutter aus einer Postmeisterfamilie bodenständig. 1856 begann Eugen Richter ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bonn. Nach einem Jahr wechselte er nach Heidelberg, später an die Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin und schloss schließlich 1859 sein Studium in Bonn ab. Nach erfolgreicher Ablegung des Referendarsexamens war er dann als Regierungsreferendar in Düsseldorf tätig.

Als überzeugter Liberaler auch an der Seite von Kneipenwirten
Den ersten Gegenwind bekam er 1862 zu spüren, nachdem er die wirtschaftsliberale Schrift „Über die Freiheit des Schankgewerbes“ verfasst hatte, in der er die preußische Gewerbepolizei kritisierte, weil diese willkürlich und nicht auf einer juristischen Grundlage handelte. Die Düsseldorfer Regierung erteilte ihm daraufhin einen disziplinarischen Verweis. Auch in der Folge blieb er in seiner Meinung unbequem, forderte konsequent eine gerechte Rechtsstaatlichkeit und blieb den demokratischen Grundsätzen einer Gesellschaft, in der alle gleich behandelt werden, verbunden.

Nachdem er 1864 zum Bürgermeister von Neuwied gewählt worden war, verweigerten ihm die preußischen Behörden die notwendige Erlaubnis zur Ausübung dieses Amtes und beabsichtigten, ihn ohne Bezüge nach Bromberg (im weit entfernten Westpreußen) zu versetzen. Dieser Maßnahme kam er zuvor, indem freiwillig aus dem Staatsdienst ausschied und eine Stellung bei der „Magdeburger Feuerversicherung“ annahm. Sein politisches Engagement vermochte er allerdings trotz dieser widrigen Umstände nicht aufzugeben, sodass er sich als freier Publizist und Parlamentsberichterstatter betätigte und schließlich der Politik als Beruf zuwandte: 1867 gehörte er für die Fortschrittspartei dem Konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes an und von 1869-1905 war er im preußischen Abgeordnetenhaus tätig.

Gegen Sozialismus und Antisemitismus
In seinem politischen Wirken bewies er einen erheblichen Weitblick und wenn es darum ging, liberale Positionen überzeugend zu vertreten, kam ihm sein rhetorisches und schriftstellerisches Talent zu gute. Noch heute lesenswert ist seine unerfreuliche Vision einer unfreien Welt, wie sie die Sozialisten seiner Ansicht nach wünschten und forderten – eine Schrift, mit der er sich keine Freunde machte. Sie erschien unter dem Titel „Sozialdemokratische Zukunftsbilder: Frei nach Bebel“ – ein Gesellschaftsentwurf, der durchaus weitsichtig war, wenn man die tatsächlichen Folgen der mehrfach ins Extreme gesteigerten sozialistischen Politik des 20. Jahrhundert betrachtet, die am Ende in Diktaturen mündete. Bekanntheit erlangte er zu seiner Zeit in erster Linie dadurch, dass er Bismarck und dessen Sozialreformen unverdrossen bekämpfte – eine konsequente Politik, die den Liberalen am Ende allerdings Wählerstimmen kostete.

Die Liberalen des Kaiserreichs hatten es schwer sich zu profilieren
Überhaupt hatten die Liberalen in Deutschland schon immer einen schweren Stand: Richter selbst begann seine politische Karriere als Abgeordneter in der Fortschrittspartei, von 1884-1893 war er Abgeordneter für die Deutsche Freisinnige Partei und von 1893 bis zu seinem Tod 1906 in der Freisinnigen Volkspartei.
In seiner Funktion als Abgeordneter trat er in erster Linie für einen liberalen Rechtsstaat ein und bekämpfte vehement ausgrenzende Gesetzgebungen, so unter anderem das Jesuitengesetz vom 4. Juli 1872, das dem Jesuitenorden im Deutschen Kaiserreich ein Niederlassungsverbot erteilte sowie die ebenfalls von Otto von Bismarck initiierten Polenausweisungen. Hierbei wurden ab 1885 etwa 35.000 russische und österreichische Staatsangehörige aus dem Königreich Preußen ausgewiesen, von denen ein nicht unerheblicher Teil – fast ein Drittel – Juden waren. Dieses Gesetz war bereits eine Folge des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkt aufflammenden Antisemitismus. (…)

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