Die mutige Protestantin Elisabeth Schmitz und ihr einsamer Kampf in der Kirche für die verfolgten Juden  

Von Martin Stolzenau

Elisabeth Schmitz gehörte zur ersten Frauengeneration Deutschlands, die studieren und eine eigenständige berufliche Karriere als Gymnasiallehrerin in Angriff nehmen konnte. Sie lehnte die Nazis ab, wurde Mitglied der Bekennenden Kirche und unterstützte verfolgte Juden in Wort und Tat. Dazu verfasste sie eine überaus kritische Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“, die sie den Hauptrepräsentanten ihrer Kirche übermittelte mit der Aufforderung, etwas für die verfolgten Juden und gegen die Nazis zu tun. Vergebens. Ihre Schrift wurde ignoriert.

Das geschah selbst bei jenen Kirchenrepräsentanten, die heute als Widerstandskämpfer in aller Munde sind. Schmitz aber half als Christin verfolgten Juden, wurde später vergessen und erst 1999, 22 Jahre nach ihrem Tod, durch die Neuveröffentlichung ihrer Denkschrift in der Öffentlichkeit bekannt. Dazu gesellte sich 2004 in der Johanneskirchengemeinde von Hanau der Fund einer Tasche mit dem Nachlass der couragierten Christin und dem Textentwurf für ihre Denkschrift. Danach entwickelte sich eine Erinnerungskultur, die inzwischen von Hanau bis nach Israel reicht.

Hanau ehrte Elisabeth Schmitz mit einem Gedenkstein auf dem Friedhof, einer Gedenktafel an ihrem Geburts- und Wohnhaus und mit der Benennung einer Schule. Berlin widmete ihr an ihrer ehemaligen Schule eine Gedenktafel. Ein Dokumentarfilm wurde gedreht. 2011 wurde Elisabeth Schmitz von der israelischen Holocaust- Gedenkstätte Yad Vashem posthum der Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“ verliehen. Spätestens jetzt war die couragierte Nazigegnerin für die Medien und in politischen Sonntagsreden ein Thema. In der Folge gab es eine Flut an Veröffentlichungen. Sehr spät. Aber nicht zu spät, wenn es denn hilft, die verwässerten Relationen zwischen Nazianpassung und echtem Widerstand in einer Zeit der neuerlichen Verharmlosung der Naziverbrechen geradezurücken.

Elisabeth Schmitz wurde am 23. August 1893 im hessischen Hanau geboren. Sie war die jüngste von drei Töchtern ihrer Eltern. Ihr Vater lehrte an der Hohen Landesschule in Hanau als Gymnasialprofessor. Sie legte 1914 das Abitur ab, studierte anschließend in Bonn und Berlin Germanistik, Geschichte und Theologie und wurde zusätzlich zum Staatsexamen auch promoviert. Für eine Frau waren das völlig neue Perspektiven. Nach dem schulischen Vorbereitungsdienst wurde Elisabeth Schmitz auf der Grundlage der Verordnung vom 27. Oktober 1923 mit der Verpflichtung der Nichtverheiratung in den öffentlichen Dienst übernommen und konnte in den sechs Folgejahren mit Zeitverträgen an verschiedenen höheren Mädchenschulen in Berlin unterrichten. Erst 1929 erhielt sie als Studienrätin am Luisengymnasium in Berlin-Moabit eine Festanstellung. Sie stand von Anfang an zu den Nazis auf Distanz, lehnte nach deren Machtübernahme 1933 die Ausrichtung des Unterrichts auf die NS-Ziele ab und erlebte hautnah die Ausgrenzung jüdischer und regimekritischer Kollegen sowie jüdischer Kinder. Mehr noch. Sie protestierte, wurde in diesem Sinne als Christin auch in der Gemeindevertretung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche aktiv und trat 1934 der Bekennenden Kirche bei. Wegen ihrer Protesthaltung wurde die unbequeme Nazikritikerin 1935 an die heutige Beethoven-Oberschule in Berlin-Lankwitz versetzt.

Doch Elisabeth Schmitz ließ sich auch durch Maßregelungen nicht abschrecken. Sie unterstützte Juden trotz der Naziaufrufe zum Boykott in vielerlei Hinsicht, suchte nach Gesinnungsfreunden und begann einen Briefwechsel mit dem bekannten Theologen Karl Barth, den sie zu einer öffentlichen Stellungnahme der Kirchenführung in der Judenfrage, zur Unterstützung der jüdischen Gemeinden und zur seelsorgerischen Betreuung der Verfolgten aufforderte. Zu diesem Zweck suchte sie den evangelischen Vorzeige-Theologen auch in seinem Exil in der Schweiz auf. Vergeblich. Elisabeth Schmitz griff deshalb zum Mittel der Denkschrift, um die weitgehend angepasste evangelische Kirchenführung wachzurütteln. Sie wählte als Titel „Zur Lage der deutschen Nichtarier“, führte zahlreiche Beispiele der Verfolgung und parallelen Untätigkeit der Kirchen auf und formulierte einen flammenden Appell an die verantwortlichen Kirchenrepräsentanten einschließlich der Bekennenden Kirche, endlich ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Die anonyme Schrift schickte sie an Kirchenführer bis hin zu Karl Barth sowie Dietrich Bonhoeffer und versuchte im September 1935, ihre Schrift während der Dritten Bekenntnissynode der EKapU in Berlin-Steglitz zu diskutieren. Alles vergeblich. Nach Inkraftsetzung der Nürnberger Gesetze schrieb die mutige Christin einen Nachtrag zu ihrer Denkschrift. Wieder ohne Erfolg.

Ab 1936 engagierte sich Elisabeth Schmitz in der Bekenntnisgemeinde in Berlin-Dahlem. Sie suchte bei den dortigen Pfarrern Franz Hildebrandt, Martin Niemöller und dessen Nachfolger Helmut Gollwitzer ebenfalls Unterstützung für die verfolgten Juden. Vergebens. Demgegenüber fand sie im Mittwochkreis von Anna von Gierke, einer Sozialpädagogin und vorherigen Reichstagsabgeordneten, in der Lehrerin Elisabeth Abegg und der Botanik-Professorin Elisabeth Schiemann Mithelfer in ihrem Anliegen. Schmitz nahm die jüdische Ärztin Martha Kessel, die trotz evangelischer Taufe ihre Praxis verlor und verfolgt wurde, für Jahre in ihrer Wohnung auf bis zu deren Emigration. Dafür wurde sie vom Blockwart denunziert. Von der Schulbehörde forderten die sogenannten Volksgenossen ihre sofortige Entlassung. Nach den Novemberpogromen 1938 beugte sich die Studienrätin dem Druck und stimmte einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand zu. Ihre Hilfe für verfolgte Juden setzte sie fort. Das reichte von finanzieller Unterstützung über Hilfe mit Lebensmittelkarten bis zur geheimen Unterbringung in ihrer Wohnung sowie in ihrem Sommerhäuschen in Wandlitz. Aber die Hilfsaktionen von Elisabeth Schmitz und ihrer wenigen Gesinnungsfreunde waren nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Falsche Widerstandskämpfer ernten den Ruhm, der ihr zustünde
Die protestantische Widerständlerin war oft der Verzweiflung nahe. Sie wurde 1943 in ihre Vaterstadt Hanau evakuiert, überlebte mit ihrer kleinen Pension und Geschick die Gratwanderung der letzten Nazijahre und durfte ab 1946 bis 1958 wieder unterrichten. Parallel erlebte sie mit Erstaunen, Empörung und wachsender Resignation, wie sich viele Vertreter der kirchlichen Anpassung an die Nazis nun als Widerständler deklarierten und die nächste Karriere in Angriff nahmen.

Darüber starb Elisabeth Schmitz am 10. September 1977 recht einsam und vergessen in Hanau. Sie wurde 84 Jahre alt. Sieben Menschen folgten ihrem Sarg. Vor 1945 und nach 1945 führten zahlreiche evangelische Kirchenführer als Rechtfertigung für ihre Nazi-Angepasstheit und Ignoranz gegenüber dem Schicksal der verfolgten Juden mit Hinweis auf Martin Luther die „sogenannte Zwei-Reiche- oder auch Zwei-Regimenter-Lehre“ an. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die katholische Ordensfrau und Philosophin Edith Stein mit ihrem Protest- und Mahnbrief an Papst Pius XI. im April 1933 ebenso erfolglos war wie Elisabeth Schmitz mit ihrer Denkschrift an die evangelischen Kirchenführer.

(Weiterf. Lit.: Sibylle Biermann- Rau: Elisabeth Schmitz. Wie sich die Protestantin für Juden einsetzte, als ihre Kirche schwieg. Hamburg 2017)

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