März 9, 2018 – 22 Adar 5778
Diplomaten als „Gerechte unter den Völkern“

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Das Auswärtige Amt und die israelische Botschaft präsentieren die Ausstellung „Beyond Duty“ von Yad Vashem 

Von Matthias Dornfeldt und Urs Unkauf

Die Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“ wird durch die internationale Schoah-Gedenkstätte Yad Vashem in der israelischen Hauptstadt Jerusalem an Menschen nichtjüdischer Abstammung verliehen, die während der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges uneigennützig halfen, jüdisches Leben zu retten.

Insgesamt wurden über 26.000 Menschen mit diesem Titel geehrt. Es ist die höchste Auszeichnung, die der Staat Israel an Nichtjuden verleiht. Mittlerweile wurden 36 Diplomaten aus 21 Ländern, die im auswärtigen Dienst ihrer Staaten zahlreiche jüdische Leben gerettet haben, von Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Vom 30. Januar bis zum 26. Februar konnten sich die Besucher im Lichthof des Auswärtigen Amtes über die verdienstvollen Taten dieser „Gerechten unter den Völkern“ aus der Diplomatie informieren. „Die von der Gedenkstätte Yad Vashem kuratierte Ausstellung ‚Beyond Duty‘ erinnert an die Grauen der Shoah und dokumentiert am Beispiel von neun Personen, wie einzelne Diplomaten auch unter Missachtung ihrer Dienstvorschriften versucht haben, jüdische Bürger vor Verfolgung und Vernichtung zu retten“, schreibt das Auswärtige Amt der Bundesrepublik auf seiner Internetpräsenz.

Weil das Auswärtige Amt jedoch aktiver Teil des NS-Regimes war, erforschte von 2005 bis 2010 eine unabhängige Historikerkommission die Geschichte des Hauses im Spiegel der Zeit. Dieser Kommission gehörten als Koordinator Eckart Conze von der Universität Marburg sowie Norbert Frei von der Universität Jena, Peter Hayes von der Northwestern University/Illinois, Klaus Hildebrand von der Universität Bonn und Moshe Zimmerman von der Hebrew University of Jerusalem an. Neben Archivstudien wurden auch zahlreiche Zeitzeugenbefragungen durchgeführt. Die Arbeit der Professoren wurde mit einer Übergabe der Studie „Das Amt und seine Vergangenheit“ an den damaligen Bundesaußenminister Guido Westerwelle am 28. Oktober 2010 abgeschlossen.

Bei der Eröffnung der Ausstellung betonte Außenminister Sigmar Gabriel, dass der Antisemitismus in Deutschland weiter wächst und in der Vergangenheit zu wenig zur Bekämpfung von Judenhass unternommen wurde. Das Verhältnis zwischen Vergangenheit und Gegenwart thematisierte Jeremy Issacharoff, Botschafter des Staates Israel in Berlin, im Rahmen der Eröffnungszeremonie: „Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber die Vergangenheit kann uns ändern“, so der oberste Repräsentant des jüdischen Staates in der Bundesrepublik.

An der Ausstellungseröffnung nahmen neben deutschen Spitzendiplomaten und Vertretern jüdischer Organisationen auch zahlreiche in Berlin akkreditierte Botschafter, u.a. die Missionschefs aus der Tschechischen Republik, Portugal, Peru, Japan und weiteren betroffenen Staaten teil. Damit erwiesen sie ihren mutigen Kollegen Anerkennung.

In Mittel- und Osteuropa lebten zu Beginn des Zweiten Weltkrieges etwa sechs Millionen Juden. Chaim Weizmann, der spätere erste Präsident Israels, bemerkte dazu treffend: „Für sie ist die Welt in Länder aufgeteilt, in denen sie nicht leben können, und solche, in die sie nicht einreisen dürfen.“ Im Jahre 1941 befand sich nahezu ganz Europa unter Herrschaft des Naziregimes und seiner Verbündeten. Das Vorgehen der Nazis war dabei unterschiedlich: Die im östlichen Europa lebenden Juden wurden gettoisiert, waren täglichen Peinigungen sowie den Strapazen der Zwangsarbeit, die viele von ihnen das Leben kostete, ausgesetzt. In Südeuropa wurde die jüdische Bevölkerung durch die mit Hitler kollaborierenden Regime zur militärisch organisierten Zwangsarbeit verschleppt. Die Juden Westeuropas wurden zunächst zwangsenteignet, ihrer Bürgerrechte beraubt, in die gesellschaftliche Isolation gedrängt und zur Vernichtung in den Osten deportiert.

Weshalb die systematische Judenvernichtung nicht vor den Augen der eigenen Bevölkerung, sondern in einem entlegenen und enthemmten „Gewaltraum“ durchgeführt werden musste, analysiert der Historiker und Gewaltforscher Jörg Baberowski in seinem beeindruckenden Werk „Räume der Gewalt“, das jüngst ins Arabische übersetzt wurde und damit auch in Israel vermehrt auf Beachtung stoßen dürfte. Viele Länder zögerten jüdische Flüchtlinge während der Schoah offiziell zu unterstützen, und die meisten Diplomaten fuhren trotz des Ausnahmezustands ihre Amtshandlungen wie gewohnt fort. Nur wenige waren überzeugt und entschlossen, sich im Dienste des Humanismus gegen die Politik ihrer Regierungen zur Rettung von Juden aktiv unter größtem persönlichem Risiko für Leib und Leben einzusetzen. Diese kleine Minderheit hat den nötigen Mut aufgebracht, ihre Vorschriften unter Gebrauch ihres eigenen Verstandes zu hinterfragen, ihren Dienstanweisungen zu trotzen und die Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu tragen.

Der japanische Konsul Chiune Sugihara
Zu den neun eingehender portraitierten Persönlichkeiten gehört unter anderem Chiune Sugihara, Konsul des Kaiserreichs Japan im litauischen Kaunas. Litauen wurde 1940 von der Sowjetunion annektiert und alle Diplomaten waren aufgefordert, das Land zu verlassen. Kurz vor seiner Abreise erschien eine jüdische Delegation und bat den Konsul eindringlich um Ausstellung von Transitvisa durch Japan, womit sie auch durch das Territorium der Sowjetunion reisen konnte. Noch bevor er ein Telegramm aus Tokio erhielt, begann Chiune Sugihara damit, eigenmächtig Visa für die Ausreise von Juden auszustellen. Das japanische Außenministerium antwortete nach neun Tagen und lehnte seine Gesuche um die Änderung der Bestimmungen für die Ausstellung von Transitvisa ab. Sugihara ließ sich davon nicht beirren und ermöglichte so über 2.000 Juden die Ausreise. Dazu ist von ihm folgendes Zitat überliefert: „Vielleicht muss ich mich meiner Regierung widersetzen, aber wenn ich es nicht tue, widersetze ich mich Gott“. 1984 wurde er von Yad Vashem für seine Verdienste ausgezeichnet.

Raoul Wallenberg
Einer der bekanntesten diplomatischen Vertreter der „Gerechten unter den Völkern“ dürfte zweifellos Raoul Wallenberg sein. Der Schwede stellte als Legationssekretär der schwedischen Botschaft in Budapest sogenannte „Schutzpässe“ an Juden aus, womit sie der Verfolgung durch die Nationalsozialisten mittels eines Aufenthalts in „Schutzhäusern“, die als Institutionen der Königlich Schwedischen Gesandtschaft Budapest getarnt waren, entkommen konnten. Wallenberg selbst wollte alles in seiner Macht stehende unternehmen, um „so viele Juden wie möglich zu retten“.

Zur Tragik von Wallenbergs Schicksal gehören sein mysteriöses Verschwinden am 17. Januar 1945, als er von den Sowjets zu einem Verhör verschleppt wurde und sein bis heute unbekanntes Verbleiben danach (vgl. dazu ausführlich Matthias Dornfeldt in der JÜDISCHEN RUNDSCHAU 01/2018).

Der Peruaner José María Barreto
Die Ausstellung erzählt auch von der Geschichte des peruanischen Generalkonsuls in Genf, José María Barreto. 1930 sowie in den Folgejahren erließ Peru sehr restriktive Gesetze in Bezug auf die Einwanderung von Juden. So wanderten zwischen 1933 und 1943 lediglich 536 in die lateinamerikanische Republik, die durchaus auf eine beachtliche jüdische Gemeinde blicken konnte, ein. Generalkonsul Barreto wurde von Abraham Silberschein, dem Leiter der jüdischen Hilfsorganisation RELICO ersucht, peruanische Pässe für Juden unter deutscher Besatzung auszustellen. Als die peruanische Botschaft in Bern und das Außenministerium in Lima davon erfuhren, forderten diese eine Liste aller Pässe an, die Barreto ausgestellt hatte und annullierten die Gültigkeit seiner Amtshandlungen. Er begründete sein Vorgehen mit der Unterstützung von Juden, deren Leben in Konzentrationslagern unmittelbar gefährdet sei. Barretos Hoffnungen auf das Verständnis des Außenministeriums wurden enttäuscht und er selbst aus dem Dienst entlassen. 2014 erkannte Yad Vashem den Bürger Perus als „Gerechten unter den Völkern“ an.

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