Oktober 7, 2016 – 5 Tishri 5777
Tränen in den Augen – Wut im Bauch

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Zum Tode von Schimon Peres  

Von Attila Teri

Zugegeben, ich war schon immer nah am Wasser gebaut. So ist es kein Wunder, dass mich meine Gefühle übermannt haben, während der Beerdigung von Schimon Peres, der ich leider nur am Fernsehen aus der Ferne beiwohnen durfte. Still und leise kullerten die Tränen über mein Gesicht. Sie waren weit mehr als nur ein Zeichen des Abschieds von einem geliebten Menschen, der zu meiner Familie gehörte, obwohl ich ihm persönlich nie begegnen durfte. Er begleitete mein ganzes Leben, wie ein Vater, mit dem man alles teilt. Freude, Hoffnung, Glück, zugleich auch Trauer, Verzweiflung und Angst. Dabei habe ich nie in Israel gelebt und bin an sich „nur“ ein säkularer, ungarischer Jude, der in Budapest aufwuchs und seit 38 Jahren in München, der ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“ seinen Lebensmittelpunkt hat. Doch mein Herz schlug schon immer im selben Takt mit Israel und ich fühlte mich seit meiner Kindheit als Teil des jüdischen Volkes.

Der Heimat dieses seltsamen und eigenartigen Haufens, auch „das auserwählte Volk“ genannt, widmete Schimon Peres sein ganzes Leben. Mögen einige seiner Entscheidungen falsch gewesen, oder für viele nicht nachvollziehbar sein, eines steht fest: vermutlich würde Israel ohne ihn gar nicht existieren. Das werden wohl nicht mal seine größten Widersacher in Frage stellen. Alles was er tat, sollte dem Überleben des jüdischen Volkes dienen.

Wie immer, wenn es darum geht, einen toten (!) Juden zu betrauern, überschwemmte ein Meer von Beileidsbekundungen und Huldigungen die Welt, seitdem der letzte Gründervater Israels seine Augen für immer schloss. Bei seiner Beisetzung, an der fast alle von der westlichen Hemisphäre teilnahmen, die Rang und Namen haben, ging es mit der Lobhudelei weiter. Staats-, Regierungschefs und wichtige Persönlichkeiten saßen mit bedröppelten Gesichtern in der ersten Reihe und hielten gefühlvolle Reden. An sich wunderbare Gesten der Anteilnahme. Dennoch ertappte ich mich dabei, dass neben meiner Trauer, tief in meinem Bauch langsam die Wut aufstieg, je länger die Zeremonie dauerte. Und das hatte einen guten Grund.

„Ein unabhängiger Geist, eine Orientierung in unserer wechselvollen Geschichte, eine feste Größe in den Ambivalenzen von Politik, ein Richtungsgeber für Versöhnung.“ – beschrieb ihn Sigmar Gabriel, der vor vier Jahren bei seinem Besuch in Israel noch meinte: „Ich war gerade in Hebron. Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.“ Mag sein, dass es nur mir entgangen ist – aber ich habe von Sigmar Gabriel noch nie ein Klagelied über den Terror gegen Juden gehört.

„Er war ein Gewissen der Menschheit.“ – ließ Manuel Valls, der Premierminister Frankreichs verlauten. Wie sich sein Gewissen anfühlt bleibt allerdings sein Geheimnis in Anbetracht der Tatsache, dass Jahr für Jahr immer mehr Juden Frankreich den Rücken kehren und Alija machen, da sie ihres Lebens nicht mehr sicher sind und der französische Staat so gut wie nichts gegen die wachsende, antisemitische Gewalt unternimmt.

„Die Welt hat einen großen Staatsmann, Israel einen seiner Gründungsväter und Deutschland einen hochgeschätzten Freund und Partner verloren.“ – bedauerte Frank-Walter Steinmeier, dessen größte Sorge noch vor wenigen Wochen 1.000 neue Wohnungen in Ost-Jerusalem und Umgebung galt, statt dem Terror gegen Israel – den die deutsche Regierung durch großzügige Hilfsgelder an die „Palästinensische Autonomiebehörde“ mitfinanziert, die daraus den Hinterbliebenen von Terroristen Rente zahlt. Um nur ein Beispiel zu nennen.

„Ein Licht ist ausgegangen, aber die Hoffnung, die er uns gegeben hat, wird für immer brennen........ Keiner hat über die Jahre hinweg mehr dafür getan als Schimon Peres, die Allianz zwischen unseren beiden Ländern aufzubauen – eine unzerbrechliche Allianz, die heute enger und stärker ist, als sie jemals war“, sagte US-Präsident Barack Obama, der durch seine gesamte Amtszeit kaum eine Gelegenheit ausgelassen hat gegen die israelische Regierung verbal zu schießen.

„Präsident Schimon Peres hat nie die Hoffnung auf den Frieden aufgegeben und nie aufgehört dafür zu arbeiten, diese Hoffnung zur Realität zu machen. ... Wir können sein Andenken nur mit einem täglichen Einsatz für die Versöhnung ehren, indem wir seine Vision für eine Zweistaatenlösung erhalten und voranbringen.“ – erklärte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Die frühere Genossin der kommunistischen Jugendorganisation Italiens gehörte in jungen Jahren zu den Verehrern Jassir Arafats. Ich brauche nicht viel Fantasie mir auszumalen, was sie mit „Voranbringen“ tatsächlich meinen könnte: eine Zweistaatenlösung, koste sie, was sie wolle und sei es am Ende die Vernichtung des einen, nämlich des jüdischen Staates. Es ist natürlich purer Zufall, dass sie auch tatkräftig den Boykott von israelischen Waren aus dem Westjordanland unterstützt. Mehr zu ihrer „neutralen“ Haltung zum Nahostkonflikt war in der Dezember-Ausgabe 2015 der JÜDISCHEN RUNDSCHAU zu lesen.

„In vier Jahren der schrecklichsten Gewalt in Syrien, haben mehr als eine Viertelmillion Menschen ihr Leben verloren. Das ist mehr als das Zehnfache, mehr als zehn Mal so viele wie Israelis und Palästinenser, die ihr Leben in einem ganzen Jahrhundert unseres Konflikts verloren haben. Dennoch verabschiedete diese Versammlung im vergangenen Jahr zwanzig Resolutionen gegen Israel, aber nur eine zum wilden Schlachten in Syrien.“ – beklagte sich Bibi Netanjahu bei seiner letztjährigen Rede vor der UN-Vollversammlung. Zu Recht.

Zwischen 2006 und 2015 gab es von der UN-Menschenrechtskommission 57 Verurteilungen gegen Israel. Hamas, Islamische Dschihad, Boko Haram, Hisbollah standen nie am Pranger, der sogenannte Islamische Staat einmal, und Iran in ganzen 4 Fällen. Versteht man das bei der UN unter Verhältnismäßigkeit?

Wie soll ich bei so viel Heuchelei und Verlogenheit keine Magenkrämpfe bekommen? Mir persönlich sind die Araber, die Schimon Peres verflucht und nach seinem Ableben Freudentänze veranstaltet haben, erheblich lieber, als all die Scheinheiligen, die einen toten Juden beweinen, aber alles dafür tun, dass der jüdische Staat vernichtet wird. Denn sie meinen es zumindest ehrlich.

Ob als oberster Waffenbeschaffer des jungen jüdischen Staates, Gründer des israelischen Atomprogramms oder als Friedenstifter und Vermittler zwischen den Welten – hatte der letzte alte Mann aus den Gründerjahren stets nur ein Ziel: das Beste für Israel zu erreichen. Mit Waffen und Worten. „Den Frieden kann man mit leeren Worten nicht gewinnen, so wie man keinen Krieg ohne Kanonen gewinnt.“ – lautete einer seiner berühmten Sätze. Er war sich der Risiken immer bewusst, setzte sich wie kaum jemand sonst dennoch vehement für den Frieden zwischen Juden und Arabern ein. Die Erfüllung dieses Traumes war ihm zu seinen Lebzeiten nicht vergönnt. Denn zum Frieden gehören bekanntlich immer zwei.

„Die Araber verlangen gar nichts von Israel – außer seiner totalen Vernichtung“, hat Schimon Peres einmal gesagt. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Und so sind meine Tränen inzwischen vertrocknet, aber meine Wut bleibt. Solange bis die Welt es endlich begreift, dass sie sich um lebende, und nicht vorrangig um tote Juden kümmern soll!

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