August 7, 2014 – 11 Av 5774
Kein Proporz

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Wie nichtjüdische und jüdische «Nahost»-Experten Israel delegitimieren 

Die Zeit der mit den Terroristen sympathisierenden Phrasendrescher ist wieder gekommen. «Nahostexperten» erklären uns, warum Hamas Raketen auf Israel schießt, ja schießen müsste, dabei verwechseln sie bewusst Ursache mit Wirkung. Anstatt die Gründe für die gegenwärtige Situation zu beseitigen – also den Beschuss durch Raketen zu stoppen –, fährt Hamas mit ihrem Tun fort; anstatt Israels Existenz anzuerkennen, erklärt die Terrororganisation weiterhin, das niemals tun zu wollen, um gleichzeitig über die Reaktion der von ihnen angegriffenen Nachbarn Krokodilstränen zu vergießen. Wer das Verhalten Israels gerecht beurteilen will, der muss es mit dem Verhalten anderer Staaten in ähnlicher Lage vergleichen, beispielsweise mit dem Verhalten Russlands in Tschetschenien. Und plötzlich fällt auf, dass alle arabischen und muslimischen Länder eng befreundet sind – mit einem Land, das ganz anders gegen ihre muslimischen Brüder und Schwestern vorgegangen ist als Israel.
Einer der gefragtesten «Nahost-Experten» ist derzeit Michael Lüders, der es fertig bringt, seine «israelkritische» Mantra in vielen Sendungen der öffentlich-rechtlichen deutschen und österreichischen Medien anzubringen. Oft nimmt er dabei Stellung für die blutigsten Regime und Terroristen im Nahen Osten, und wie schon so viele vor ihm recycelt Lüders in einem seiner Elaborate die alte Legende: «Die reichen New Yorker Juden üben eine Menge Druck auf die Entscheidungsträger aus.» Mit Fakten hingegen geht Lüders schlampig um, wenn er zum Beispiel im ZDF am 20. Juli behauptet, «dass die Erweiterung des militärischen Einsatzes Israels die Sicherheit der Israelis nicht erhöht.» Immerhin ist, seit dem die israelische Armee Bodentruppen im Gazastreifen einsetzt, die Zahl der von Hamas auf Israel abge- schossenen Raketen radikal zurückgegangen. Lüders operiert mit der Gleichsetzung einer Terrorbande mit einer parlamentarischen Demokratie und vertuscht damit das, was Ministerpräsident Netanjahu so brillant formuliert hat: «Wir verteidigen unsere Kinder vor Raketen und die Hamas verteidigt ihre Raketen mit Kindern.»
Wir haben es mit Ideologietätern zu tun, die agitieren und die wissen, was sie tun. Sie bestärken den sekundären Antisemitismus in Europa, der mit einer Täter-Opfer-Umkehr arbeitet und implizit – manchmal auch explizit – die Juden Israels als Nazis brandmarkt.
In Europa appellieren sie an das Analogiedenken. So wie wir hier – mit Ausnahme des Jugoslawienkriegs und der Auseinandersetzungen im Kaukasus und der Ukraine – seit Jahrzehnten in Frieden leben, so sei das ja auch im Nahen Osten möglich, wenn da nur nicht die bösen Israelis wären. So wie der Hass des Antisemiten auf die Juden doch einen Grund haben müsse, so müsse doch der Hass der Palästinenser gegen Israel einen vernünftigen Grund haben, den man aus der Welt schaffen könnte.
Nach Ansicht der selbsternannten Experten und Moralhüter im deutschen Nahost-Diskurs ist Israel für alle Probleme im Gazastreifen verantwortlich, beispielsweise auch dafür, dass dort 1,8 Millionen Men- schen leben. Laut «Meyers Universallexikon» hatte der Gazastreifen im Jahre 1979 nur 500.000 Einwohner. Für einen derartigen, rapiden Bevölkerungszuwachs trägt Israel insofern eine Verantwortung, als es die Gesundheitsfürsorge und die hygienischen Verhältnisse während der Besatzung bis Sommer 2005 wesentlich verbessert hatte. Wenn Hamas die Milliarden Dollar und Euro, die seit Ende der israelischen Besatzung von den Steuerzahlern in Amerika und der EU in den Gazastreifen geflossen sind, für Raketen und in den Ausbau von Tunnels investiert und nichts getan hat, um die Lebensumstände der Masse der Bevölkerung zu verbessern, sondern große Summen auch auf die Privatkonten ihrer Anführer überwiesen wurden, dann kann Israel wohl schwerlich dafür verantwortlich gemacht werden.
Die schlechte Lage im Gazastreifen resultiert aus der «Alles-oder-nichts»-Haltung der Mehrheit der Palästinenser, den wahnwitzigen Versuchen, Israel auszulöschen, sowie aus der völligen Unfähigkeit der palästinensischen Elite, konstruktive Lösungen anzustreben. Es ist natürlich einfacher, Israel zu kritisieren, weil es nicht kapituliert, und die Konzessionen, die der jüdische Staat bereits gemacht hat und für einen dauernden Frieden zu machen bereit ist, zu übersehen.

Von Karl PFEIFER

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Zur Person
Karl Pfeifer, geboren 1928 in Baden bei Wien. Nach dem Anschluss 1938 Flucht mit den Eltern nach Ungarn. Anfang 1940 wird er Mitglied der zionistisch-sozialistischen Jugendbewegung Haschomer Hazair und gelangt im Januar 1943 nach einer abenteuerlichen Reise in das britische Mandatsgebiet Palästina. Drei Jahre wird er – im Rahmen der Jugendalija – in einem Kibbuz erzogen. 1946 meldet er sich mit seiner Gruppe zur Palmach (Eliteeinheit der Hagana) und nimmt Teil an den Kämpfen um die Geburt des Staates Israel. In seinem 2013 erschienenen Buch «Einmal Palästina und zurück» schildert er seine bewegte Jugend bis zur Rückkehr 1951 nach Österreich. Seit 1979 Journalist, 1982–1995 Redakteur des offiziellen Organs der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, 1990–2005 Freelance Korrespondent des israelischen Radios in Wien. Autor von «Nicht immer ganz bequem» (1996) und Koautor von «Bruderzwist im Hause Israel» (1999).

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