Warum sind die Alkoholprobleme des EU-Kommissionspräsidenten für deutsche Medien keine Thema?

 

Von Henryk Broder



Es ist in und außerhalb von Brüssel kein Geheimnis, dass der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, ein Alkoholproblem hat. Man hat ihn schon öfter nicht ganz nüchtern in der Öffentlichkeit gesehen, aber noch nie so randvoll wie bei der Abschlussfeier zum NATO-Gipfel in Brüssel letzte Woche. Juncker schwankte und wankte, erst schaffte er es nicht aus eigener Kraft zum Gruppenfoto auf die Bühne, dann musste er beidseitig gestützt werden und wäre beim Abgang von der Bühne beinahe gestürzt, wenn ihm nicht ein paar Begleiter unter die Arme gegriffen hätten. Dabei küsste er jeden ab, der ihm in die Quere kam, Küsschen links, Küsschen rechts, wie es so seine Art ist.

Ein belgischer Nachrichtensender hatte die Szene festgehalten, andere Sender übernahmen die Bilder. Allerdings weder die ARD noch das ZDF. Daraufhin fragte ich bei Kai Gniffke, dem Chef der „Tagesschau“ und der „Tagesthemen“ nach, ob es irgendeinen Grund geben würde, „warum Sie in Ihrer Berichterstattung über den NATO-Gipfel in Brüssel diesen Bericht des flämischen Fernsehens nicht übernommen, nicht einmal daraus zitiert haben?“ und ob die Redaktion, wäre es Donald Trump gewesen, genauso gehandelt hätte.

Kai Gniffke überlegte ein paar Tage und schrieb zurück: „Natürlich hätten wir gezeigt, wenn Donald Trump auf dem NATO-Gipfel derart angeschlagen aufgetreten wäre. Schließlich war er die unbestrittene Hauptperson. Das war der EU-Kommissionspräsident an diesem Tag nicht, so dass wir die Frage, aus welchen Gründen er an diesem Tag ebenso gebrechlich wie kussfreudig war, nicht in dem Bericht über den NATO-Gipfel thematisiert haben, da es hier um den Fortbestand des westlichen Verteidigungsbündnisses ging. Da erschien uns die Frage, ob ein Tagungsteilnehmer Ischias-Beschwerden hat oder angeschickert ist, nicht im Zentrum des Ereignisses zu stehen. Bei einem EU-Gipfel wäre das wohl anders gewesen.“

Der vorletzte Satz bezog sich auf das Statement eines Kommissionssprechers, wonach Juncker an diesem Tag „von einer besonders schmerzhaften Ischias-Attacke geplagt wurde“. Also warten wir den Bericht zum nächsten EU-Gipfel ab. Irgendwann wird auch die „Tagesschau“ zugeben müssen, dass solche Spektakel nur volltrunken zu ertragen sind.

Zuerst erschienen in der „Züricher Weltwoche“

Komplett zu lesen in der Druck- oder Onlineausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier für 39 Euro im Papierform abonnieren oder hier ein Onlinezugang zu den 12 Ausgaben für 33 Euro kaufen.


Sie können auch diesen Artikel komplett lesen, wenn Sie die aktuelle Ausgabe der "Jüdischen Rundschau" hier online mit der Lieferung direkt an Sie per Post bestellen oder jetzt online für 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk kaufen.

Brief an die Redaktion schreiben

Soziale Netzwerke