August 7, 2014 – 11 Av 5774
Die Rückkehr des Thorajudentums nach Berlin

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Über Yehuda Teichtal, seine Realitäten und die Vision der guten Zukunft 

An einem Freitagabend saß ich wie so oft auf der Frauengalerie der Synagoge Münstersche Straße. Deutschland stand im Halbfinale, das Männerparkett war dennoch voll. Nach dem Gottesdienst lachte Rabbiner Yehuda Teichtal (42). Seine erste Ansage: «Deutschland 1:0 gegen Frankreich. Und warum? Weil wir gebetet haben.»
Irgendwer hatte ihm das Ergebnis zugeraunt. Beim Kiddusch fehlte er, diesmal leitete Rabbiner Shmuel Segal den Abend. Er sagte die Segenssprüche, das rituelle Händewaschen folgte, gemeinsam wurde gegessen, getrunken, gesungen, geredet und der rabbinischen Deutung des Wochenabschnitts zugehört. Yehuda feierte diesen Kabbalat Schabbat mit Rebbezin Leah, Kindern und Gästen bei sich zu Hause.

Aus dem Leben eines Rabbiners
Yehuda Teichtal kam am 16. September 1972 in Brooklyn, Crown Heights auf die Welt. Es war Schabbat und er noch keine Stunde alt, als der Vater zu seinem Rabbiner, zu Mendel Menachem Schneerson, dem 7. Rebben, ging und den Segen für das Kind erbat. Vater Teichtal lehrt seit vierzig Jahren an der Yeshiva University, die Mutter ist Direktorin einer riesigen Mädchenschule, Yehuda ist der Zweitgeborene von 13 Kindern. Unvergessen die kleine Schwester Minna, die mit sieben Jahren starb. Aus den sieben Knaben und fünf Mädchen wurden inzwischen jüdische Führungskräfte, die insgesamt 35 Kinder haben. Yehuda erzählt, wie er als echtes amerikanisches Kind Präsident Ronald Reagan schriftlich zu seiner Bar Mitzwa einlud. Ein Jahr später kam der Dank auf vorgedruckter Absagekarte. Der Rebbe, sagt er, hätte jeden Brief sofort beantwortet und sich Zeit für jedes Kind genommen. Ob Jude, Christ, Muslim oder ohne Religion, wichtig war der Mensch. Yehuda lernte früh, dass Lubawitscher Chassiden die Jüdischkeit in die Welt tragen. Der Rebbe, erklärte ihm der Vater, schickt jemanden auch auf eine winzige Insel, um dort Menschen glücklich zu machen. Für Yehuda wurde der Rebbe Vaterfigur und Vorbild. «Er hat uns vorgelebt, mehr als das zu tun, was wir uns zutrauen, unsere Aktionen zu verdoppeln und zu verdreifachen. Gute Taten verändern die Welt zum Besseren.»

Yehuda Teichtal ist ein Botschafter, ein Shaliach des Rebben geworden. Chabadniks wie er verbreiten Freude, Wissen und Liebe und handeln, denn jede gute Tat, jede Mitzwa ist gottgefällig. Yehuda weiß, dass manche Menschen aus Unsicherheit, Angst vor den Folgen oder Egoismus ihre Führungsstärken nicht ausleben. Für ihn ist das die Herausforderung. Verschlossenheit, Verweigerung und Rückzug widersprechen seiner positiven Lebenshaltung. Reach out! Diese globale Strategie des Rebben steht für Verbreitung und Wahrung jüdischer Traditionen. Der Rebbe sagte, es gibt keine guten und schlechten Juden, sondern nur Juden, egal, wo oder wo sie nicht beten.
1995 wurde Yehuda mit Leah bekanntgemacht. Seine Schwester hatte eine Freundin, die einen Onkel, irgendwie gehört Leah in diese Kette... Yehuda traf sie in New York. Sie sprachen über ihre Le- bensziele. Beide wollten dem Judentum dienen. Yehuda hatte einen Traum, in dem Berlin eine Rolle spielte. Berlin, wo der Rebbe und die Rebbezin zwischen 1928 bis 1933 studiert hatten, wohin seit 1990 russischsprachige Jüdinnen und Juden einwanderten. Berlins jüdisches Gemeindeparlament ermächtigte damals Jerzy Kanal, den Vorsitzenden, Rabbiner Yehuda Teichtal und Frau Leah einzuladen. Sie buchten keinen Rückflug.

Warum Berlin?
Am 6. August 1996 um 10.45 Uhr landete das Ehepaar Teichtal mit der El Al in
Schönefeld. Leah war 20 und mit David schwanger, Yehuda 23 Jahre alt. Sie kamen über Jerusalem, wo Yehudas verstorbener «Zeide» Rabbiner Chaim Menachem Teichtal sel.A. lebte, der sich wie Großmutter Chaya Feigel für alle Vorhaben der über einhundert Kinder, Enkel und Urenkel interessierte. Er war die tragende Säule in Yehudas Leben. Keine Sekunde habe er gezögert, sein Einverständnis für Berlin zu geben:«Yehuda, das Licht ist stärker als die Dunkelheit. Der positive Geist wird immer überleben.»

Dieser Großvater deutscher Muttersprache redete ungern über die Vergangenheit. Einmal aber rief er Yehuda beim Schabbatessen zu: «Oy! Me Haja Lanu! Welch Leid über uns! Wir flohen vor den Klauen der Nazis, wie mein Vater geraten hatte, nach belgischen Arbeitslagern gelangten wir bis nach Vichy in Frankreich. Dort führte ein Cousin des Rebben, Reb Zalman Schneerson, ein Waisenhaus. Er versteckte uns, obwohl wir zu alt fürs Waisenhaus waren. Eines Nachts, wir steckten im Keller, hörten wir die SS. „Was ist da unten?“ tönte eine schroffe Stimme. „Nur Bücher“, hörten wir Schneersons Antwort ...» Hier un- terbrach die Großmutter mit wischender Handbewegung: «Lasst uns nicht über die dunklen Zeiten sprechen!»
Der Großvater antwortete sanft: «Nur wenn wir zurückschauen, können wir Haschem für das Gute danken.»
Großvater Chaim, 1923 in Pischtian, Slowakei, geboren, war wie sein Bruder von den Nazis geschlagen und gezwungen worden, mit umgehängten Schand- tafeln durch die Straßen zu gehen. Die Familie wurde ermordet, viele in Auschwitz. Er entkam und leitete nach der Shoa in Paris ein Waisenhaus, bevor er nach Israel auswanderte.
Für diesen Großvater war Berlin die passendste Antwort auf die Vergangenheit.

Der Lebensmittelpunkt wird gestaltet
Yehuda erinnert sich, wie er in Berlin von der Tora als Fackel sprach und dass Lernen das Dunkel erhelle. Manche sagten ihm, für Torajudentum wäre Berlin kein Ort mehr, Leah und er hätten hier keine Zukunft. «Wir waren gekommen, um zum jüdischen Leben innerhalb der funktionierenden Strukturen

Von Irene RUNGE



Chabad Lubawitsch
Chadab Lubawitsch gehört heute zu den bekanntesten chassidischen Gruppierungen innerhalb des religiös-orthodoxen Judentums. Die Bewegung entstand im späten 18. Jahrhundert, maßgeblich initiiert von Rabbi Schneur Salman von Ljadi (1745-1812). «Chabad» ist ein Akronym aus den hebräischen Worten für Weisheit («Chochma»), Erkenntnis («Bina») und Wissen («Da’at»). «Lubawitsch» rührt vom Namen eines kleinen russischen Ortes in der Nähe von Smolensk, wo die Bewegung bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ihr Zentrum hatte. Seit Mitte des 20 Jahrhunderts befindet sich das Zentrum von Chabad in New York, im Brooklyner Stadtteil Crown Heights. Die Bewegung ist in ihrer bisherigen Geschichte ganz wesentlich durch ihre sieben Rebbes geprägt worden, von denen Salman von Ljadi der erste war. Sie verkörperten eine tiefe emotionale Frömmigkeit und einen charismati- schen Führungsstil. Der siebte Lubawitscher Rebbe, Menachem Mendel Schneerson (1902- 1994), wird im Besonderen verehrt. Die Zahl der weltweiten Anhänger von Chabad wird auf rund 200.000 geschätzt. Weltweit sind mehr als 3.000 «Schlichim» (Gesandte) mit ihren Familien unterwegs, um jüdische Menschen wieder zu ihren Wurzeln zurückzubringen und ihr spirituelles Judentum zu stärken.

Aktivisten von Chabad sind heute auch in mehr als 12 deutschen Städten präsent, die von ihnen betriebenen Bildungs- und Sozialprojekte werden vorrangig durch private Spenden finanziert. Das im September 2007 in Berlin-Wilmersdorf eröffnete «Jüdische Bildungs- und Familienzentrum» ist das größte seiner Art in Europa und beherbergt neben der Synagoge unter anderem eine Yeshiva (Talmudschule), Bibliothek, Mikwe, Studienräume, Computer- kabinett, koscheres Restaurant und moderne Veranstaltungsräume.

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