Das neue israelische Gesetz im Vergleich zu den Gesetzen anderer Länder
  

Von Ulrich Sahm

Wie „üblich“ hagelte es in der arabischen Welt heftigste Kritik am israelischen „Nationalitätengesetz“, als ob dort Gleichberechtigung, Demokratie und sonstige Menschenrechte eine Selbstverständlichkeit wären. Zwar dürfen in Saudi-Arabien neuerdings Frauen sogar ihr Auto steuern, müssen aber einen männlichen Begleiter in der Nähe haben. Und ausgerechnet jene arabischen Staaten, in denen es heute keinen einzigen Juden mehr gibt, weil sie in den 1950er Jahren allesamt vertrieben worden sind, bezichtigen Israel am lautesten der „Apartheid, schlimmer noch als Südafrika“.

Nicht viel besser ist es um die europäischen Medien bestellt. Die „Welt“ zum Beispiel hat unredigiert einen Bericht der französischen Agentur AFP übernommen, der schon im Titel das Gesetz als „umstritten“ und unter „Diskriminierung“ eingeordnet hat, ohne darzustellen, was überhaupt in dem Gesetzestext steht.

Genauso veröffentlichte „Radio Vatikan“ heftige Kritik an dem Gesetz, ohne wenigstens die kritisierten Passagen wörtlich zu zitieren. Erwähnt werden da amerikanisch-jüdische Organisationen wie AJC oder ein amerikanischer Rabbiner der Reformjuden. Dass diese ihre eigenen Interessen verfolgen und keine überzeugende Interpreten israelischer Politik und Befindlichkeiten sind, ist selbstredend.

Sind Staatssprachen wirklich so eindeutig?
In der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV) sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch als Amtssprachen auf Bundesebene festgeschrieben. Die Bundesverfassung legt die Sprachgebiete der Schweiz jedoch nicht fest. Artikel 70 Absatz 2 weist den Kantonen die Kompetenz zu, ihre Amtssprachen zu bestimmen. Ist die Schweiz dadurch automatisch demokratischer als ihre europäischen Nachbarn? In Österreich ist die deutsche Sprache als offizielle Staatssprache in Artikel 8 der österreichischen Bundesverfassung festgeschrieben. Minderheiten wie die Kärntner Slowenen haben ihren eigenen Status. Müsste die „Welt“ jetzt nicht auch im Fall von Österreich von „Diskriminierung“ sprechen? In Deutschland ist man sich nicht sicher, ob man die deutsche Sprache als Staatssprache im Grundgesetz verankern sollte. Wenn also jeder Staat in Europa die „offizielle Sprache“ auf seine Weise regelt, ohne dass das den Nachbarn stört, warum mischt man sich dann im Fall von Israel ein?

Hinzu kommt, dass der Status der arabischen Sprache unverändert bleibt: „Die arabische Sprache hat einen besonderen Status im Staat; die Regelung des Einsatzes von Arabisch in staatlichen Institutionen oder durch sie wird gesetzlich geregelt. Diese Klausel berührt nicht den Status der arabischen Sprache vor Inkrafttreten dieses Gesetzes.“

In Artikel 22 des deutschen Grundgesetzes steht bislang nur die Farbe der Bundesflagge – Schwarz-Rot-Gold und Berlin als Hauptstadt der Bundesrepublik in der Verfassung. Als die CDU im Jahre 2008 auf ihrem Parteitag ein Bekenntnis zur deutschen Sprache ins Grundgesetz aufnehmen lassen wollte, waren nicht nur SPD und Grüne dagegen, sondern auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die türkische Gemeinde reagierte alarmiert. „Es ist schwierig nachzuvollziehen, warum auf einmal die Notwendigkeit gesehen wird, die deutsche Sprache ins Grundgesetz aufzunehmen. Dies alles lässt nichts Gutes erahnen. Erneut bedienen einige Politiker in der CDU vorhandene Ängste und Klischees gegenüber Migrantinnen und Migranten“, erklärte der Vorsitzende Kenan Kolat. (Dabei erwähnte er nicht, welche Rechte Kurdisch, Armenisch und anderen Sprachen von Minderheiten in der Türkei eingeräumt werden.).

Lange zuvor hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) gefordert, Deutsch als Landessprache im Grundgesetz zu verankern. Merkel und der damalige SPD-Chef Kurt Beck hätten ihm bereits ihre Zustimmung signalisiert, sagte Lammert im Februar 2007. Seine Argumentation: Die „Verbindlichkeit der Sprache“ sei für das Land konstitutiv und könne daher nicht „eines von vielen Angeboten sein“. 2008 wies Lammert dann darauf hin, dass die meisten Verfassungen der EU-Staaten ein solches Bekenntnis zur Sprache enthalten. Wenn Deutschland dem folge, sei das eine „schiere Selbstverständlichkeit“ und habe nichts mit einem latenten Nationalchauvinismus zu tun. Lammert hat sich nicht durchsetzen können. Fakt ist: Die deutsche Sprache hat in Deutschland bis heute nicht Verfassungsrang.

Ruhetage sind nirgends geregelt. Oder?
Unvorstellbar, dass in einem weltlichen Staat wie Deutschland der christliche Sonntag per Gesetz zum wöchentlichen Ruhetag erklärt würde, wie jetzt in Israel der Sabbat – oder?
Während in Deutschland und anderen europäischen Staaten auch christliche Feiertage im Gesetz stehen und im Prinzip für alle gelten, ungeachtet der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, wird selbst im neuen Gesetz der wöchentliche Ruhetag in Israel relativiert: „Der Sabbat und die Feste Israels sind die etablierten Tage der Ruhe im Staat; Nicht-Juden haben das Recht, an ihren Ruhetagen und Festen zu ruhen; Details zu diesem Thema werden gesetzlich festgelegt.“ In christlichen oder muslimischen Ortschaften wie Nazareth oder Ostjerusalem und selbst in multi-ethnischen Städten wie Haifa oder Beer Schewa dürften auch weiterhin am Sabbat die öffentlichen Busse verkehren.

Wer definiert Diskriminierung?
Während die „palästinensische“ Autonomieregierung in Ramallah infolge des Gesetzes Israel der Apartheid bezichtigte, werden im ehemals christlichen Bethlehem, der Geburtsstadt Jesu, die Regeln des muslimischen Ramadan strikt durchgesetzt, ohne dass das einen Europäer stört. Da darf selbst ein Christ nicht mal im eigenen Auto rauchen, ohne von der „palästinensischen“ Polizei einen saftigen Strafzettel wegen Verstoßes gegen die Fastenregeln der Moslems verpasst zu bekommen.

Nur in Israel gibt es „stille Tage“. Oder?
In Deutschland darf man doch an Karfreitag, am Totensonntag und am Volkstrauertag öffentlich tanzen – oder? Wie kommen jetzt also die Israelis dazu, jüdische Feste als gesetzliche Feiertage festzulegen? Dabei heißt es im neuen Gesetz nur: „die Feste Israels sind die etablierten Tage der Ruhe im Staat“. Etabliert bedeutet noch lange nicht, dass die Bäckerei Abulafia in Jaffo während des Pessachfestes keine Fladenbrote mehr an die überwiegend ungläubigen jüdischen Kunden verkaufen dürfte. Und kein israelischer Polizist dürfte jemanden verhaften, auspeitschen oder sonstig bestrafen, wenn er am Heiligen Jom Kippur in seinem Garten eine Zigarette raucht oder ein Butterbrot isst. Aus ziviler Rücksicht auf die Nachbarn wäre es jedoch angebracht, an jenem Tag nicht in seinem Vorgarten oder in einem öffentlichen Park zu grillen.

Kann sonst jeder wohnen, wo er will?
Besonders umstritten war ein inzwischen gestrichener Passus, wonach per Gesetz gewisse Ortschaften ihre ethnische oder religiöse Ausprägung bewahren dürften. Die arabischen Abgeordneten zeterten, das sei Rassismus und ein Ende der Demokratie in Israel. Stimmt das? Bisher konnten israelische Araber in Tel Aviv, in rein „jüdischen Vierteln“ in Jerusalem und sogar in Siedlungen einziehen. Doch wie viele Juden konnten sich in rein arabischen Dörfern niederlassen? Kein „Fremder“ (Jude oder Moslem) würde freiwillig in eine ultraorthodoxe Gegend ziehen, wo Radio und Fernsehen verpönt sind und wo am Sabbat die Straßen für Autoverkehr abgesperrt werden. Kann man ultraorthodoxen Juden verwehren, in separaten Neubauvierteln zu leben, wenn gleichzeitig Beduinen, Drusen und andere ethnische Gruppen „unter sich“ bleiben wollen und mit sozialem Druck den Zuzug „Anderer“ verhindern? Glücklich überwunden ist in Europa die uralte Sitte, Juden in Gettos zu pferchen. Aber könnten sich heute Berliner Juden in Neukölln, Wedding oder Kreuzberg schadlos niederlassen?

Hauptstadt
Wie kam Berlin dazu, sich als „ganze und vereinte“ Hauptstadt eines demokratischen Deutschland zu präsentieren – ohne Rücksicht auf den „kommunistisch geprägten Ostteil“ der Stadt? Man wird doch wohl mal fragen dürfen. Oder?

Bisher galt die Unabhängigkeitserklärung Israels aus dem Jahr 1948 als eine Art „Verfassung“. Darin ist festgeschrieben, dass alle Bürger gleichberechtigt seien. Zunächst einmal sei hier festgehalten, dass zwei der stabilsten Demokratien im Westen auch ohne Verfassung auskommen. Die klassische Demokratie Großbritannien kommt bestens ohne Verfassung aus. Die Bundesrepublik kannte auch keine Verfassung, sondern nur „Grundgesetze“. Warum sollte Israel das nicht gestattet sein, zumal wichtige Koalitionspartner im Parlament, die unterschiedlichsten „frommen“ Parteien, nur die Thora, also die Bibel als Verfassung akzeptieren können? Anders als der Vatikan wollte Israel nie eine Theokratie sein, wo allein Gott das Sagen hat.
Der Gesetzgeber ist die vom Volk gewählte Knesset, das Parlament. Nur die Knesset bestimmt, was in Israel als Gesetz gilt. Darunter sind dann eben auch einige Grundgesetze, die nur mit einer großen Mehrheit geändert werden können und den Status einer Art Verfassung haben, ähnlich oder gar identisch mit Deutschland.

Ist Israel der einzige Nationalstaat?
Für manche Kritiker irritierend ist die Vorstellung, dass Israel sich als Nationsstaat der Juden präsentiert, während doch in Europa die vor rund 200 Jahren erkorene Idee der „Nationalstaaten“ dank verwischter Grenzen und gemeinsamer Währung als (fast) überwunden gilt. Wie kommen also die Juden dazu, nur für sich und ihre „Volksgenossen“ ein automatisches Einwanderungsrecht zu gewähren? Wie kann Israel für sich in Anspruch nehmen, allein für Juden als Zufluchtsort offen zu stehen?

Zunächst einmal sollte man sich in Deutschland fragen, wieso eigentlich die vor 500 Jahren nach Russland ausgewanderten „Wolgadeutschen“ und andere deutsche Minderheiten wie selbstverständlich und ohne bürokratische Hürden bei ihrer „Rückkehr“ nach Deutschland schon am Flughafen ihren deutschen Ausweis ausgehändigt bekamen, so wie Juden aus aller Welt bei ihrer Ankunft einen israelischen Pass erhalten? Ähnlich erging es den „Pieds noir“ bei ihrer Rückkehr aus Nordafrika nach Frankreich. Könnte es etwa sein, dass Deutschland und Frankreich genauso „altmodische und unzeitgemäße“ ethnisch ausgerichtete Nationalstaaten sind, wie es heute Israel zum Vorwurf gemacht wird?

Wenn man sich heute in Europa umschaut, wo an Grenzen plötzlich wieder kontrolliert wird, und wo die verschiedenen „Goetheinstitute“ weltweit aktiv sind, ihre jeweilige „Landeskultur“ in der Menschheit in Afrika, Asien und sonst wo verbreiten, so scheinen die „Nationen“ an ihren alten Werten bis heute festzuhalten.

Wenn das allein den Israelis angelastet wird, sollte man sich fragen, wieso es bis heute Antisemitismus, Judenverfolgungen und andere Diskrimination ausgerechnet gegen jene Gruppe Mensch gibt, die nur in Israel eine Zuflucht findet. Oder wäre etwa Deutschland bereit gewesen, sofort und unbürokratisch mit dem Tode bedrohte äthiopische Juden, die Juden aus der besetzten Ukraine oder seinerzeit eine Million Juden aus der gesamten arabischen Welt per Luftbücke einzufliegen, mit Wohnungen, Arbeitsplätzen und sozialem Netz zu versorgen? Und wie sieht es gar mit den wenigen Juden in Deutschland aus, wo es in letzter Zeit immer häufiger zu antisemitischen Vorfällen und sogar zu Morden und anderer Gewalt gekommen ist?

Antisemitismus und die Idee des Nationalstaates
Bis heute sind in fast jedem deutschen Stadtzentrum die Überreste der „Judengassen“ oder Ghettos zu sehen, in denen die Juden leben mussten. Als Verschwörungstheorie ist bis heute die Vorstellung des „Finanzjudentums“ verbreitet. Sogar der des Antisemitismus unverdächtige Konrad Adenauer erwähnte während der Wiedergutmachungsverhandlungen mit Israel seine Angst vor dem „Finanzjudentum“. Vergessen ist allerdings, dass es in der „christlichen Umwelt“ verboten war, Geld zu verleihen und Zinsen zu nehmen. So haben die deutschen Fürsten die ohnehin mit zahlreichen „Berufsverboten“ geknebelten Juden gezwungen, den Geldverleih zu übernehmen. Während die Deutschen dank jahrhundertelanger Handwerkstradition zu begnadeten Metzgern und Brotbäckern wurden, während die Franzosen sich auf das Herstellen von Käsesorten konzentriert haben, waren die Juden schon im Mittelalter gezwungen, sich als Bankiers zu profilieren. Solche Fertigkeiten werden dann auch vererbt.

Es ist mehr als zynisch, die jüdische Minderheit erst zum Geldverleih zu zwingen und sie dann genau deswegen zu verfolgen und zu verteufeln.
Man könnte vielleicht sogar die „gewagte“ These aufstellen, dass die europäische Idee des Nationalismus einerseits, der Gleichberechtigung und Religionsfreiheit andererseits, in entscheidender Weise mit der Geschichte des Antisemitismus und der vorausgegangenen Ausgrenzung von Juden in einem engen Zusammenhang steht. Als Napoleon „Egalité, Fraternité und Liberté“ zu den Grundwerten der französischen Republik erklärte und damit auch das benachbarte Deutschland, also die heute „ausgestorbenen“ Preußen, beeindruckte, fühlten sich vor allem die bislang ausgestoßenen und unterdrückten Juden angesprochen. Dennoch musste Heinrich Heine, jener „unbekannte“ Dichter der Loreley, zum Christentum konvertieren, um in Düsseldorf Jura studieren zu können.

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