August 3, 2018 – 22 Av 5778
Zwischen Comeback und Enttäuschungen

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Jüdische Schauspieler auf deutschen Bühnen nach dem Holocaust  

Von Dr. Joseph Heid

Es ist eine Binsenwahrheit, dass jüdische Schauspieler und Schauspielerinnen auf deutschen Bühnen in großem Umfang reüssierten – vor der Zeitenwende des Jahres 1933. Bis dahin hatten sie mit ihren großen Leistungen ganz wesentlich zum deutschen Kulturgut beigetragen. Schauspieler wie Fritz Kortner, Ernst Deutsch, Elisabeth Bergner und all die anderen, Regisseure wir Max Reinhard und Leopold Jessner hatten dem kulturellen Leben in Wien und Berlin Glanzlichter aufgesetzt. Das war ein einzigartiges Kapitel deutsch-jüdischer Kulturbeziehung, das keine Parallele in all den anderen Verflechtungen zwischen Juden und Nichtjuden hatte.

Gewiss, schon im Kaiserreich besaßen Juden – wenn auch de facto nie voll gleichberechtigt und trotz der Gefährdung eines sich immer stärker artikulierenden Antisemitismus – eine wichtige Rolle im Theaterleben. Der Höhepunkt jüdischer Theaterleistungen wurde jedoch erst in den Jahren der Weimarer Republik erreicht, die wohl eine der größten Kulturepochen deutscher Geschichte war.

Akkulturationsdrang
Gemeinsam war den meisten jüdischen Theaterkünstlern, dass sie allen Kränkungen, Zurücksetzungen und Gefährdungen zum Trotz stolz darauf waren, Juden und Deutsche zugleich zu sein. Allein im Namen des großartigen Schauspielers Ernst Deutsch manifestiert sich diese Seelenverwandtschaft.
Viele jüdische Künstler begriffen nicht so recht, warum sie mit einem Male Auftrittsverbot bekamen, hatten sie doch mit ihrem Jüdischsein gebrochen oder waren vollständig in der deutschen Kultur aufgegangen. Mit gewohnter Scharfzüngigkeit kommentierte Fritz Kortner den Akkulturationsdrang, den er bei vielen jüdischen Künstlerkollegen vor 1933 beobachtet hatte, mit den Worten, dass „eine Kirche im Westen Berlins vom lokalen Witz das ‚Taufhaus des Westens’ genannt“ wurde.

Ruhm und Popularität hatten die „nichtarischen“ Theaterkünstler nicht vor der Vertreibung aus dem Theater bewahrt. Nur selten war ihnen von „arischen“ Kollegen Solidarität entgegengebracht worden. Allenfalls gab es Vorwarnungen und damit Rettung im letzten Moment. Schätzungsweise 4.000 jüdische Theaterschaffende mussten ins Exil gehen.
Der Wunsch, einen aktiven Beitrag zum Neubeginn des Theaterlebens leisten zu wollen, war das prägende Motiv der Remigranten, nach Deutschland zurückzukehren. Offen aber war, ob sie sich gegen die Folgen der NS-Kulturpolitik würden durchsetzen können, zumal sie auf diejenigen angewiesen waren, die einst hinter den Kulissen das Sagen gehabt hatten. Würde man sie, die sie als ausgebürgerte, staatenlose Menschen ins Exil gegangen, und oft als Bürger anderer Staaten ausgestattet mit einem fremden Pass – wie Lilli Palmer, Peter Lorre, aber auch Fritz Kortner und andere – zurückkamen, willkommen heißen? Wie würde das Publikum reagieren? Wie die Theaterkritik?

Der Verfall des Curt Bois
Kaum ein Schicksal illustriert den Absturz so markant wie das von Curt Bois (eigentlich: Boas), der von 1934 bis 1950 in den USA lebte. Der Schauspieler, der zwischen 1930 und 1932 eine jährliche Gage von 100.000 Reichsmark bezogen hatte, verdiente im Jahre 1942 1.250 Dollar, 1944 nur noch 750 Dollar. Vom einstigen Wohlstand war ihm nichts geblieben, bei seiner Flucht aus Berlin hatte er alles zurücklassen müssen.
Bois konnte nach seiner Rückkehr wieder im Theater Fuß fassen und seine Gagen konnten sich wieder sehen lassen. Kortner hatte seinen Lieblingsschauspieler Bois 1959 an das Berliner Schiller-Theater geholt. Dort traf er auf den Schauspielerkollegen Carl Raddatz, der unablässig Geschichten von Goebbels erzählte, der „so reizend gewesen“ sei, und der von jenen Zeiten schwadronierte, als für ihn, Bois, in Deutschland „nur in den Gaskammern Platz“ war.

„Ich störe“
Als Bois nach seiner Ankunft das Deutsche Theater in der Hoffnung betrat, alten Bekannten zu begegnen, merkte er: „Ich störe“. Keiner seiner ehemaligen Kollegen brachte zum Ausdruck, dass er sich über den Rückkehrer freue. Und auch kein Wort des Bedauerns konnte Bois vernehmen. Es war, als hätte es am Theater nie nazistische Mitläufer gegeben.
Viele verjagte deutschsprachige Schauspieler hatten nach Jahren des Exils das Bedürfnis, auf die deutschen Bühnen zurückzukehren. Doch niemand hatte sie offiziell darum gebeten. Das Schicksal der Schauspieler, die auf das gesprochene Wort angewiesen waren, war hart. Das dem Ende 1947 zurückgekehrten, einst in höchster Not geflohene Schauspieler und Regisseur Fritz Kortner zugeschriebene gedrechselte Wort: „Als der Anlass für das Exil in Fortfall kam, kehrte ich aus dem Exil zurück“, galt für andere Schauspieler gleichermaßen. Und nicht selten mussten sie sich der zynischen Frage erwehren, was sie denn zwölf Jahre lang „draußen“ gemacht hätten. Nicht zuletzt lastete man ihnen an, im Ausland „Logenplätze“ besetzt zu haben, während die Deutschen in den Jahren des Krieges Schreckliches erlitten hatten. Dabei wäre die Replik an die genannten Schauspielerkonkurrenten, was sie selbst denn in den zwölf NS-Jahren „drinnen“ gemacht hatten, eine ungleich spannendere Frage gewesen.

Anat Feinberg geht in ihrer tiefgründigen Untersuchung dem Aspekt nach, wie diejenigen Schauspieler, die das Exil überlebt hatten, mit der schwierigen Frage nach der Rückkehr umgingen, einer Rückkehr nicht nur an die alten Wirkungsstätten und in die vertraute Sprache, sondern auch in das Land, das sie vertrieben hatte, das Land der Täter. Dabei berücksichtigt sie sowohl Remigranten, die dauerhaft im Nachkriegsdeutschland blieben, als auch zeitlich begrenzte Rückkehrer, sogenannte Sojourners.

Der aus Wien gebürtige Fritz Kortner (eigentlich Nathan Kohn) hatte seinen schauspielerischen Durchbruch 1919 am Staatstheater Berlin mit Ernst Tollers Stück „Die Wandlung“, eine Rolle, von der er sagte: „Was ich damals spielte, war ich selber; ein junger deutscher Jude und Rebell, in Konflikt mit der Umwelt um mich herum“. Im „Deutschen Bühnen-Jahrbuch“ 1963 hieß es über den NS-Verfolgten: „Im Zweiten Weltkrieg nach Amerika verschlagen“.
Wie niemand sonst hatte Kortner den Wunsch, so schnell wie möglich in das von Hitler befreite Deutschland zurückzukehren. „Mein Gaumen, mein Mund, meine Zunge wurden von der deutschen Sprache geformt, mein Kopf von deutschen Büchern“. Kann man Heimweh anschaulicher formulieren? Doch Kortners Rückkehr im Dezember 1947 stieß in Emigrantenzirkeln durchaus auch auf Missbilligung, was er mit dem Hinweis konterte: „Die Emigranten standen kopf. Ich verkrachte mich noch schnell mit manchen der unversöhnlichen Hasser“. Kortner, in der Bundesrepublik mit Ehrungen – u. a. 1966 das Filmband in Gold für langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film – überhäuft, begriff allmählich, dass ihm als prominenter jüdischer Heimkehrer eine „Funktion“ zugedacht war. (…)

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