Von Michael Fritz
Das Haus liegt in einer stillen Straße in Jaffa, mit dem Auto etwa eine dreiviertel Stunde von meinem Hotel am Strand in Tel Aviv entfernt. Das Klingelbrett ist mit vielen Aufklebern mit Namen versehen, wodurch ein heilloses Durcheinander entsteht – dabei macht das Viertel einen gediegenen Eindruck. In Deutschland würde man vielleicht von gutbürgerlich sprechen. Bäume spenden Schatten, die langen Balkone der Neubauten auf der gegenüberliegenden Straßenseite sind mit Markisen fast völlig verdeckt. Wir haben Ende Oktober, für mitteleuropäische Verhältnisse sind die Temperaturen noch hochsommerlich und laden zum Baden ein, zum Sitzen in kurzen Hosen in einem der vielen Cafés am Strand, über den die hämmernden Geräusche des Matkot hallen, des mit Holzschlägern betriebenen Ballspiels, das als inoffizieller Nationalsport gilt.
Auf mein Klingeln rührt sich nichts. Der Eingang ist verwinkelt und durch ein Gittertor verschlossen. Bin ich überhaupt richtig hier? Als ich ratlos auf und ab gehend nach anderen Türen suche, kommt ein Schwung junger Leute und nimmt mich mit ins Haus. Die schwarzhaarige, sehr zierliche Frau mit den dunklen Augen und leicht getönter Hautfarbe, die zu ihnen gehört, ist Tzlil Danin. Mit beiden Händen hält sie einen offenen Karton mit ihren Einkäufen.
„Willkommen“, sagt sie, während wir im Treppenhaus nach oben steigen.
Eine marokkanisch-jemenitische Sabarit
Im eindrucksvoll riesigen Flur im obersten Stock steht ein Flügel, die Wände schmücken Bilder mit surrealistischen Motiven. Vom Flur gehen mehrere Zimmer ab, in denen die Leute verschwinden; er öffnet sich nach zwei Seiten zu Balkonen, der zum Hof weisende liegt im Schatten, wo ich die Hitze des Nachmittags vergesse und mich in einem bequemen Sessel niederlasse. Ich blicke auf Häuser unter uns, aus denen ein Minarett herausragt. Tzlil Danins Mutter ist Marokkanerin, ihr Vater Jemenite, sie selbst indes vor 29 Jahren bereits in Israel geboren, also eine Sabarit. Sie ist eine in Israel sehr bekannte Sängerin und Liedermacherin, Tzlil produziert auch Titel, freilich nicht in diesem Haus, sondern in Studios.
Sie gehört zur Gruppe „Yafo Creative“, die verschiedene künstlerische Independent-Projekte unterstützt, in ihrem Fall Musik und Videoclips, die eigenwillige Wege beschreiten, ohne dass sich die Stadt oder das Land mit Zuschüssen beteiligten. Sie wohnt und arbeitet zwar in Jaffa, aber ohne die Einflüsse des nahen Tel Aviv wäre diese Musik nicht denkbar. „Es ist Großstadtmusik“, erläutert sie und drückt mir eine Tasse Tee in die Hand. „Ich singe zwar auch auf Hebräisch, aber vor allem auf Englisch, wodurch ich nicht nur in Israel verstanden werde. Die Musik wird sowohl für Israelis als auch für Araber produziert. Und wir wissen, dass wir auch im Westjordanland gehört werden. Die jungen Leute dort haben den gleichen Geschmack wie wir.“
Sie gießt mir nach, klappt geschäftig ihren Laptop auf, klickt sich durch zu dem Ordner mit ihrem Titel. Indem sie auf Wiedergabe drückt und ich sie auf der Bühne sehe, lächelt sie herüber und sagt, dass ihr Haar früher länger gewesen sei, ich sie vielleicht nicht gleich erkenne. Als ob mich das interessieren müsste, wenn es um ihre Musik geht. Erheitert schüttele ich den Kopf, diese Geste, unverkennbar weiblich, scheint überall auf der Welt gleich zu sein. Die Frau begegnet mir mit allem anderen als mit exaltierter Attitüde, die ich womöglich erwartet habe. Ich bin beeindruckt von ihrer umgänglichen und auf erfrischende Weise offenen Art.
Alles auf Russisch
Tzlils Musik ist eine ganz eigene Mischung aus internationaler Popmusik mit musikalischen Einflüssen aus dem Nahen Osten – eine eingängige Musik, die wieder mehr auf die Stimme setzt als auf elektronische Effekte und die durchaus auch in Europa als reizvoll empfunden werden könnte. Bei Tzlils erstem Single-Hit trat sie als Sängerin der populären Rockgruppe „Metropolin“ auf, die 2005 von dem Musiker und Produzenten Ofer Meiri gegründet wurde, der in Israel berühmt ist. Gemeinsam mit ihm schrieb sie den erfolgreichen Song „Lesachek Im Harosh“, was Deutsch in etwa „Spiel mit meinen Gedanken“ heißt. Der Titel ist auf vielen einschlägigen russischen Internetseiten zu finden. Russisch ist wegen der massiven Zuwanderung längst im israelischen Alltag angekommen. (…)
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