Von der bewegten Geschichte der Juden im Wilden Westen  

Von Michael Selutin („Israel heute“ / aish.com)

Im frühen 19. Jahrhundert war der Wilde Westen Amerikas auch die Heimat vieler Juden. Es müssen mehr als 230.000 gewesen sein. Sie gehörten zu den mutigsten Pionieren und haben das Land maßgeblich geprägt.

Eine der detailliertesten Aufzeichnungen über das jüdische Leben im Wilden Westen stammt von der New Yorker Jüdin Flora Spiegelberg. Sie hatte den aus Deutschland eingewanderten Willie Spiegelberg geheiratet. Auf ihrer Hochzeitsreise nach New Mexico führte Flora Tagebuch. Die Eisenbahn fuhr nur bis Las Animas, von wo die Spiegelbergs mit der Kutsche weiterreisten. Als sie das Hotel der Stadt betraten, „waren gerade zweihundert Cowboys von den Weiden zurückgekehrt. Alle waren bis an die Zähne bewaffnet“, schrieb Flora. „Als sie mich sahen, erhoben sich alle wie auf Befehl. Sie johlten mir zu: Hallo Lady, schön, Sie zu sehen! Ich war die erste Frau, die sie seit Monaten zu sehen bekamen.“ Flora und Willie Spiegelberg ließen sich in Santa Fe nieder, wo Flora für die dortigen acht jüdischen Kinder eine Schule gründete. Willie wurde 1884 Bürgermeister.

Die Juden kamen auch mit den Indianern in engen Kontakt. 1867 wurde in Nebraska bei einer Büffeljagd der Geschäftsmann Julius Meyer von Sioux-Indianern entführt. Er verbrachte mehrere Jahre unter ihnen und erlernte mehrere indianische Dialekte. Sein indianischer Name war „Lockiger weißer Häuptling mit einer Zunge“, wobei „eine Zunge“ für „Ehrlichkeit“ stand. Meyer war später beim amerikanischen Kongress Dolmetscher für die Ureinwohner Amerikas.

Viele jüdische Händler knüpften Handelsbeziehungen mit den Indianern. Dabei eigneten sie sich ihre Sprachen an. So zum Beispiel Moses Baruch im Bundesstaat Oregon. Er trieb Handel mit den Umatila-Indianern und lernte ihre Sprache. Später war er ihr Übersetzer und Berater. In Los Angeles gewann Wolf Kalischer die Freundschaft des Stammes der Temecula.

Salomon Bibo ging noch einen Schritt weiter. In Deutschland in eine traditionelle jüdische Familie hineingeboren, siedelte er mit seinen Brüdern 1869 in die Neue Welt über. Sie lebten in Santa Fe, und Salomon handelte mit dem Stamm der Acoma. Er freundete sich so gut mit ihnen an, dass er sie bei Gebietsdisputen mit der amerikanischen Regierung vertrat. Er heiratete eine Acoma-Frau und wurde 1885 zum Häuptling gewählt. Häuptling Bibo unterzog den Indianerstamm mehren Reformen. Er veranlasste die Indianer, umzusiedeln, führte moderne Methoden in die Landwirtschaft ein und gründete eine Schule.

Berühmt als Jude im Wilden Westen war auch Loeb Strauss, ebenfalls aus Deutschland. Als 1848 in Kalifornien Gold entdeckt wurde, gab er seine Schneiderei in New York auf, um ein Geschäft zur Versorgung der Goldgräber zu gründen. Er änderte seinen Vornamen in Levi. Strauss verkaufte den Minenarbeitern alles, was sie brauchten. 1872 verriet ihm der Schneider Jakob Davis, dass man mit Hilfe von Metallnieten sehr widerstandsfähige Hosen machen könne. Die beiden Männer meldeten das zum Patent an und stellten schroffe Wollhosen her, die an besonders anfälligen Stellen mit Kupfernieten zusammengehalten wurden: Die erste Jeans war geboren. Lange Zeit galt die Jeans als Arbeiterhose des Westens, bis Touristen zu Besuch nach Kalifornien kamen. Sie brachten die blauen Hosen mit nach Hause, die Jeans trat ihren Siegeszug an. Im Zweiten Weltkrieg wurde Jeansstoff sogar rationiert.

Das Feuergefecht am O.K. Corral am 26. Oktober 1881 war eines der berühmtesten des Wilden Westens. Eine Augenzeugin war die jüdische Teenagerin Josephine Sarah Marcus. Sie war aus Abenteuerlust mit einer Theatertruppe in den Westen gezogen. Als sie Schüsse auf der Straße hörte, lief sie ohne Kopfbedeckung neugierig hinaus. „Wyatt Earp, ein Revolverheld, sah mich und kam auf mich zu“, schrieb Josephine. „Mein einziger Gedanke war: Mein Gott, ich habe keine Haube auf! Was wird der Mann von mir denken?“ Er dachte wohl nichts Schlechtes, denn er und Josephine heirateten. Die Ehe bestand 50 Jahre. Der berühmte Revolverheld, Vorbild für einige Hollywood-Produktionen, wurde schließlich in Kalifornien auf einem jüdischen Friedhof begraben.

Anders als ihre Brüder in Europa, die in Ghettos und heruntergekommenen Dörfern von einem Pogrom zum nächsten dahinvegetierten, konnten die Juden Amerikas nicht nur Abenteuer erleben, sondern auch der aufstrebenden Supermacht helfen, zu dem zu werden, was sie heute ist.

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