Juli 6, 2015 – 19 Tammuz 5775
Wenn Jurek Becker auf Quentin Tarantino trifft

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Zum neuen Buch „Fayvel der Chinese. Aufzeichnungen eines wahnwitzigen Ganoven“  

Von Julia Heidel

Wie abgebrüht und wahnwitzig muss dieser Fayvel sein, um im Jahr 1941 als Jude freiwillig aus dem sicheren Exil in China zurück in die alte und nun von den Nationalsozialisten besetzte Heimat Warschau zu reisen? Einhunderttausend Dollar in bar, argentinische Pässe und ein Leibwächter,
der in seinen jungen Jahren sogar Max Schmeling im Boxkampf besiegte, sind für dieses Unterfangen genauso hilfreich wie Fayvels langjährige Erfahrungen im Drogen- und Waffenhandel.
Hinzukommen eine gehörige Portion Gerissenheit, beste Beziehungen in die jüdische Unterwelt und der unbedingte Wille, die eigene Familie aus dem Warschauer Ghetto und damit vor dem sicheren
Tod zu retten – über all dies verfügt unser Ganove. Auch die Tatsache, dass seine chinesische Geliebte, eine bildhübsche und im nazistischen Europa äußerst auffallende Erscheinung, darauf beharrt, Fayvel/Paul/Pavel/Polo zu begleiten, kann ihn nicht von seinem irrwitzigen Plan abhalten.
So fliegt das illustre Gangstertrio über Berlin und Danzig nach Warschau, wo es sich zunächst als Geschäftsdelegation ausgibt. Den Höhepunkt der erfolgreich verlaufenden „Verhandlungen“ mit
den Deutschen bildet eine „touristische Expedition“ ins Ghetto. Kurz darauf quartieren sich die Drei selbst hier ein. Mithilfe ihrer beträchtlichen Bargeldreserven und der vielen Kontakte zum
Untergrund können sie ihren „Palast“ beziehen und richten sich dort recht luxuriös ein. Doch der materielle Prunk kann das Elend im Ghetto nicht beschönigen. Und schon bald entstehen neue,
ungeahnte Aufgaben für Fayvel und seine Mitreisenden.

Der neugegründete Leipziger Verlag „Liesmich“ hat mit seinem zweiten Roman ein wahrlich cineastisch verfasstes Abenteuer veröffentlicht. „Fayvel der Chinese“ ist ein Spionageroman, eine
Fluchtgeschichte, die so rasant erzählt wird, dass der Leser das Gefühl hat, ein Drehbuch Tarantinos in den Händen zu halten. Das Extraordinäre an dieser Veröffentlichung, dessen Autor der jüdische
Historiker und Archäologe Phillipe Smolarski ist, sind die hervorragend recherchierten geschichtlichen Details über die jüdisch-mafiösen Gruppierungen Europas in der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts. Fayvels Geschichte zeigt ein wehrhaftes Judentum und exemplifiziert, dass die Grenze zwischen Opfern und Tätern heute nicht mehr in der gängigen Schwarz-Weiß-Manier
der Geschichtswissenschaften gezogen werden kann. Jüdische Gangster haben auch nach der deutschen Besetzung Polens in der Unterwelt ihre Illegalitäten getrieben und damit Gutes und Schlechtes bewirkt. Smolarski, der Jahre lang zu dieser Thematik geforscht hat, führt
authentisch Protokoll darüber, ohne die jüdische Bevölkerung dabei jedoch zu verunglimpfen.

Philippe Smolarski:

Fayvel der Chinese.
Aufzeichnungen eines wahnwitzigen Ganoven.
Leipzig: Liesmich Verlag 2015, 264S., 14,95€.
Erhältlich im Buchhandel oder versandkostenfrei unter www.liesmich-verlag.de

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