JÜDISCHE RUNDSCHAU: Herr Turetsky, die diesjährigen Gastauftritte des Turetsky-Chores und des „Turetsky Soprano“ in Berlin und Wien sind nur ein Teil Ihrer internationalen Tournee. Wo treten Sie noch auf?
Turetsky: Unsere Tournee macht Station in zwölf Ländern. In Europa treten wir außer in Berlin und Wien noch in Rom, Paris, Prag, Budapest und Weißrussland auf und selbstverständlich auch in unserer Heimat Moskau. Transatlantisch geht es in New York, Washington und Toronto weiter, und ganz besonders freue ich mich auf unsere zwei Auftritte in China, was immer schon mein Traum war.
In Berlin sind wir am 12. Mai wieder auf dem Gendarmenmarkt mit unserer Freiluft-Veranstaltung vor der prächtigen Kulisse der Dome und des Konzerthauses. Wir freuen uns auf alle Deutschen und alle Russen im Publikum. Meinem bereits verstorbenen Vater hatte ich das Versprechen gegeben, die Botschaft der Völkerfreundschaft mit künstlerischen Mitteln zu verbreiten. Mein Vater hatte als Soldat der Roten Armee an der Befreiung Berlins teilgenommen! Seine Kriegserlebnisse, die er mir schilderte, hatten auf mich eine außerordentlich starke Wirkung. Sie brachten mich auf die Idee, mit den Chorauftritten jedes Jahr einen „großen Feiertag der Freundschaft“ zu veranstalten.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Das Konzert hat also eine historische Dimension?
Turetsky: Besonders in Berlin werden wir an das Ende des Zweiten Weltkriegs und den Sieg im „Großen Vaterländischen Krieg“ erinnern. Wir wollen ein Symbol der Völkerverbundenheit sein. Nächstes Jahr werden wir um diese Zeit wieder nach Berlin kommen, es wird ein ganz besonderer Anlass sein – 75 Jahre nach dem Sieg der Alliierten über Hitler-Deutschland! Ich hoffe, dass wir dann am Brandenburger Tor auftreten können.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie wurden Sie als Künstler entdeckt?
Turetsky: Als Kind sang ich jahrelang die Radiohits nach. Meistens verstand ich den Text gar nicht. Und wenn wir zu Hause Besuch hatten, sang ich den Gästen etwas vor. In der Schule liebte ich den Musikunterricht und das Flötenspielen.
Ernst wurde es, als ich als junger Mann in unserer Synagoge in Moskau einen Männerchor gründete und leitete. Später wurde der Chor selbstständig, wir nannten uns Turetsky-Chor, wir professionalisierten uns laufend und wurden immer populärer, sogar in Übersee. Dort waren wir mit unserer Mischung aus Klassik-, Pop- und Rockelementen sowie elektronischer Musik sehr erfolgreich, in Russland kam dieser Stil erst viel später an. Der Turetsky-Chor war also seiner Zeit voraus.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie kamen Sie von der Synagoge auf die Weltbühne?
Turetsky: Wir begannen als Kammerchor in der Moskauer Synagoge, fühlten uns aber in dem Genre eingeengt. Als wir die Synagoge hinter uns ließen, öffneten sich uns unendliche Möglichkeiten mit Kreativität und Showprojekten. Das erlaubte uns, Musik aus unterschiedlichen Ländern, Perioden und Stilen aufzugreifen, von Pagliacci bis La Traviata, von Rammstein bis Mozart, von Lyubov Orlova bis Freddie Mercury. Unser Horizont, unser Repertoire kannte keine Grenzen. Der Traum jedes Künstlers! Ich konnte meinen schöpferischen Ehrgeiz voll ausleben.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wieso widmeten Sie sich dann auch den Sängerinnen?
Turetsky: Nach zwanzig Jahren Arbeit mit dem Männerchor merkte ich, was uns fehlte: eine berührende Frauenstimme, die ins Herz dringt. Viele Songs unseres Repertoires versprachen mit den weiblichen Stimmen noch interessanter zu werden, wir nahmen Werke mit Kultstatus von Freddie Mercury, Elvis Presley oder Michael Jackson, dann gründete ich den Frauenchor „Turetsky Soprano“.
Dieser Frauenchor ist eine andere Welt, hat ein anderes Selbstverständnis, eine andere Gefühlslage. Das ist nicht einfach der Männerchor auf weiblich. Mir kam es nicht nur auf die weibliche Stimme an, sondern auch auf die Bühnentauglichkeit, den musikalischen Geschmack, menschliche Eigenschaften und vieles andere. Ich wählte die Mitglieder für den Chor aus mehr als 200 Bewerberinnen aus. Die Gründung von „Turetsky Soprano“ war ein bedeutender Schritt für unsere weitere Arbeit.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie gelang der Umbruch von der jüdischen liturgischen Musik in der Synagoge in Richtung Pop?
Turetsky: Wir singen ja immer noch jüdische Musik, aber in unserem Programm macht sie nur einen kleinen Teil aus. Und wenn wir etwas Jüdisches singen, kommt das im Publikum mit Begeisterung an, trotz unseres radikalen Wechsels in unserem Repertoire. Als wir in den USA unter Vertrag standen, wurden wir mit der Kultur der Broadway Musicals infiziert, von Las Vegas und erstklassigen Musikern beeinflusst. Wir waren für Neues offen. In Amerika lernten wir, wie man Shows kreiert, die man in unserer Heimat nicht kannte.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie würden Sie Ihren Stil selbst beschreiben?
Turetsky: Das ist nicht einfach. Der Turetsky-Chor hat in der Musikwelt eine einzigartige Stellung. Man kann uns weder der Popkultur noch dem ernsten Genre richtig zuordnen. In Ausdruck und Stil könnte man in uns klassische Crossover mit einer Synthese aus vielen Richtungen erkennen, aber in unserer Kreativität findet man auch Tendenzen, die weit darüber hinausgehen, etwa vielstimmiges Singen, Vokalimitationen von Musikinstrumenten, interaktive Elemente und Happenings mit Publikumstanzeinlagen. Mit Worten ist das schwer zu beschreiben. Man muss ins Konzert kommen, um alles ganz einfach und klar zu verstehen!
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Herr Turetsky, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Urs Unkauf.
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