März 9, 2018 – 22 Adar 5778
Späte Ehrung für Stefan Zweig

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75 Jahre nach seinem Tod verleiht der Staat Brasilien dem österreichisch-jüdischen Exil-Schriftsteller den höchsten Orden des Landes

  

Von Martina Farmbauer

Stefan Zweig hat jede Art von Ehrung, Orden, Hommage gehasst. „Dafür tut es mir leid“, sagt Kristina Michahelles, die den österreichischen Schriftsteller insofern gut kennt, als sie einige seiner Werke wie „Die Welt von Gestern“ und „Brasilien: Ein Land der Zukunft“ ins Portugiesische übersetzt hat und Mitglied der „Casa Stefan Zweig“ (CSZ) ist (Zweigs ehemaligem Wohnhaus in Petrópolis), die heute ein Museum ist. 

Aber die Deutsch-Brasilianerin Michahelles sagt der JÜDISCHEN RUNDSCHAU in Rio de Janeiro auch: „Unserer Sache, also der der ‚Casa Stefan Zweig‘, dient das sehr.“ Was Kristina Michahelles mit „das“ meint, ist, dass Stefan Zweig Ende 2017 posthum mit dem „Ordem Nacional do Cruzeiro“ ausgezeichnet wurde – dem höchsten Orden, den ein Ausländer in Brasilien erhalten kann.

Das Land hat Zweig damit 75 Jahre nach seinem Tod geehrt. Der Schriftsteller hat mit seinem Buch „Brasilien: Ein Land der Zukunft“ sehr viel „Werbung“ für das größte Land Südamerikas gemacht. Fast jeder Deutschsprachige, der nach Brasilien kommt, hat dieses Buch im Gepäck, es gelesen oder kennt es. Mit „Land der Zukunft“ hat Brasilien damals seinen Beinamen bekommen, den es bis heute noch trägt. Vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Wahns und des Zweiten Weltkriegs mag das Land eine Verheißung gewesen sein. Der Name scheint Brasilien indes zum Verhängnis zu werden, es scheint das ewige Land der Zukunft zu bleiben: Auf einen Boom folgt der nächste Crash – derzeit befindet sich Brasilien in einer tiefen Depression, gesellschaftlich ist es um 30 Jahre zurückgeworfen.

Der Freude über die Ehre für Stefan Zweig tut das keinen Abbruch. „Stefan Zweig vive“ steht auf einem Schild vor der „Casa Stefan Zweig“ in Petrópolis, in den Bergen hinter Rio. „Stefan Zweig lebt“, an dem Ort, an dem er und seine Frau Lotte fünf Monate im brasilianischen Exil gewohnt und sich am 22. Februar 1942 das Leben genommen haben. Das Zitat, das auch eine Wand im Inneren des Hauses ziert, ist eine Anspielung auf die umfangreiche Biografie „Morte no Paraíso: a tragédia de Stefan Zweig“ („Tod im Paradies: die Tragödie des Stefan Zweig“) des brasilianischen Journalisten und Schriftstellers Alberto Dines, 86.

Dines war acht Jahre alt, als Zweig bei einem seiner ersten Aufenthalte in Rio de Janeiro die „Jiddische-Brazilianer Folkschule Scholem Aleichem“, auf die Alberto Dines ging, für eine Lesung besuchte. Heute ist Dines Präsident der „Casa Stefan Zweig“ – und Zweig in Rio immer noch präsent.

Ehrungen wie der „Ordem Nacional do Cruzeiro“, Veröffentlichungen wie „A Unidade Espiritual do Mundo“ (Die geistige Einheit der Welt, Casa Stefan Zweig / Hentrich und Hentrich), erschienen im Juni 2017 und Ausstellungen wie „Migração“ in der „Casa Stefan Zweig“ vom 24. Februar bis zum 27. Mai 2018, erinnern an den Wiener Schriftsteller und würdigen ihn an seinem letzten Zufluchtsort, an dem er die „Schachnovelle“ geschrieben hat, woran ein überdimensionales Schachspiel im Garten erinnert.

Mit der „CSZ“ in Petrópolis hat Zweig – seit Alberto Dines und andere Freunde und Bewunderer das Haus kauften und als Museum eröffneten – einen permanenten Platz in dem Land, in das er sich auf den ersten Blick verliebte. Am 21. August 1936 kam Stefan Zweig erstmals nach Brasilien. Der österreichische-jüdische Autor schwärmte von der Einfahrt in die Guanabara-Bucht, schrieb davon als einem einzigartigen Erlebnis. Zweig verbrachte zehn „frenetische Tage“ (Kristina Michahelles) in Rio de Janeiro. Es erging ihm wohl wie vielen ausländische Gästen, die nur kurz in Rio verweilen und nur die schönen Seiten der Stadt kennenlernen. Bei Stefan Zweig war dies dadurch verstärkt, dass er erfolgreich und berühmt war – mit Thomas Mann einer der meistgelesenen deutschsprachigen Autoren seiner Zeit.

“Celebrity on Board”, schreibt Alberto Dines in “Morte no Paraíso: a tragédia de Stefan Zweig”. „Mit 53 ist der elegante Gentleman eine der größten literarischen Persönlichkeiten der Welt.“ Bei der Ankunft der RMS ALCÂNTARA im Hafen hätten sich die Reporter und Fotografen gedrängt. Stefan Zweig war Gast der brasilianischen Regierung, wohnte im Copacabana Palace – damals wie heute das beste Hotel am Platz – und absolvierte von der Copacabana bis zum Corcovado-Berg, auf dem die Christusstatue ihre Arme ausbreitet, einen Programmhöhepunkt nach dem anderen.

„Er hatte den Eindruck, alles ist wunderschön“, sagt Kristina Michahelles. Zweigs verklärter Blick auf Brasilien ist wohl nur im historischen Kontext des Nationalsozialismus und vor dem Hintergrund seiner persönlichen Geschichte zu sehen und zu verstehen. Als Zweig 1936 aus London kam, machte sein Schiff Zwischenstopp in Vigo, der Spanische Bürgerkrieg war schon ausgebrochen. Mit seinen hochsensiblen Antennen fühlte der überzeugte Pazifist auch den Zweiten Weltkrieg heraufziehen, seine Bücher waren in Deutschland bereits verbrannt worden, und so nahm er in Brasilien, das häufig als Projektionsfläche für europäische Sehnsüchte dient, eben das wahr, was er sehen wollte:
Fröhliche Feste, bunte Märkte, beeindruckende Landschaften. Stefan Zweig dachte, dass er in Brasilien auch 1941, als er und Lotte dorthin übersiedelten, freudig empfangen werden würde. Aber für „Brasilien: ein Land der Zukunft“ hat er massive Kritik geerntet, auch wegen des Verdachts, er habe das Buch im Auftrag des „Estado Novo“, des autoritären Regimes von Getúlio Vargas, geschrieben. (…)

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