April 5, 2019 – 29 Adar II 5779
Lehrstuhl ohne Frauenquote

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Die jüdische Literaturwissenschaftlerin Edith Braemer war die erste Frau, die an der Leipziger Universität einen eigenen Lehrstuhl erhielt. 

Von Martin Stolzenau

Seit Anfang 2019 beschäftigen sich die Medien im Zusammenhang mit der Einführung des aktiven wie passiven Frauenwahlrechts und der Einberufung der Nationalversammlung in Weimar vor 100 Jahren verstärkt mit dem erreichten Stand der Frauenemanzipation. Vor 50 Jahren starb in Leipzig eine herausragende Wissenschaftlerin, die es in der DDR auch ohne Frauenquote in eine Führungsposition gebracht hatte: Edith Braemer.

Braemer entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie, erlebte als Jugendliche den Naziterror hautnah und wurde als „Mitglied einer kommunistischen Straßenzelle“ zu einer mehrjährigen Zuchthaus-Haft verurteilt. Die jüdische Antifaschistin entschied sich nach 1945 für die SBZ und machte als Literaturwissenschaftlerin nacheinander unter DDR-Bedingungen in Weimar, Jena, Rostock und Leipzig Karriere. Sie war an der Leipziger Universität die erste Frau, die als Professorin mit Lehrstuhl tätig wurde. In ihrer wissenschaftlichen Arbeit widmete sie sich seit ihrer Tätigkeit am Goethe-Schiller-Archiv in Weimar vorrangig der deutschen Klassik. Hier galt sie als Koryphäe. Das belegt auch ein Nachruf von 1969 in den bekannten „Weimarer Beiträgen“.

Die Literaturwissenschaftlerin wurde am 16. Juli 1909 als Edith Abel in Hamburg geboren. Ihr Vater wirkte als Kaufmann. Ihre Mutter entstammte der jüdischen Kaufmannsfamilie Rosenthal. Tochter Edith hatte noch eine jüngere Schwester, besuchte nacheinander eine Mädchenoberrealschule sowie die Hamburger Lichtwark-Schule und heiratete nach vorzeitigem Schulabgang ohne Abitur mit 17 Jahren den Kaufmann Rudolf Weiss. Sie war zunächst Ehefrau und Mutter von zwei Kindern, betätigte sich mit ihrem Mann angesichts der antijüdischen Nazipropaganda in einem bürgerlich geprägten antifaschistischen Arbeitskreis und trat nach dem überraschenden Tod ihres Mannes und der Eskalation der politischen Gegensätze noch vor 1933 in die KPD ein, weil sie hier als Jüdin das größte Engagement gegen die Nazibedrohung erlebte.

Die erste Verhaftung 1933

Die junge jüdische Witwe wurde im Sommer 1933 erstmals verhaftet, 1935 ein zweites Mal und dann wegen „Hochverrats“ zu 30 Monaten Zuchthaus verurteilt. Parallel gelang es ihren Eltern, ihre beiden Kinder mit einem jüdischen Kindertransport nach England zu schicken, wo sie anschließend aufwuchsen. Edith Weiss, die spätere Edith Braemer, wurde nach KZ-Aufenthalt noch vor Kriegsbeginn 1939 entlassen und emigrierte sofort in den Fernen Osten. In Schanghai überlebte sie in den Folgejahren als Haushaltshilfe, Bibliotheksmitarbeiterin und Krankenpflegerin, ehe sie 1946 mit einem Besuchsvisum nach England zu ihren Kindern gelangte. Dort lernte sie den kommunistischen Zimmermann Gerhard Braemer kennen, der während des Krieges dort interniert war und sich in London um sie kümmerte. Beide wurden ein Paar, heirateten und übersiedelten im September 1947 nach Berlin, wo beide in die SED eintraten und trotzdem unterschiedliche Entwicklungen nahmen.

Ankunft in der SBZ

Die nunmehrige Frau Braemer fand Aufnahme in die „wissenschaftliche Nachwuchsgruppe der Humboldt-Universität“, absolvierte ein Germanistikstudium, bekam mit dem Literaturhistoriker Gerhard Scholz einen Förderer und folgte ihm als wissenschaftliche Assistentin nach Weimar, wo sie mit einer Aspirantur ihre akademische Laufbahn begann. Sie promovierte mit der Arbeit „Geniezüge an Goethes Erwin von Steinbach und Götz von Berlichingen“ zum Dr. phil., arbeitete anschließend als Dozentin und Habilitationsaspirantin an der Universität in Jena und wurde 1958 mit einer Schrift über Goethes „Prometheus“ habilitiert. Ab 1959 fungierte sie dann als literaturwissenschaftliche Professorin an der Universität in Rostock. Mehr noch. Frau Prof. Dr. Braemer erhielt einen Lehrstuhl und die Leitung über das Germanistische Institut der Universität.

Sie war als Frau in die erste Reihe der Literaturwissenschaftler der DDR aufgestiegen, betrieb vor allem mit Ursula Wertheim weiterführende Studien zur deutschen Klassik und veröffentlichte ihre Erkenntnisse. Doch ihre Ehe war über ihre akademische Laufbahn mit dem wachsenden intellektuellen Abstand zu ihrem Mann über die Jahre zerbrochen. Nach ihrer Scheidung 1964 vermittelte ihr das Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen der DDR eine Berufung an die Karl- Marx-Universität in Leipzig, wo sie als „Professorin mit Lehrstuhl für Neuere und Neueste Literaturgeschichte“ die Leitung der neuen Philologischen Fakultät mit dem Schwerpunkt der Lehrerausbildung übernahm und die letzten Jahre in der Schönbachstraße 34 wohnte.

Doch Prof. Dr. Braemer war gesundheitlich angeschlagen. Ein verschlepptes Leber- und Gallenleiden machte ihr zu schaffen. Da half auch eine späte Operation nicht mehr. An deren Folgen starb die Literaturwissenschaftlerin am 13. April 1969. Sie fand ihre letzte Ruhe auf dem Leipziger Südfriedhof.

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