Mein ganzes Leben lang habe ich mich bemüht, über Pessach zu verreisen – stets an einen Ort, an dem ich sowohl von allen mühseligen Pessach-Vorbereitungen befreit bin, als auch zwei möglichst schöne und angenehme Seder-Abende verbringe und gleichzeitig etwas Neues kennenlerne.
Das ist mir bisher auch weitgehend gelungen. Ich habe, glaube ich, kaum mehr als zwei oder drei Seder-Abende bei mir zu Hause ausgerichtet. Dieses Mal habe ich mir Italien vorgenommen – eigentlich ein Witz ausgerechnet in ein Land zu einer Zeit zu fahren, in der man seine typischen Gerichte, die wohlbekannte Pizza und alle Arten von Pasta, nicht genießen darf. Sei’s drum. Versuchen wir’s, sagte ich mir.
Grundsätzlich mache ich übrigens keinen Urlaub, sondern nutze meine Reisen, um ein nächstes Buch vorzubereiten, diesmal aber vor allem, um die Synagogen und jüdischen Museen in Italien zu fotografieren. Natürlich nicht alle, denn in Italien gibt es immerhin rund 70 Synagogen in ebenso vielen Städten, in denen Juden regelmäßig zum Gebet zusammenkommen. Vielen dieser Synagogen ist ein jüdisches Museum angeschlossen, deren Zahl sich auf ungefähr 25 beläuft. Aus dieser Fülle habe ich mir drei Städte herausgegriffen: Rom, Florenz und Venedig.
Der Flug von Berlin nach Rom ist erfreulich kurz: gerade einmal 2 Stunden. Vom Flughafen geht es direkt ins jüdische Hotel. Ja, auch das gibt es in mehreren größeren italienischen Städten. Mein Hotel, das „Carmel Hotel Roma“, liegt im Stadtteil Trastevere, der jüdische Stadtteil Roms schlechthin. Gleich bei meiner Ankunft lerne ich Geschäftsführer Uri kennen. Uri ist ein geduldiger Mensch, und er kennt sich in Rom bestens aus. Wenn er etwas nicht weiß, sucht er geduldig im Internet und per Telefon, was wann geöffnet ist, denn die angegebenen Öffnungszeiten in den Reiseführern sollte man lediglich als Anregungen begreifen. Will man etwas vor Ort sehen, ist es besser, sich kurz vor dem Besuch nach den Öffnungszeiten zu erkundigen. Diese Arbeit nimmt mir Uri ab. Gleichzeitig erfahre ich, wie günstig sein Hotel gelegen ist: Ohne Probleme gelangt man mit dem Bus Nr. 3 von der Viale Trastevere – nur 3 Minuten vom Hotel die Straße hinunter – zum Forum Romanum und zum Kolosseum; die Straßenbahn Nr. 8 bringt mich nach drei Haltestellen über den Tiber, und von dort geht es direkt zur Großen Synagoge von Rom und dem im Keller untergebrachten Museum. Last but not least kann ich mit dem Bus „H“ direkt zum Bahnhof, dem „Termini“, fahren. Mehr und besser kann man es sich nicht wünschen, wenn man nur auf einen Kurzbesuch nach Rom kommt und ein festes Programm im Kopf hat.
Erste Station: Rom
Und ich hatte mein Programm wahrhaftig fertig im Kopf. Noch von Berlin aus habe ich die Jüdische Gemeinde in Rom kontaktiert. Denn wenn man eine Synagoge und/oder ein jüdisches Museum von innen besichtigen und – für mich noch wichtiger – fotografieren möchte, muss man im Allgemeinen im voraus die Genehmigung dazu bei der betreffenden jüdischen Gemeinde einholen, und das gilt nicht nur für Italien. Nach mehreren Fehlläufen, die meinem ungeschickten Umgang mit dem Computer zuzuschreiben sind, nehme ich Kontakt zu Olga auf. Dottore ssa Olga Melasecchi ist die Kuratorin des Jüdischen Museums zu Rom. Dankenswerterweise schreibt und spricht sie auch Englisch, sodass es mir leichter fällt, meine Besuchswünsche zu äußern. Nach einer Sicherheitsprüfung bekomme ich die Genehmigung zum Besuch und zum Fotografieren von Synagoge und Museum. Dann kommt der spannende Augenblick. Noch bevor es um 10 Uhr morgens öffnet, stehe ich vor dem Museum, beeindruckt von seiner Größe, umkreise es, kalibriere die Abstände und fotografiere und fotografiere, solange die Straßen drumherum noch beinahe menschenleer sind, denn ich möchte die Objekte meiner Begierde, meine Synagogen, gerne ohne Menschen aufnehmen.
Ein elegantes Gitter umschließt das Areal. An einem Ende dann die Sicherheitsschleuse. Ich reiche den Wächtern Olgas Brief. Sie lesen und beraten sich, einer verschwindet im Untergeschoss und winkt mich, als er wieder auftaucht, durch die Sicherheitsschleuse. Unten liegt der Eingang zum Museum. Man erwartet mich. Eine ältere Dame, nennen wir sie Roberta, begleitet mich in die Synagoge – bevor andere Besuchergruppen die freie Sicht innen stören. Ich betrete den Innenraum, und bleibe stehen. Was für ein Anblick! Hoch, lang und weit ist sie. Weiße Marmorsäulen mit goldenen Bändern, goldene Menorot (siebenarmige Leuchter) und über der Mitte die Ausbuchtung der großen Kuppel, die man von außen sieht.
Diese zwischen 1901 und 1904 im Babylonischen Stil erbaute Synagoge ersetzt die „Cinque Schole“ in dem Ghetto, in das die Juden Roms zwischen 1555 und 1848 eingepfercht waren.
Im Museum im Untergeschoss ist noch eine weitere, kleine Synagoge, der Tempio Spagnolo, untergebracht. Die Exponate in den Räumen davor stammen größtenteils aus den fünf Synagogen aus dem Ghetto. Eine italienische Schulklasse nach der anderen zieht durch die Räume. Die Schüler verhalten sich erstaunlich aufmerksam und ordentlich. Am Ende gibt es noch eine Sonderausstellung über die Juden aus Libyen. Denn als die Juden nach dem Pogrom von 1967, ausgelöst durch den Sechstage-Krieg, ihre seit Jahrhunderten vertraute Heimat verlassen, kommen 4.000 von ihnen nach Italien; 2.000 ziehen weiter nach Israel, der Rest lässt sich dauerhaft in Rom nieder und ist inzwischen ein fester Bestandteil seiner jüdischen Gemeinde geworden. Nur hier in Rom und in einem der Kibbuzim in Israel hat man zum Andenken an diese nunmehr ausgelöschte jüdische Gemeinde in einem arabischen Land einen Ort des Gedenkens an sie eingerichtet.
Am Tag darauf geht es zum Forum Romanum. Eigentlich hat man es nicht weit, denn kurz nach dem Eingang steht schon der Titusbogen – und darauf die Abbildung, auf der die römischen Soldaten zu sehen sind, die nach dem Jahr 70 d.Z. die Tempelgeräte im Triumph dem römischen Volk vorführen. Und genau gegenüber vom Titusbogen erhebt sich das mächtige Oval des Kolosseums, das dank der Erlöse aus Jerusalem geraubter goldener Tempelgeräte überhaupt errichtet werden konnte. Diese Tatsache gehört inzwischen anscheinend schon zum Allgemeinwissen der Fremdenführer auf dem Forum Romanum, wovon ich mich mit eigenen Ohren überzeugen konnte, denn ich habe das von mehr als einem gehört. Natürlich muss man auch das Kolosseum von innen gesehen haben. An diesem Nachmittag stehen die potenziellen Besucher jedoch dermaßen gedrängt vor seinen Toren, dass ich meinen Besuch auf den nächsten frühen Vormittag verschiebe.
Nur noch von einem weiteren Ausflug sei die Rede: dem zur ersten Synagoge auf europäischem Boden: in Ostia antica. Man nimmt den Bus, die Metro und dann den Zug. Es dauert beinahe 2 Stunden, bis man vor dem Eingang steht – um zu erfahren: Die antike Synagoge liegt ganz am Ende der antiken Stadt, knapp 9 Kilometer entfernt. Tapfer mache ich mich auf den Weg. Unterwegs begegne ich zahlreichen Schulklassen, diesmal sind die Schüler älter als die im Museum, und sie sprechen Französisch oder sogar Deutsch. Es geht ziemlich flott voran. Unvermittelt stehe ich vor einem Straßenschild, das mir verkündet, ich hätte schon die Hälfte des Weges geschafft. Am Ende keine Ruinen, sondern nur Gras, das beinahe so hoch ist wie ich. Zum Glück für mich kommen zwei junge Franzosen vorbei. Ich kann sie bewegen, mit mir die Synagoge zu suchen. Da sie größer als ich sind, können sie über das Gras schauen und entdecken alsbald die Synagoge. Unterwegs erzähle ich ihnen von ihrer Geschichte, damit sie mir nicht davonlaufen. Dann stehen wir davor. Einige Mauern, einige Pfeiler, zwei oder drei Bodenmosaike – aber leider auch einige Gegenstände, die im Rahmen einer Kunstaktion direkt in der Synagoge aufgestellt wurden. Am liebsten würde ich den Regenschirm und die beiden Eier an seinem Griff entfernen, wäre da nicht der Wächter, der schon etwas misstrauisch zu mir hinüberblickt. Sei’s drum. Ich fotografiere Regenschirm mit Eiern und zwei Zeltplanen. Man stelle es sich einmal vor: Hier, an dieser Stelle, genau hier beteten vor beinahe 2.200 Jahren Juden: Freie Juden – noch keine römischen Sklaven – in ihrer Synagoge. Sie hatten daneben eine Mikve, ein Ritualbad, und eine Mazza-Bäckerei gebaut. Genau passend zum in einigen Tagen beginnenden Pessach-Fest, sage ich mir. Die jungen Franzosen hatten schon bald genug von „meiner“ Synagoge gesehen und zogen weiter. Ich blieb. Für den Rückweg nahm ich eine Abkürzung durch die Felder und war sehr viel schneller wieder auf der ehemaligen „Hauptstraße“, wo ich noch einmal meine beiden Franzosen traf.
Wer die jüdischen Katakomben in Rom besichtigen möchte, dem sei verraten, dass sie praktisch dauerhaft geschlossen sind. Das hat Uri vom Hotel nach längeren Telefonaten für mich herausgefunden.
Zweite Station: Florenz
Von Rom ging es weiter mit dem Zug, der pünktlicher war als viele Züge in Deutschland, nach Florenz. Mein Hotel, das „Arizona“, lag zwischen der Großen Synagoge und dem Chabad-Haus. Die meisten haben sicher schon das berühmte Foto dieser großartigen Synagoge in Florenz gesehen. Ein wunderschöner Kuppelbau mit maurischem Einschlag erhebt sich hinter einem sorgsam geschlossenen Tor. Besichtigt werden kann sie an den meisten Werktagen zwischen 10 und 13 Uhr. Eine Ausstellung jüdischer Ritualgegenstände befindet sich in dem Flur in allen drei Stockwerken der Synagoge.
Hier in Florenz hatte ich mich zum Seder angemeldet. Signore Emanuele Viterbo, der Sekretär der jüdischen Gemeinde von Florenz, bestätigte mir meine Teilnahme am Seder und gab mir seine schriftliche Erlaubnis, die Synagoge auch innen zu fotografieren, natürlich an einem Zwischenfeiertag. Der Seder fand im Gemeindehaus gleich neben der Synagoge statt. Der Rabbiner, der ihn leitete, sprach natürlich Italienisch, aber freundlicherweise flocht er auch Erklärungen auf Englisch für seine ausländischen Gäste ein. Die Haggada wurde auf Hebräisch und manchmal auch auf Italienisch vorgelesen. Als Festmahlzeit gab es koschere jüdisch-italienische Gerichte, die etwas anders als gewohnt, dafür aber herrlich schmecken. Mit meinen Tischnachbarn, Rosalyn und Emely sowie Itzak aus Kalifornien, Touristen in Florenz wie ich, habe ich einen unterhaltsamen Abend verbracht. (…)
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