Von Daniela Capcarova-Schwigar (Košice, Slowakei)
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Frau Teššerová, bitte stellen Sie uns kurz die Jüdische Gemeinde in Košice vor.
Jana Teššerová: Juden durften in Košice (Deutsch: Kaschau) in der Ostslowakei erst seit 1840 wohnen, in der Zeit davor durften sie in den Königstädten nur arbeiten, abends mussten sie die Stadt wieder verlassen. Für ein jüdisches Leben in der Stadt brauchten damals vor allem die orthodoxen Juden Synagogen, einen Friedhof und ein Kulturhaus, wo sie sich treffen konnten. So entstand die erste große Synagoge in Košice schon 1866. Sie zählte zu den zehn schönsten Synagogen in Osteuropa, leider wurde sie 1958 niedergerissen. Dann haben wir hier die alte, innen aber ziemlich heruntergekommene Synagoge aus dem Jahr 1883 in der Zvonárska-Straße. 1927 baute man die neue orthodoxe Synagoge und die ehemalige neologische Synagoge, in der heute der Sitz der Košicer Philharmonie ist. Am Anfang der Besiedlung gab es in Košice etwa 800 Juden, vor dem Zweiten Weltkrieg bildeten die Juden 17,5 Prozent der Bevölkerung in Košice, das waren etwa 10.000 Juden. 1944 wurden aus Košice und Umgebung 15.702 Juden deportiert. Es gab hier ein Sammellager, aus dem vom 15. Mai 1944 bis zum 3. Juli 1944 Juden nach Ausschwitz transportiert wurden. Von diesen Košicer Juden kamen nur etwa 300 zurück. Aktuell sind in der jüdischen Gemeinde etwa 250 Mitglieder jüdischer Herkunft registriert, weitere etwa 200 Juden leben in der Stadt, sind aber keine Gemeindemitglieder.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Im Dezember gab es einen Auftritt der Kaschauer Klezmer-Band, bei dem die jüdischen Sprichwörter zitiert wurden. Wie ist das Ganze verlaufen?
Jana Teššerová: Diese Veranstaltung wurde von der jüdischen Frauenorganisation „Esther“ organisiert. Die Kaschauer Klezmer-Band spielte dort, witzige jüdische Aphorismen wurden vorgelesen. Sie sind reich an Klugheit und Geschichte. Herr Vilhan hat sie vorgelesen, er kommt aus einer künstlerischen Familie. Es waren viele Leute dabei, es war der zweite Jahrgang dieser Veranstaltung. Die Kauschauer Klezmer-Band hat die klassische Musik der osteuropäischen Juden gespielt. Ihre Musik hat einen religiösen Unterton, bei uns kam es erst ab 2011 zur Entwicklung dieser Art der jüdischen Musik. Jetzt gehört diese Band zu den ausgezeichneten Musikgruppen mit einer hervorragenden Sängerin, sie ist in Košice sehr populär. Dabei ist nur ein Mitglied der Band jüdischer Herkunft, alle anderen spielen diese Musik, weil sie sie liebgewonnen haben. Die Band tritt auch in anderen slowakischen Städten auf und vor kurzem spielte sie sogar in Kiew. Die Band bereitet den Leuten viel Freude und gibt dabei jüdische Kultur weiter.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Welche jüdischen Feste stehen aktuell an?
Jana Teššerová: Hanukkah ist ein fröhliches Fest und wird vor allem in den Familien gefeiert. Meine Generation ist aber die Generation, die die sozialistische Totalität überlebt hat, die Bräuche haben wir nur von unseren Eltern vermittelt bekommen. In der Öffentlichkeit war das vor 1989 nicht möglich, es war verboten. Jetzt zünden wir am ersten Hanukkah-Tag zwei Kerzen an, eine davon ist der Diener – Schames, an den folgenden acht Tagen werden in den Familien weitere Kerzen angezündet und Lieder gesungen. Es werden Gerichte gegessen, die an die Rettung der Makkabäer im Tempel erinnern – also Gerichte, die mit Öl zubereitet werden, zum Beispiel Krapfen-Sufganijot. Während dieser acht Tage, in der Zeit, die aufs Wochenende fällt, treffen sich die Menschen, sie zünden gemeinsam Kerzen an und es wird an die Geschichte dieses Festes erinnert. Kinder bekommen zu diesem Fest kleine Geschenke oder das sogenannte Hanukkah-Geld. Einen Teil von diesem Geld sollen die Kinder denjenigen geben, die das Geld mehr brauchen als sie – die Kinder sollen so lernen, ärmeren Menschen jüdischer Herkunft zu helfen.
Wenn wir über das nächste jüdische Fest Pessach sprechen, müssen wir betonen, dass in unserer Diaspora dieses Fest zwei Tage lang gefeiert wird – im Mittelpunkt steht der Sederabend. Hier wird am ersten Tag an die Geschichte des Festes erinnert und das Buch Haggada wird den Kindern vorgelesen. Der zweite Tag wird dann in Gesellschaft gefeiert mit denselben Aktivitäten wie am ersten Tag. Es wird nichts gegessen, was aus gesäuertem Teig zubereitet wurde – kein Brot, keine Nudeln. Vor dem Fest wird der Haushalt von Krümeln gereinigt. An diesen Tagen wird eine Woche lang Mazzen gegessen, wir haben zum Beispiel zu Hause den sogenannten Mazzenbrei und die Mazzentorte. Im nächsten Jahr planen wir zu Pessach einen Sederabend mit einer Lesung zu diesem Fest und einer Verkostung der Pessach-Gerichte für die breite Košicer Öffentlichkeit, nicht nur für die jüdische.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie bereits erwähnt gibt es in Košice auch eine jüdische Frauenorganisation namens „Esther“. Was genau macht diese Organisation?
Jana Teššerová: Diese Organisation veranstaltet vor allem Lesungen und Treffen wie zum Beispiel Schabbat-Abende. Dafür nutzt sie auch Projektgelder des Slowakischen Kulturministeriums. Hauptziel dieser Organisation ist der Erhalt der jüdischen Traditionen und des Kulturerbes, das den Juden von ihren Vorfahren vermittelt wurde. Esther betreibt mit Projekten, Workshops und Vorlesungen viel Aufklärung für das breite Publikum und macht die Öffentlichkeit mit der jüdischen Kultur bekannt. Sie bieten auch Konsultationen für Studenten und Doktoranden, die ihre Diplom- oder Doktorarbeiten zu Themen der jüdischen Kultur und Geschichte schreiben.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie sehen die Vortragsaktivitäten der jüdischen Gemeinde in Košice aus?
Jana Teššerová: Am 27. Januar 2019, am Tag der Opfer des Holocausts und der Rassengewalt, bereiten wir eine Vortragsreihe zur Erinnerung an die Holocaust-Überlebenden vor. Wir planen ein Treffen und eine Ausstellung von Bildern des Holocaust-Überlebenden und Hofzeichners von Dr. Mengele in Ausschwitz, Ľudovít Feld. Er gilt für uns als Symbol für alle, die in Ausschwitz ermordet wurden. In der Synagoge in der Puškinova-Straße bieten wir immer in dem Monat, in dem ein jüdisches Fest stattfindet, Vorträge zu den einzelnen Festen an. Wir planen demnächst Vorträge zu Pessach und Purim. Ich selbst spreche in Mittelschulen und Gymnasien über das Judentum und den Holocaust, denn wir leben in einer Zeit, in der Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit wieder zunehmen. Jeden zweiten Sonntagnachmittag halte ich einen Vortrag zur Ausstellung von Ľudovít Feld und zeige den Besuchern das Innere der Synagoge in der Puškinova-Straße. Diese Synagoge ist ein glanzvolles Werk des berühmten Architekten Ľudovít Oelschläger. Auch bieten wir Vorträge über berühmte jüdische Persönlichkeiten in der Ostslowakei an.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Viele unserer Leser leben im fernen Deutschland. Aus Ihrer Region der Ostslowakei kommen weltberühmte jüdische Persönlichkeiten. Nennen Sie uns ein paar von ihnen?
Jana Teššerová: Hier in der Ostslowakei lebte der berühmte Rabbiner Emmanuel Ernten, und 1838 wurde in unserer Region der berühmte Porträtmaler Leopold Horowitz geboren. Er porträtierte den Wiener und Budapester Adel. Weitere berühmte Künstler waren Imrich Emanuel Roth und der Graphiker Eugen Kron – der Gründer der Kaschauer Grafikschule. Aus der ostslowakischen Region, aus Humenné kommt der berühmte Komponist, Dirigent und Pianist Peter Breiner. Er lebt und wirkt zurzeit in New York. Ladislav Grosman, der Drehbuchautor des ersten slowakischen Films, der mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, „Obchod na Korze“ von 1966, kommt auch aus unserer Region. In seinem Film wird die Tragödie der Juden in der Slowakei dargestellt. Seine Ehefrau Edita Grosman war im ersten Transport der tausend ledigen Mädchen, der am 25. März 1942 aus der Slowakei nach Ausschwitz ging. Sie überlebte den Holocaust, lebt heute in Toronto und ist inzwischen 95 Jahre alt. Sehr berühmt ist der Fotograf Yuri Dojč ebenfalls aus Humenné, dessen Werke auch in einer privaten Galerie in Köln zu sehen sind. Er lebt zurzeit in Toronto. 2007 gab es hier von ihm eine Ausstellung von Fotos von Holocaust-Überlebenden. Der Schmerz in den Gesichtern der Fotografierten war sehr deutlich zu sehen, jeder von ihnen war psychisch tief verletzt.
PhDr. Jana Teššerová ist Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde in Košice. Am 9. September 1941 kam in der Slowakei der Jüdische Kodex heraus, dessen antijüdische Gesetze noch schärfer waren als in Deutschland. Den Eltern von Jana Teššerová gelang es, sich in der ursprünglich deutschen Stadt in der Slowakei, in Käsmark – Kežmarok, vor den Nazis zu verstecken. Die katholische Familie Žihalových versteckte ihre Eltern auf ihrem Dachboden, die Mutter von Teššerová wog bei der Befreiung nur noch 32 Kilo. Bei jeder stressigen Situation in der Nachkriegszeit verlor sie die Sehkraft, die dann zum Glück wieder zurückkehrte. Nach der Wende war Jana Teššerová viele Jahre lang Direktorin des Gymnasiums in der Šrobarová-Straße in Košice. Als studierte Germanistin hält die 70-Jährige regelmäßig Vorträge auf Deutsch in der Ľudovít-Feld-Galerie auf dem Gelände der Synagoge in der Puškinova-Straße in Košice.
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