September 6, 2018 – 26 Elul 5778
Die Stimme der stummen Zeugen

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Eine Würdigung der bedeutenden historischen Synagogen in Europa  

Von Michelle Wolf (Redaktion Audiatur)

Im Jahre 1743 machte sich ein mittelloser Talmudschüler aus Dessau auf den Weg in die Hauptstadt des ehemaligen Königreiches Preußen. Mutmaßlich barfuß, marschierte er durch das Rosenthaler Tor, welches als einziges für Vieh und Juden zugelassen war, nach Berlin hinein. Damals durften sich nur wenige reiche Juden dort niederlassen; in seltenen Fällen auch ein Gelehrter. Auf die Frage des Torwärters, womit er handle, soll er einer Überlieferung zufolge geantwortet haben: „Vernunft“. (Aus: Amos Elon – Zu einer anderen Zeit. Porträt der jüdisch-deutschen Epoche 1743 – 1933)

Zwei Jahrzehnte später war Moses Mendelssohn einer der bedeutendsten Philosophen und Literaturkritiker seiner Zeit, und damit der erste Jude, der in der christlich-geprägten Gesellschaft Preußens Anerkennung fand. Sein Leben lang setzte er sich für die soziale Gleichstellung der Juden ein. Sein Ziel war es, durch Werke wie der Übersetzung der Thora, die jüdischen Gemeinden, die damals abgeschottet und als isolierte Randgruppen lebten – meist nicht einmal die deutsche Sprache beherrschten – der modernen, weltlichen Gesellschaft zu öffnen. Unbeabsichtigt wurde er dadurch der Wegbereiter zur jüdischen Assimilation, in der es zum Status quo wurde, den jüdischen Glauben auf reformierte Weise zu praktizieren oder sogar ganz abzulegen. Mendelssohn selbst hielt sich bis zu seinem letzten Tag streng an die biblischen Gesetze. Für ihn war Vernunft dem religiösen Glauben nicht entgegengesetzt, sondern vielmehr ein Geschenk Gottes.

80 Jahre nach seinem Tod, 1866, wurde die Neue Synagoge als Hauptsynagoge und Symbol der aufstrebenden jüdischen Gemeinde Berlins eingeweiht. Damals lebten 28.000 Juden allein in Berlin, das sind fast so viele, wie heute die drei größten jüdischen Gemeinden Deutschlands (Berlin, München und Frankfurt a. M.) Mitglieder zählen. Die Bauleitung lag bei den zwei renommierten deutschen Architekten Eduard Knoblauch und Friedrich August Stüler, der „Architekt des Königs“. Das Außergewöhnliche war die Ansicht von außen: die normalen, durchschnittlichen Häuserfassaden um die Synagoge herum wurden überkront von drei maurisch gestalteten, aus goldenen Rippennetzen umzogenen Kuppeln. Inspiriert war die Baute von der Stadtburg Alhambra in Südspanien. Diese Gestaltung, fremd für Preußen, demonstrierte das jüdische Selbstbewusstsein während dieser (vergleichsweise) toleranten Epoche: genauso, wie das Gebetshaus nach vorne auf die Straße glänzte, anstatt, wie von früher gewohnt, versteckt und unauffällig gelegen zu sein, zeigten die Juden sich im Vordergrund der Gesellschaft. Die Synagoge in der Oranienburger Straße fand in der Öffentlichkeit den ebenbürtigen Eindruck. Die Illustrierte „Berliner Morgenzeitung“ schwärmte:

„Es ist ein Gebäude, welches mitten in die moderne prosaische Welt die Wunder des Orients uns vor das Auge zaubert, das Bethaus unserer Berliner Mitbürger mosaischer Religion.“ (…)

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