Wie aus Staatsträgern Sargträger der Demokratie werden  

Dezember 8, 2017 – 20 Kislev 5778
Warum Jamaika scheitern musste

Von Carl Christian Jancke

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Form des vermeintlich satirischen Magazin „Neo Royale“ empfahl Christian Lindner den Selbstmord, nachdem dieser den niveaulosen Sondierungs-Schachereien des unwirklichen „Jamaikas“ ein Ende bereitet hatte: „Möllemann hätte früher die Reißleine gezogen“. Und als Jürgen Trittin die „FDP von Lindner“ als „rechte Protestpartei“ geißelte, war klar, dass der FDP-Chef recht gehabt hatte: Es gab nie ein ausreichendes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien, um über die Wahl von Angela Merkel zur Kanzlerin hinaus etwas zu bewirken. Wer das von der FAZ veröffentlichte „Protokoll“ der Gespräche liest, erkennt schnell, dass auch die inhaltlichen Differenzen unüberbrückbar blieben.

Die Säuernis auf den Vorzeigeliberalen erklärt sich auch aus der Zerstörung einer Illusion. Schwarz-Grün, so die weitverbreitete, unterschwellige, aber unberechtigte Hoffnung, hätte die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin sanktioniert und den der FDP unterstellten „neoliberalen Marktradikalismus“ eindämmen sollen. Tatsächlich wären die „Liberalen“, deren Programm vor sozialdemokratischer Industriepolitik („W-Lan für alle“) nur so strotzt, das fünfte Rad am Wagen der Wahlverwandschaft zwischen Merkels CDU und den Grünen. Kretschmann, Özdemir und Göring-Eckardt vermittelten einen moderaten Pragmatismus, der nicht dem Mehrheitsverhältnis in ihrer Partei entspricht. Auch das zeigte die Rede der grauen Eminenz Trittin, der schon vor vier Jahren den Traum der Leitmedien zerstören wollte, eine Schwarz-Grüne Regierung zu bilden.

Keiner hatte damit gerechnet, dass die Sozialdemokratie den Marsch in die Opposition so schnell abbricht. Da brauchen die Minister ihre Dienstwagen gar nicht erst abzugeben. Martin Schulz hatte mit der Proklamation nur seinen eigenen Posten retten und Andrea Nahles in Schach halten wollen, der er den Fraktionsvorsitz anbot. So unterband er schnell eine Diskussion um seine Person.

Mit der vermeintlich staatstragenden Aufforderung des ruhenden SPD-Mitgliedes Steinmeier ist dem Machterhalt in der Schrumpf-Koalition Tür und Tor geöffnet und die ausgerufenen Forderungen der Sozialdemokraten lassen auf geringes Lernvermögen und einen großen Mangel an Demut schließen. Niemand unter den Stegners, Nahles und Konsorten kommt selbstkritisch auf die Idee, dass sie deshalb nur noch eine 20-Prozent-Partei repräsentieren, weil die Bürger längst begriffen haben, dass sie selbst die sozialen Füllhorne, die die Sozialdemokraten über ihnen ausschütten, bezahlen – abzüglich dessen, was beim Staate hängen bleibt.

Raumschiff Brüssel
Dass es in diesem Land, anders als vom ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments vermutet, der von Brüssel aus ein Raumschiff dirigierte, schon ziemlich gerecht zugeht, ist ebenfalls allenthalben bekannt. Wenn man mal von der Tatsache absieht, dass gerade die Unter- und Mittelschicht über mindestens 40 Prozent des von ihnen erwirtschafteten Einkommens nicht verfügen können und der Durchschnitt der schon länger hier Lebenden 54 Prozent bei Vater Staat abgeben darf.

In jedem Fall sind die Sozialdemokraten um nichts besser als der dämonisierte Christian Lindner. Sie wählen nicht die Kanzlerin, damit das Land zu seinem Wohle endlich eine Regierung bekommt, sondern stellen Forderungen, als ob sie nicht fünf Prozent verloren, sondern zehn Prozent gewonnen hätten. Der Nimbus des edlen Machtverzichts ist verloren gegangen. Die vermeintliche Demut vor dem Wählerwillen hatte eine Halbwertszeit von knapp acht Wochen.

Doch mit ihrem als Altruismus verkleideten Eigennutz sind die Sozialdemokraten nicht allein. Horst Seehofer etwa ist sich gewiss, dass er als CSU-Vorsitzender nur noch dann eine Chance hat, wenn er Söder in München als Ministerpräsident nicht weiter im Weg steht. Deshalb taktiert der schlaue Oberbayer und will sein Forderungen und seine Personal-Vorschläge gerne so spät wie möglich präsentieren. Anders macht Seehofers Seniorenkommission aus den Pensionisten Waigel, Stamm und Stoiber keinen Sinn, die das Personaltableau der Zukunft bestimmen sollen.

Auch die Kritik der Grünen ist nicht die Folge staatspolitischer Verantwortung, sondern tatsächlich dem Verlust der bereits sicher geglaubten Macht geschuldet. Schließlich ist es für die Generation Özdemir wohl die letzte Chance, noch einen Ministerposten zu erhaschen, bevor Ska Keller und Co. ihnen diese streitig machen. Die Grünen überleben bisher nur als „modernere Alternative“ zur Sozialdemokratie, die nicht so penetrant das hohe Lied der „sozialen Gerechtigkeit“ intonieren.

Jamaika wäre der Selbstmord der FDP gewesen
Bevor sich die Liberalen allzu sehr freuen: Auch ihr Austritt aus den Sondierungsgesprächen war vom Selbsterhaltungstrieb motiviert. Wären sie tatsächlich in eine CDU/CSU/Bündnis 90 Grüne/FDP-Koalition eingetreten, so wären sie wieder reihenweise aus den Parlamenten geflogen. Und das wäre dann ihr vollständiges Ende gewesen.

Bleiben die CDU und Angela Merkel, die mittlerweile untrennbar miteinander verbunden zu sein scheinen. Anders ist nicht zu erklären, dass die Partei der Kanzlerin und Vorsitzenden nicht spätestens 2016 den Garaus gemacht hat. Abseits jeder Demoskopie war damals schon erkennbar, dass man bestenfalls trotz ihr noch Wahlen gewinnen konnte. Dass sich die AfD überhaupt etablieren konnte, hat einen Grund: Angela Merkel.

Die Kanzlerin scheint kritikresistent. Sie wisse nicht, so sagt sie, was sie hätte besser machen können. Und niemand könne eine Regierung gegen sie bilden. Nun schwant ihr, dass niemand außer den Grünen eine Regierung mit ihr bilden will.

Die Diskussion in Deutschland gleicht seit Monaten einer politischen Selbstbefriedigung, die die drängendsten Probleme werden schlicht ignoriert. Vordringlich ist die Wiederherstellung der staatlichen Ordnung und die Durchsetzung des Gewaltmonopols im Innern und an den Außengrenzen. Es ist schlicht falsch, wenn Angela Merkel behauptet, diese seien nicht zu schützen. Dass alljährlich hunderttausende, letztlich unberechtigte Asylbewerber einwandern und nur hunderte unter horrenden Kosten abgeschoben werden, ist absurd. 43 Prozent der vermeintlich minderjährigen Zuwanderer sind in Wirklichkeit über 18 Jahre alt, die Kriminalität steigt durch die Zuwanderung, von der islamisch motivierten Terrorgefahr ganz zu schweigen.

Immer „mehr Europa“
Als nächstes steht die europäische Dauerkrise an, die sich nur durch eine tiefgreifende Reform der Institutionen herstellen lässt. Das Elitenprojekt „Europäische Einigung“ ist gescheitert. Die Leute wollen nicht immer mehr Europa, sondern ein besseres, das sich auf seine Kerntugenden konzentriert. Diskriminierungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit (für diejenigen, die nicht in die Sozialsysteme einwandern wollen) und einen funktionierenden Binnenmarkt. Dass man sich dabei das Einhalten absurder Emissionswerte in den Innenstädten vorschreiben lassen wollte, kann schwerlich behauptet werden.

In Berlin wird sich eine Koalition der Verlierer bilden, die froh sind, sich noch einmal auf die Regierungsbank gerettet zu haben. Sie werden einen neuen Vierjahresplan schmieden, den sie Koalitionsvereinbarung nennen und der nicht den Willen der Wähler, sondern das Programm der Parteien und den Goodwill der Funktionäre ausdrückt. Die Lücke, die längst zwischen dem Bürger und der Funktionärskaste klafft, wird langsam zur unüberbrückbaren Schlucht. Profitieren wird davon nur eine Partei: Die AfD.

So werden aus den vermeintlich staatstragenden Parteien und ihren Funktionäre die Sargträger eines überlebten politischen Systems, das dringend einer Reform an Haupt und Gliedern bedarf.

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