Die GroKo und ihre Beziehung zu Israel  

Februar 9, 2018 – 24 Shevat 5778
Sind Siedlungen ein größeres Friedenshindernis als ermordete Juden?

Von Gerd Buurmann

Im Zuge der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD hat die „Arbeitsgemeinschaft Außenpolitik“ folgende Formulierung bezüglich Israel gewählt:

„Das Existenzrecht Israels ist für uns unumstößlich und ein Pfeiler deutscher Politik. Unser Ziel ist ein Leben aller Menschen im Nahen und Mittleren Osten ohne Angst und in Würde.

Deutschland wird sich weiter für eine Lösung des Nahostkonflikts auf Basis einer Zweistaatenlösung einsetzen. Der Status von Jerusalem wird genauso wie andere and Status Themen erst im Zuge von Verhandlungen geklärt werden, um dauerhaft akzeptiert und haltbar zu sein. Die aktuelle Siedlungspolitik Israels widerspricht geltendem Völkerrecht und findet nicht unsere Unterstützung.

Wir werden in der EU eine Initiative zur ausreichenden und nachhaltigen Finanzierung des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) ergreifen und ihre Reformbemühungen unterstützen.“

Es ist nicht wirklich beruhigend, wenn sich Deutschland ständig für das Existenzrecht Israels ausspricht, denn jemand, der erklärt, sich für die Existenz eines Landes auszusprechen, stellt mit dieser Formulierung ebenfalls die Möglichkeit in Aussicht, dass sich seine Meinung auch ändern kann. Es ist beunruhigend, wenn Selbstverständlichkeiten ausgesprochen werden. Es ist so, als würde eine Frau mit einem Mann ausgehen, der bei jedem Date betont, er spreche sich für die körperliche Unversehrtheit der Frau aus und dagegen, dass sie ermordet wird. Auf wie viele Dates würde eine vernünftige Frau mit so einem Mann gehen? Ich würde mit einem solchen Mann nicht einmal eine „besondere Freundschaft“ pflegen.

Das Papier aber spricht sich gleich im ersten Satz dafür aus, dass Israel ein Recht hat, nicht vernichtet zu werden – nochmal Glück gehabt. Leider wird in dem Papier nicht erwähnt, warum das Existenzrecht Israels gefährdet ist. Das Papier verurteilt nicht die Gründungscharta der Hamas, wo die Zerstörung Israels (Artikel 13) und die Vernichtung des ganzen jüdischen Volkes weltweit (Artikel 7) gefordert wird. Es wird auch nicht die Fatah verurteilt, die Renten an Terroristen und Judenmörder ausschüttet und Predigten feiert, in denen erklärt wird, ein Friede könne erst kommen wenn „jeder Jude“ vernichtet sei.

Der arabische Terror gegen Israel wird nicht genannt
Nun kann man als deutscher Politiker natürlich durchaus darüber schweigen, dass politische Parteien und Führer im Nahen Osten einen Völkermord an Juden erklären, finanzieren, planen und Raketen auf Israel abwerfen, wenn man aber dieses Schweigen unterbricht, um zu erklären, Juden seien ein Problem, weil sie Häuser bauen und an einem Ort siedeln, den die Judenhasser lieber „judenrein“ haben wollen, dann wird es grotesk. Da hilft auch kein Verweis auf das sogenannte Völkerrecht mehr.

Für mich stellt die Erklärung eines Völkermords und die Durchführung einer ethnischen Säuberung an Juden ein größeres Problem dar als Juden, die Siedlungen bauen. In jeder israelischen Siedlung gilt das israelische Gesetz. Jede israelische Siedlung im Nahen Osten ist ein Ort, wo Menschen nicht verfolgt werden, egal welcher Religion sie angehören, welches Geschlecht sie haben oder lieben darf und welche meine Meinung sie sagen. Ich bin für Israel, nicht weil ich glaube, irgendwer habe irgendwo zuerst seinen Fuß in den Sand gesetzt, oder irgendein Gott habe irgendeinen bärtigen Mann zum Kaffeeklatsch eingeladen, um dabei die Welt aufzuteilen, sondern weil Israel das einzige Land im Nahen Osten ist, in dem Frauen und Männer gleichberechtigt sind, Homosexualität staatlich anerkannt ist, die Meinung, Kunst und Wissenschaft frei sind, keine Religion diskriminiert wird und Juden weder besser noch schlechter sein müssen als alle andere Menschen. Jeder Quadratmeter im Nahen Osten, der sich ein Beispiel an Israel nimmt, ist ein gewonnener Quadratmeter.

Ich habe mich langsam daran gewöhnt, dass jene Siedlungen, die mich nicht verfolgen und mich so leben lassen, wie ich möchte, gegen das sogenannte Völkerrecht verstoßen.

Ein großer Teil der Menschen, die für die Zwei-Staaten-Lösung sind, leben selber lieber in Israel als in einem möglichen „Palästina“. Sie kämpfen für die Schaffung einer Nation, in der sie selber nicht leben möchten. Sie würden sogar in diesem neuen Staat verfolgt werden, aber irren ist menschlich. Kann sich die ganze Welt irren, fragen Sie jetzt? Ja, sie kann! Wenn es um Juden geht, hat sich die ganze Welt schon einmal geirrt!

Wer fest davon überzeugt ist, dass die jüdischen Siedler das Hauptproblem für einen Frieden im Nahen Osten sind, während er über die Verbrechen der Gegenseite schweigt, sollte einfach mal das Wort „jüdisch“ streichen und durch „muslimisch“, „christlich“ oder „arabisch“ ersetzen, um sich dann zu fragen, warum unter all den Siedlern in Judäa und Samaria nur die jüdischen Siedler das Problem sein sollen. In den Gebieten Judäa und Samaria siedelten Juden bereits, bevor es Christen und Muslime überhaupt gab. Der Name Judäa ist eindeutig. Daher sprechen jene, die Juden dort für illegal halten, lieber von der „Westbank“. Wie immer das Gebiet jedoch bezeichnet wird, zur Zeit gehört es zu keinem Nationalstaat. Einst gehörte das Gebiet zu Jordanien, dem Land, das sich zu über 80 Prozent auf „palästinensischem“ Boden (Britisches Mandatsgebiet „Palästina“) befindet und wo im Gegensatz zu Israel „Palästinenser“ nicht die volle Staatsbürgerschaft besitzen. Davor wurde das Gebiet vom Völkerbund verwaltet. Davor gehörte das Gebiet zum Osmanischen Reich, davor zum Römischen Reich und davor, wie das Wort „Judäa“ zeigt, zu einem jüdischen Reich. Das jüdische Volk ist das älteste noch heute existierende Volk im Nahen Osten.

Friede von Juden statt Frieden mit Juden
Obwohl die Gebiete Judäa und Samaria heute zu keinem Staat gehören, siedeln dort Menschen. Manche siedeln in Häusern, andere in Zelten. Es gibt dort arabische, jüdische, staatenlose und viele andere Siedler. Sie siedeln alle in einem Gebiet, das bis heute umstritten ist, weil kein Staatsgebilde dort regiert. Als „illegal“ werden nur die Siedler bezeichnet, die Juden sind! Das Problem, das diese Menschen mit diesen Siedlern haben, ist somit ihr Jüdischsein! Wer fordert, dass Juden verschwinden müssen, kann niemals Frieden mit Juden schließen. Wer brüllt „Juden raus aus meinem Land, meiner Stadt, meiner Nachbarschaft“, will keinen Frieden mit Juden, sondern einen Frieden von Juden. Es gibt nämlich zwei Formen des Friedens im Nahen Osten: Der eine Friede ist ein Friede mit Juden. Der andere Frieden ist ein Frieden von Juden.

Für jene, die einen Frieden mit Juden schließen wollen, ist eine jüdische Siedlung kein Problem, sondern die Lösung des Problems. Nur in der Akzeptanz von jüdischen Siedlungen wohnt die Möglichkeit der schlichten Erkenntnis, dass Juden einfach nur Nachbarn und Mitbürger sein können. Leider, so höre ich es überall, soll diese Erkenntnis gegen das Völkerrecht verstoßen.

Juden, die siedeln und Häuser bauen, sind kein Problem! Sie sind es nicht in Israel, nicht in Amerika und nicht in Europa. Sie sollten es auch nicht in den Ländern des Nahen Ostens sein. Überall auf der Welt gibt es in diversen Ländern jüdische Siedlungen und Viertel. In Deutschland gibt es jüdisch, muslimisch und christlich geprägte Viertel. Nur wenige sehen in ihnen ein Friedenshindernis. Sie werden vielmehr als eine kulturelle Bereicherung verstanden und gelten als Unterstützung für ein friedliches Miteinander, da sie Vielfalt, Toleranz und Akzeptanz zu fördern vermögen. In Köln gibt es die überwiegend muslimisch geprägten Keupstraße und in Paris den Marais im dritten und vierten Arrondissement, eine überwiegend jüdisch geprägte Siedlung der Stadt. In Israel gibt es eine Menge muslimische Viertel und Siedlungen. Fast zwanzig Prozent aller Israelis sind Muslime. Für Israel sind muslimische Siedlungen innerhalb und außerhalb Israels kein Friedenshindernis, sondern gelebte Demokratie.

Unter jüdischen Siedlern gibt es ebenso viele gute und schlechte Menschen wie unter allen anderen Siedlungsgruppen auch. Jüdische Siedler nicht besser oder schlechter als muslimische oder arabische Siedler. Die arabischen Regierungen im Nahen Osten sollten daher Juden als Bürger des Landes mit allen Rechten und Pflichten achten, die Häuser und Siedlungen bauen dürfen, wie jeder andere Bürger auch, oder sie werden niemals Frieden mit Juden schließen können. Es kann von der arabischen Seite erwartet werden, seine jüdischen Bürgerinnen und Bürger zu behandeln, wie Israel seine muslimischen Bürgerinnen und Bürger behandelt.

1,6 Millionen von 8 Millionen Israelis sind Moslems
Es leben über 8 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Israel. 1,6 Millionen von ihnen sind muslimische Araber und laut einer aktuellen Studie wollen 77 Prozent dieser Araber nirgendwo lieber leben als in Israel! Israel ist für sie das beste Land, sogar besser als Deutschland. Wer Israel kritisiert, sollte sich mal anschauen, wie Muslime in Deutschland leben. Wenn irgendwo eine Moschee gebaut wird, gehen tausende Deutsche auf die Straße und demonstrieren dagegen. In Deutschland leben viele Muslime in Vierteln, die alles andere als lebenswert bezeichnet werden können. Muslime sind in Deutschland ständiger Diskriminierung ausgesetzt. Regelmäßig finden in deutschen Städten wie Dresden und Leipzig Demonstrationen gegen Muslime statt, bei denen mehrere zehntausend Deutsche gegen Muslime hetzen. Im deutschen Parlament sind Muslime gnadenlos unterrepräsentiert.

In Israel jedoch machen Muslime 20 Prozent der Bevölkerung aus. Die Muezzine singen wie selbstverständlich von den Minaretten. Moscheen stehen an jeder Ecke. Es gibt reiche, belebte, lebenswerte muslimische Viertel. Muslime sind wie selbstverständlich im israelischen Parlament vertreten. Sogar im höchsten Gericht Israels finden sich Muslime. Ich halte jede Wette, nach einem Jahr Deutschland und einem Jahr Israel würde sich die deutliche Mehrheit aller Muslime für Israel entscheiden. Ich behaupte sogar, die Mehrheit der jüdischen Siedler hegen bessere Gedanken für Muslime als die Mehrheit der Deutschen!

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es viele jüdische Siedlungen in Europa. Sie wurden Schtetl genannt. Für die Nazis waren diese Schtetl jedoch illegale jüdische Siedlungen. Als die Nazis ein eigenes, ein sogenanntes Drittes Reich ausrufen konnten, setzten sie ihre Vernichtungsphantasie in die Tat um. Sie erklärten, Juden wären auf deutschem Boden illegal, so wie heute viele Menschen erklären, Juden wären auf „palästinensischen“ Boden illegal, obwohl sie auf diesem Boden länger siedeln als alle anderen Völker der Erde.

Das Koalitionspapier der „Arbeitsgruppe Außenpolitik“ jedenfalls atmet den Geist der Doppelmoral und Ausgrenzung. Dieser Umgang mit Juden und Israel ist jedoch schon wieder so alltäglich geworden, dass die Grausamkeit dieser Haltung kaum noch jemandem auffällt. Das ist das eigentlich Traurige, wenn nicht gar Gefährliche an der ganzen Angelegenheit.

Stellen Sie sich eine Geiselnahme vor, bei der einige Geiseln bereits erschossen wurden, weil sie Juden waren. Stellen Sie sich weiterhin vor, unter den vielen Geiseln wären auch ein Mann, der einen Strafzettel nicht bezahlt hat, eine Frau, die Steuern hinterzogen hat und noch ein anderer Mensch, der eine Straftat begangen hat. Was würden Sie denken, wenn die gerufene Polizei erklären würde, auf beiden Seiten der Geiselnahme seien Verbrecher? Was würden Sie sagen, wenn deutsche Politiker beide Seiten dazu aufrufen würden, besonnen zu handeln und alles dafür zu tun, dass die Situation nicht eskaliert? Was würden Sie davon halten, wenn ein Versuch der Geiseln, sich zu befreien, von Teilen der Medien als ein „Öl ins Feuer“ gießen und ein „Drehen an der Gewaltspirale“ kritisiert werden würde? Was würden Sie denken, wenn eine Arbeitsgruppe zu den Geiselnehmern schweigen, aber lautstark erklären würde, die Existenz von Juden sei das Problem?

Sie wären empört? Nun, genau das hat die Arbeitsgruppe Außenpolitik in ihrem Koalitionspapier getan!

Komplett zu lesen in der Druck- oder Onlineausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier für 39 Euro im Papierform abonnieren oder hier ein Onlinezugang zu den 12 Ausgaben für 33 Euro kaufen.


Sie können auch diesen Artikel komplett lesen, wenn Sie die aktuelle Ausgabe der "Jüdischen Rundschau" hier online mit der Lieferung direkt an Sie per Post bestellen oder jetzt online für 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk kaufen.

Brief an die Redaktion schreiben

Soziale Netzwerke