(…)Dahingegen war es vor acht Jahrzehnten der deutsche Staat, von welchem die Aggressionen und Gewaltakte gegen die Juden und gegen alles Jüdische ausging. So auch in Essen: In der Pogromnacht 1938 schlug der Synagoge am Steeler Tor der geballte Hass der Essener Nationalsozialisten entgegen. Im Inneren brannte das großräumige Gotteshaus fast komplett aus. Doch die stabilen Außenwände hielten den Angriffen der SA stand. Auch den Zweiten Weltkrieg überstand die Alte Synagoge wie durch ein Wunder. Wie ein Fels ragte der Bau in nationalsozialistischer (Sturm-)Flut aus den Tiefen des menschlichen Abgrundes in die Welt.
Trotzdem war der Innenraum durch die Zerstörung am 9. November 1938 unbenutzbar geworden. Die wenigen Essener Juden, die überlebten, versammelten sich nach 1945 in dem der Synagoge angebauten Rabbinerhaus. 14 Jahre später, 1959, war die Neue Synagoge fertiggestellt. Drei Straßen weiter als die Alte Synagoge ist sie seitdem die neue Versammlungsstädte der Juden aus dem Großraum Essen. Die jüdische Gemeinde verkaufte die Alte Synagoge aus finanziellen Gründen (zum Bau und zur Unterhaltung der Neuen Synagoge) an die Stadt Essen. Diese fasste den – aus heutiger Sicht völlig unverständlichen und absurden – Entschluss, ein Industriemuseum in der Synagoge zu eröffnen. Dazu wurde im Inneren alles, was noch an die alten Synagogenzeiten erinnerte, entfernt. Polemisch formuliert: Was den nationalsozialistischen Truppen 1938 misslang, vollendete im demokratischen Westdeutschland die damals rotregierte Stadt Essen. Heute erinnern lediglich noch alte schwarz-weiß-Photographien und farbige Malereien an die einstige Pracht der im späten Kaiserreich erbauten Synagoge.
Dafür ist in der Alten Synagoge seit 1980 das Haus jüdischer Kultur untergebracht, welches seit 2010 eine Dauerausstellung sowohl im Speziellen zur Essener Synagoge als Allgemeinen auch zum Judentum Platz bietet.
Diese eintrittsfeie Dauerstellung ist eine sehenswerte Ausstellung, die mit Klischees spielt und sowohl ernsten als auch amüsanten Elementen Platz bietet. So findet man in einem Treppenhaus Portraits von bekannten deutschen und internationalen jüdischen Prominenten und immer wieder hört man ein Staunen oder auch die Worte: „Ach, der war Jude?“ Und zwischenzeitlich ertappt man sich selbst dabei, wie man überrascht vor einem Bild stehen bleibt und denkt: „Ach, der?“ oder „Ach, die?“ als ob den Prominenten ihre Religion auf die Stirn geschrieben steht. Und so ertappt man sich beim Treppengang selbst dabei, das eigene enge Kirchenturm- und Synagogenkuppeldenken reflektieren zu müssen.
Der wirkliche Schatz der Ausstellung ist jedoch der wiedererbaute Thoraschrein, das Mosaik über dem selbigen und der Ausstellungsbereich im dahinterliegenden Teil, der unter anderem eine alte Thorarolle beherbergt. Hier gibt es eine sehr schöne Zeitleiste zur jüdischen Geschichte. Sehr interessant ist auch eine Ausstellungswand im vorderen Bereich des Raumes, der synagogale Bauten in anderen Staaten vorstellt. Dabei werden die Unterschiede der einzelnen Baustile deutlich und das Fernweh geweckt. Kaum zwei Schritte weiter stößt man auf eine Landkarte Nordrhein-Westfalens, in der die Synagogen eingezeichnet sind, die mal auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes vor der Reichspogromnacht 1938 standen und welche (wenn auch mit Schäden) die NSDAP-Diktatur überlebten. Man erschrickt innerlich abermals ob der ideologischen Brutalität und der systemdeutschen Präzision, mit der die Synagogen damals flächendenkend aus den Stadtbildern verschwanden. Und man wünscht sich, die Zeit zurückdrehen zu können.
Doch da man das Rad der Zeit nicht zurückdrehen kann, empfiehlt sich ein Gang auf die ehemalige Frauenempore, auf welcher gegenwärtige jüdische Kultur vorgestellt wird. So gibt es dort ein virtuelles Verzeichnis wichtiger jüdischer Zeitungen und Zeitschriften im In- und Ausland einschließlich Kurzvorstellung und Bildern. Neben türkischsprachigen Zeitschriften stößt man auch auf eine jüdische Zeitschrift für Homosexuelle. Die Brandbreite jüdischer periodischer Publikationen in der Diaspora ist erstaunlich. Ebenso erstaunlich sind die Bilddokumente der alten jüdischen Gemeinde in Essen, die ebenfalls virtuell in einem PC-Raum ganz oben in der Synagoge präsentiert werden. So bekommt man einen bewegenden Einblick in das Essener Gemeindeleben der 1920er- und 1930er Jahre. Sogar über ein eigenes Altenheim verfügten die Essener Juden – in einer Zeit, in welcher die Altenpflege längst nicht den Bedarf hatte, den sie heute hat. Die hoffnungsvollen Blicke der Menschen in einer Zeit der Bedrängnis erstaunen positiv. (…)
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