Der thüringische Ministerpräsident und der Anstand  

Juni 1, 2017 – 7 Sivan 5777
Offener Brief des Herausgebers Dr. Rafael Korenzecher an Bodo Ramelow

Der Ministerpräsident von Thüringen, Herr Bodo Ramelow, verunglimpfte am 25. Mai 2017 im Zuge einer ureigenen externen Auseinandersetzung mit Dr. Müller-Vogg, einem ehemaligen FAZ-Mitherausgeber, ohne erkennbaren Grund den verstorbenen, ehemals sehr prominenten langjährigen Herausgeber des ZDF-Magazins und Holocaust-Überlebenden Gerhard Löwenthal wegen seines engagierten Einsatzes für die westdeutsche Demokratie mit den Worten: „Hauptsache der Geifer hängt noch an den Mundwinkeln.“
Nachdem sich die JÜDISCHE RUNDSCHAU gegen die Diffamierung des Verstorbenen eingesetzt hat, warf Herr Ministerpräsident Ramelow der JÜDISCHEN RUNDSCHAU in einem Kommentar auf der FB-Seite der JÜDISCHEN RUNDSCHAU ein Fehlen jeden Anstandes vor:
Hierzu sah sich unser Herausgeber veranlasst folgende Erwiderung zu verfassen:

Lieber Herr Ministerpräsident Ramelow,

ja, Sie haben recht: Die Jüdische Rundschau (JR) hat ihre eigenen Maßstäbe.

Dazu gehört an ganz oberer Stelle der Respekt vor dem Recht und der Freiheit eines jeden Menschen auf seinen Glauben und seine Meinung.
Nun ist das mit dem extensiven Ausleben von Rechten und Freiheiten in einer gleichberechtigten pluralistischen Gesellschaft so eine Sache.

Wie Ihnen sicher bekannt ist, formuliert die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (Déclaration des droits de l'homme et du citoyen) vom 26. August 1789, Artikel 4 hierzu übersetzt :

„Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuss der gleichen Rechte sichern.“

Diese Maxime kennt auch das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten vom 5. Februar 1794, Einleitung II. Allgemeine Grundsätze des Rechts. § 83:

„Die allgemeinen Rechte des Menschen gründen sich auf die natürliche Freyheit, sein eignes Wohl, ohne Kränkung der Rechte eines Andern, suchen und befördern zu können.“

Die Menge der hierzu bestehenden Postulate ließe sich noch in einer weiteren langen Reihe von Inhalts-ähnlichen Texten von Immanuel Kants „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre“ von 1797 über angelsächsische Rechtsgelehrte bis in die Neuzeit hinein verfolgen.

Eine schöne verständliche und erfrischend unjuristische Formulierung schreibt man dem amerikanischen Rechtswissenschaftler und nahezu drei Jahrzehnte als Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten berufenen Oliver Wendell Holmes jr. (1841 – 1937) zu:

„The right to swing my fist ends where the other man's nose begins.“

Und genau darum geht es hier, lieber Herr Ministerpräsident. Die Verteidigung der von Ihnen für sich beanspruchten Glaubensrechte, die Ihnen die JR übrigens in keiner Weise strittig macht, rechtfertigt nach hiesiger Ansicht unter keinen Umständen Ihren globalen Angriff auf die Ehrenrechte des an Ihrem Disput schon aus biologischen Gründen vollkommen unbeteiligten Verstorbenen, Gerhard Löwenthal.

Zwar können meines Wissens nach Verstorbene nicht mehr Inhaber von Persönlichkeitsrechten sein. Jedoch gelten hier, schon aus Rücksichtnahme auf die Angehörigen, ethische Prinzipien, denen sich die JR, gerade wegen ihrer Sensibilisierung als jüdisches Medium nicht minder verpflichtet sieht.

Auch hierzu sind an berufener historischer Stelle bereits allgemein verbindliche Maxime aufgestellt worden.
So sagt Immanuel Kant in seinen metaphysischen Schriften kurz und spröde dazu:

„Das Rechthandeln mir zur Maxime zu machen, ist eine Forderung, die die Ethik an mich tut.“

Die Römer bezogen dies noch mehr auf die Person der Verstorbenen selbst, mit der allseits bekannten These „De mortuis nihil nisi bene.“ (Über die Toten nichts, wenn nicht Gutes.“)

Alles, was die JR hier angegriffen hat, und zwar ohne sich zum Inhalt des von Ihnen an anderer Stelle geführten Disputs auch nur ansatzweise zu positionieren, ist der von Ihnen an den Tag gelegte Mangel an der Sensibilität gegenüber einem verstorbenen jüdischen Menschen, die Sie für sich selbst abfordern und die Ihnen, jedenfalls seitens der JR vorbehaltlos und nicht nur in Sachen Ihres Glaubens eingeräumt wurde und wird.

Mit größtem Nachdruck weise ich daher als Herausgeber der Jüdischen Rundschau die von Ihnen in Ihrem obenstehenden Kommentar getätigte, ebenso substanz- wie haltlose, überaus beleidigende und anmaßende Behauptung aufs Entschiedenste zurück, der JR fehle es hier offenbar an jeder Form von Anstand.

Mein großes Befremden über diese unzulässige und pauschale Verunglimpfung unserer Publikation, unserer Redaktion und unserer Autoren wird noch verstärkt von der Sorge, ob gegen ein Pressemedium getätigte unhaltbare und ungebremste emotionale Befindlichkeitseruptionen der Art, wie Sie sie hier an den Tag gelegt haben, vereinbar sind mit den hohen Standards an Würde und Verantwortung, die unverzichtbar an einen gewählten politischen Funktionsträger in Ihrer öffentlichen und Vorbild-verpflichtenden Position eines Ministerpräsidenten und Landesvaters gestellt werden müssen. Eine Überprüfung des von Ihnen gegenüber der JR getätigten Anwurfs im Hinblick auf Ihre eigenes , durchaus auch zur Einschüchterung eines freien Presseorgans geeignetes Handeln lässt weitere Zweifel daran zu.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Dr. Rafael Korenzecher
Herausgeber Jüdische Rundschau

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