Ein Interview mit Sara Rihl (SPD) und Rolf Woltersdorf (DIG)  

Dezember 13, 2016 – 13 Kislev 5777
Neues zum „Fall Christoph Glanz alias Ben Kushka “ aus Oldenburg

Von Stefan Frank

Sara Rihl ist Studentin und Ratsfrau der SPD in Oldenburg. Sie wurde von Christoph Glanz und dessen Anwalt, Ratsherr Hans-Henning Adler (Die Linke), verklagt, weil sie Glanz einen „bekannten Antisemiten“ genannt hatte. Eine Entscheidung in dieser Sache steht noch aus. Rolf Woltersdorf ist Mitglied des Vorstands der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Oldenburg.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Frau Rihl, was motiviert sie, im Rechtsstreit mit Christoph Glanz nicht aufzugeben, sondern sich gegen Antisemitismus einzusetzen, notfalls auch vor Gericht?

Rihl: Ich finde, das Thema ist sehr wichtig, und es wird gern außenvorgelassen. Viele Leute in der Politik äußern sich am liebsten gar nicht dazu. Ich habe mit 15 bei den Jusos angefangen, Antisemitismus und Israel wurden schnell wichtige Themen für mich. Der „AK Antifa“ der Jusos München, dessen Sprecherin ich als Schülerin war, hat sich viel mit Antisemitismus und israel-bezogenem Antisemitismus befasst. Die Jusos sind auch über das Willy-Brandt-Center in Jerusalem mit Israel verbunden. In Tel Aviv bin ich auch persönlich mit vielen Menschen befreundet.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Was war Ihre Reaktion, als Sie das Schreiben von Glanz’ Anwalt (dem „Linke“-Ratsherrn Hans-Henning Adler) bekamen?

Rihl: Ich habe mich zuerst sehr erschrocken. Ich habe das gelesen, als ich in der Vorlesung saß. Ich musste erst mal rausgehen, weil ich gar nicht wusste, was das für mich heißt. Glücklicherweise habe ich in der SPD sehr gute Freunde, die auch gute Kontakte haben, wenn es um Juristisches geht. Einige beobachten Glanz’ Aktivitäten schon seit langem.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Haben Sie Rückhalt in der SPD und an der Uni, an der Sie studieren?

Rihl: Ja, in der Partei habe ich Unterstützung. Der Oldenburger SPD-Vorsitzende hat sich öffentlich klar auf meine Seite gestellt, andere unterstützen mich bei Recherchen. Es gibt aber auch Leute, die sich nicht äußern wollen. Einer gab mir den Ratschlag, als Politikerin solle ich mich weder zu Israel noch zu den Kurden äußern, weil man da angeblich nur in Fettnäpfchen treten könne. An der Uni hat der AStA eine Resolution verfasst, die sagt, dass die BDS-Bewegung antisemitisch ist.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Einige CDU-Politiker, mit denen ich sprach, wollen sich nicht zu dem Fall äußern. Die Grünen haben auf meine Anfragen nicht mal geantwortet. Haben Sie Verständnis für so ein Verhalten?

Rihl: Viele setzen sich nicht mit Antisemitismus auseinander, weil sie denken, dass er sie nicht betrifft. Ich finde, dass man eine Grundposition haben sollte. Wenn das ein wichtiges Lokalthema ist und man sich komplett weigert, sich damit zu beschäftigen, dann finde ich das – eher schwierig. Es muss ja nicht jeder Einzelne tun, aber in jeder Fraktion sollte es jemanden geben, der sich damit auseinandersetzt.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Herr Woltersdorf, viele haben sich in den letzten Wochen zu der Affäre Glanz geäußert, u.a. der Oldenburger Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (SPD), die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, und der GEW-Landesvorstand. Was war Ihnen besonders wichtig?

Woltersdorf: Die Äußerungen des GEW-Landesvorstands waren auf jeden Fall sehr wichtig, was die GEW angeht. Wobei mittlerweile der Eindruck entsteht, dass das keine Konsequenzen hat, weil die GEW Oldenburg ja wieder umgeschwenkt ist: Nachdem sie schon einmal gesagt hatten „Lasst uns damit in Ruhe, ihr habt alle Schaum vorm Mund“, haben sie dann gesagt „Wir entschuldigen uns dafür, wird nie wieder vorkommen, wir wussten gar nicht, was BDS ist“. Dann haben sie wieder einen Schwenk gemacht und die Erklärung wieder aus dem Netz genommen. Mittlerweile ist offensichtlich, dass die Mehrheit der Oldenburger GEW Glanz unterstützt. Sie sagen es zwar nicht öffentlich, aber es ist ganz deutlich zu merken, auch an den Reaktionen der Einzelnen, wenn man sich mit ihnen auseinandersetzt. Einzelne Vorstandsmitglieder der Oldenburger GEW halten zudem die Website „Electronic Intifada“ für eine objektive Informationsquelle, das sagt einiges. In den letzten Wochen und Monaten habe ich in Gesprächen mitbekommen, dass sie sagen: Der Herr Glanz ist doch ein ganz netter Lehrer. Sie haben ja auch die Erklärung herausgegeben, die in der NWZ zitiert wurde, in der sie sich voll und ganz hinter Glanz stellen – nur in Bezug auf ihn als Lehrer zwar, dass er so „engagiert“ sei, doch vor dem Hintergrund der BDS-Affäre ist das ein deutliches Wort pro Glanz. BDS wird nicht verurteilt.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Ist das Corpsgeist?

Woltersdorf: So scheint es, aber auch inhaltlich scheint die Linie pro BDS in der Oldenburger GEW mehr Befürworter zu finden als die dagegen. Dass die Landes-GEW sich klar dagegen ausgesprochen hat, hat offenbar keine Auswirkungen.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie ist die Berichterstattung in der Lokalzeitung, der „Nordwest-Zeitung“?

Woltersdorf: Es ist auffällig, dass es dort zwei Fraktionen gibt: Im Lokalteil kommen diverse Unterstützer von Glanz zu Wort – Rolf Verleger beispielsweise –, die ganz klar mit ihm gemeinsame Sache machen. Von denen gibt es reihenweise Leserbriefe: Sie haben eine Kampagne gestartet gegen die „zionistische Hexenjagd“.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Echt?

Woltersdorf: Ja, Kritik ist bei denen nicht nur Kritik, sondern immer gleich eine „Hexenjagd“ und dazu müssen sie „zionistisch“ sagen. Mitglieder der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Oldenburg werden pauschal als „Zionisten“ bezeichnet. Der Widerstand, den es sonst noch gegen BDS gibt – der ja weit über die DIG Oldenburg hinausgeht –, wird ignoriert.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Sie reden lieber über Personen als über Argumente.

Woltersdorf: Genau. Es wird gar nicht zu Inhalten Stellung genommen, sondern gesagt: Das kommt aus der und der Ecke. Nachdem Benjamin Weinthal, der Europa-Korrespondent der „Jerusalem Post“, Christoph Glanz gefragt hatte, warum er bei seinen öffentlichen Auftritten ein jüdisch klingendes Pseudonym („Christopher Ben Kushka“) benutze, hat Glanz, statt zu antworten, einen „Brief an Benjamin Weinthal“ im Netz veröffentlicht, in dem Rolf Verleger ihm vorwirft, Weinthals Antrieb sei doch das Geld: Er würde angeblich für jede Veranstaltung, die ausfällt, eine Prämie bekommen. Außerdem, und das ist noch ärger, würde Weinthal ja auch noch „von woanders her“ Geld bekommen, als nur von der „Jerusalem Post“. Es geht also mal wieder um eine Verschwörung: Der Jude will nur Geld und außerdem steckt irgendwas Dunkles dahinter.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Antisemitismus trifft linken Materialismus.

Woltersdorf: Ja, dass wir, die wir gegen BDS sind, andere als eigennützige, materielle Motive haben könnten, wird uns nicht zugestanden.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Sie sagten, in der Nordwest-Zeitung gebe es zwei Fraktionen. Was ist mit der anderen?

Woltersdorf: Es gibt noch den Redakteur Alexander Will, der zu BDS klare Worte findet. In einem Kommentar schrieb er: „Gespenstisch: Im Jahre 2016 diskutiert man in Deutschland allen Ernstes, ob eine Bewegung, die den Staat Israel abschaffen will, antisemitisch ist. Wie anders soll man es nennen, wenn der einzige Ort, an dem Juden im Ernstfall sicher sind, durch die Hintertür zerstört werden soll?“ Dazu hat er den Göttinger Antisemitismusforscher Samuel Salzborn interviewt. Sobald es aber in den Lokalteil geht, ist die Berichterstattung eine völlig andere. Da wird Christoph Glanz immer als „Israelkritiker“ bezeichnet – als ob man den Apartheidsvorwurf u.ä. als „Kritik“ ansehen könnte. Auch die „Neue Osnabrücker Zeitung“ hat einen Artikel gebracht, in dem Glanz ausführlich zu Wort kommt. Auffällig bei vielen Berichten ist, dass Glanz oft das letzte Wort hat – am Ende des Artikels darf er sagen, dass er kein Antisemit sei, alles bloß „Israelkritik“.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Vielleicht trauen sich die Zeitungen nicht, irgendjemanden einen Antisemiten zu nennen?

Woltersdorf: Manchmal wird erwähnt, dass Glanz Antisemitismus vorgeworfen wird. Bei den Lokalblättern – mit der Ausnahme von Alexander Will – ist die Parteinahme für Glanz schon sehr deutlich.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Sind Sie beide insgesamt zufrieden damit, wie die Debatte läuft, und mit dem Maß an Öffentlichkeit, das erzeugt worden ist?

Rihl: Von der Nordwest-Zeitung hätte ich mir eine andere Berichterstattung gewünscht, aber nun scheint es besser zu werden. Kürzlich hat der Lokalredakteur zum ersten Mal auf eine Pressemitteilung von mir hin geantwortet und sogar Zitate daraus veröffentlicht. Es wurde auch zum ersten Mal geschrieben, dass das erste Gerichtsurteil gegen mich kein inhaltliches, sondern ein formales war.

Woltersdorf: Die erste Meldung der NWZ zum Prozess hatte gelautet: „Glanz kein Antisemit“. Das war eine Pressemitteilung von Glanz selbst, die die NWZ wortwörtlich übernommen hat, das wurde auch nie richtiggestellt.

Rihl: Vielleicht wird die Berichterstattung ja jetzt etwas neutraler.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Was ist mit den überregionalen Medien?

Woltersdorf: Da hätte mehr berichtet werden können. Die „taz“ hat zwar Benjamin Weinthal zu Wort kommen lassen, dann aber einen Artikel veröffentlicht, in dem das Thema Antisemitismus ins Lächerliche gezogen wurde, als „das böse A-Wort“. Und Weinthals Kommentar wurde von der „taz“ unter der Überschrift „Alles Antisemiten“ gebracht! Auf Weinthals Kommentar folgte eine Replik von Rolf Verleger. Dass sie versucht, Antisemitismus lächerlich zu machen, ist ein generelles Problem bei der „taz“. Was die anderen Zeitungen betrifft, so hätte man angesichts des Antisemitismus-Skandals an der Uni Hildesheim und der Tatsache, dass Samuel Salzborn an der Uni Göttingen abgesägt wird, dafür aber die „Nakba“-Ausstellung kommt, mehr Reaktionen über das, was in Oldenburg passiert, erwarten können – denn das zeigt ja, dass das Thema eine Relevanz hat, über Oldenburg hinaus.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: In Israel hat das Thema hohe Wellen geschlagen. Nicht nur die englischsprachige „Jerusalem Post“, sondern auch „Israel Hayom“, die größte Zeitung des Landes, die in Israel auf den Straßen kostenlos verteilt wird, hat berichtet.

Woltersdorf: Ich bin sehr froh darüber, dass durch die Artikel der „Jerusalem Post“ das ganze Thema überhaupt erst öffentlich geworden ist. Vorher haben wir Proteste veranstaltet gegen die Reklameveranstaltungen für BDS, die Christoph Glanz mit seinem BDS-Freund Ronnie Barkan in Oldenburg durchführen wollte. Damit fing ja alles an; erst wollte er in der Evangelischen Studentengemeinde auftreten, dann in Räumen der Stadt. Beides haben wir zwar mit unseren Protesten verhindert, doch eine öffentliche Resonanz gab es zu der Zeit nicht. Dann hat Benjamin Weinthal in der „Jerusalem Post“ das Thema aufgegriffen, als es um die GEW-Zeitung ging. Seitdem reagieren die Leute, seitdem passiert was. Nehmen wir das Verfahren der Schulbehörde gegen Glanz: Nur, weil Benjamin Weinthal so hartnäckig nachgefragt und Artikel geschrieben hat, ist das überhaupt in Gang gekommen.

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