Provinz-Sozialdemokraten und ihre Begegnung mit „aufsässigen“ Juden  

Mai 5, 2017 – 9 Iyyar 5777
Mit SPD-Mitgliedern am Stammtisch

Von Carla Möbius

Im Frühjahr dieses Jahres begleitete ich eine SPD-Gruppe ins Centrum Judaicum. Sie hatten eine Führung durch die Ausstellung gebucht. Auf einem Tisch im Vorraum der Ausstellung lagen mehrere Exemplare der April-Ausgabe der JÜDISCHEN RUNDSCHAU. Die Gruppenmitglieder griffen zu. Im Nachhinein denke ich, dass es ihnen nicht klar war, dass es sich nicht um eine Veröffentlichung zur Ausstellung handelte, sondern um eine aktuelle jüdische Zeitung.

Aber das ist natürlich nur meine Interpretation. Die Führung durch die Ausstellung wurde durchgeführt. Die Teilnehmer waren unterschiedlich interessiert, wie das bei einer angemeldeten Besuchergruppe eben so ist.

Später am Tag saß ich mit der Gruppe beim Essen zusammen. Sie hatten in der Zwischenzeit in die mitgenommene JÜDISCHE RUNDSCHAU geschaut und erklärten mir, es sei ja eine schlimme Hetz-Zeitung. Sehr echauffiert zeigten sie mir die ersten beiden Seiten. Auf der ersten Seite der Artikel „Gabriels Freund: Der Holocaust-Leugner Abbas“ von Thomas Weidauer (Haolam). Ja, der Abbas wäre doch ein Gemäßigter!

Nein, mir fiel nicht die Kinnlade herunter. Ich habe dieses Argument nicht zum ersten Mal gehört. Auf meinen Einwand, dass die Leugnung des Holocausts in Deutschland unter Strafe stehe, wurde ich auf die „schlimme Situation“ der „Palästinenser“ hingewiesen. Ja, natürlich! Mit der hat Machmud Abbas auch gar nichts zu tun, und da kann man schon mal ein Auge zudrücken. Auch im Iran gehe es doch jetzt „vorwärts“. Vieles wäre jetzt lockerer. Ich konterte, dass man die Situation als von der Todesstrafe bedrohter iranischer Schwuler oder Islam-Abtrünniger anders bewerten würde. Nein, das würden sie nicht glauben, ließen mich diese Sozialdemokraten wissen. So sei das dort heute nicht mehr. Aber Glauben ist eben nicht Wissen.

Im nächsten Artikel wurde die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel kritisiert. Auch da waren die SPD-Mitglieder nicht toleranter, obwohl doch inzwischen der Wahlkampf begonnen hat. Sie waren sich einig, dass die JÜDISCHE RUNDSCHAU eine üble Hetz-Zeitschrift sei, „so wie die Bild-Zeitung“. Auf meine Bitte, mir ein Exemplar zu überlassen, wurde mir entgegnet: Nein, die nähmen sie mit nach Hause in den Wahlkreis. Das glaube Ihnen ja sonst keiner. Hatten sie Juden bisher nur als Opfer gesehen?

Als „Belohnung“ bzw. Weiterbildung habe ich dann bei der anschließenden Stadtrundfahrt die Gedenkstätte Bernauer Straße angefahren und einen Exkurs zum Thema Diktatur gehalten.

Kritik an der Arbeit von Politikern wird als „Hetze“ betrachtet – was ist mit unserer Demokratie passiert? Wenn ich mir diese SPD-„Demokraten“ anschaue, denke ich, dass es sehr für eine Zeitung spricht, wenn sie von solch ebenso intoleranten wie unwissenden Menschen als „Hetze“ geschmäht wird.

Als ich die DDR verlassen habe, beschrieb ich den Unterschied von Kritik-Möglichkeiten damals so: Wenn ich in der DDR gesagt hätte, was ich über Erich Honecker gedacht habe, gab es Ärger. Wenn ich meinem Chef die Meinung gesagt hätte, wäre das unter Umständen durchgegangen. Kritik an Helmut Kohl hätte in der Bundesrepublik keinen interessiert, vielleicht sogar noch Beifall gefunden. Meinen Chef zu kritisieren, hätte mich möglicherweise meinen Job gekostet. Wenn ich heute meinem Chef gegenüber die Politik der Bundesregierung kritisiere, würde mich das vermutlich meinen Job kosten.

Komplett zu lesen in der Druck- oder Onlineausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier für 39 Euro im Papierform abonnieren oder hier ein Onlinezugang zu den 12 Ausgaben für 33 Euro kaufen.


Sie können auch diesen Artikel komplett lesen, wenn Sie die aktuelle Ausgabe der "Jüdischen Rundschau" hier online mit der Lieferung direkt an Sie per Post bestellen oder jetzt online für 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk kaufen.

Brief an die Redaktion schreiben

Soziale Netzwerke