Die kruden Ansichten über Frauen, Gewalt und Juden behindern nicht seinen Erfolg  

März 9, 2018 – 22 Adar 5778
#MeToo gilt nicht bei Bushido

Von Alexander Wendt

In ihrer neuesten Ausgabe zeigt die „Zeit“ nach vielen Geschichten über den neuen, sanften, postmaskulinen Mann auf ihrer Titelseite ein ausgesprochen traditionelles Exemplar: den Musiker Anis Ferchichi, Künstlername: Bushido. In der Geschichte unter der Überschrift „Hallo, Nachbar! Kennen wir uns?“ geht es um Bushidos neuen Wohnsitz in Kleinmachnow bei Berlin und die Querelen, die es dort zwischen ihm und Nachbarn wie Behörden gibt.
Um gefällte Bäume, den Abriss eines denkmalgeschützten Gartentors, um Lärm. Kurzum: eine Maschendrahtzaun-Geschichte. Gab es eigentlich nicht schon einmal andere Vorwürfe gegen Ferchichi als die, dass er auf seinem Grundstück alte Kiefern umlegt? Dazu gleich später, nach einem kleinen Exkurs zu anderen exemplarischen Männergeschichten.

Interessant wird die „Zeit“-Geschichte eigentlich erst durch den Vergleich mit anderen Geschichten über traditionelle oder vermeintlich traditionelle Männer. Vor kurzem hatte das Blatt aus Hamburg zwei namentlich bekannte und eine anonyme Schauspielerin schildern lassen, wie der Regisseur Dieter Wedel sie vor vielen Jahren sexuell belästigt und körperlich attackiert habe. Wedel weist diese Darstellungen zurück; in einem Fall ermittelt die Münchner Staatsanwaltschaft, die beiden anderen sind verjährt. Von der Staatsanwaltschaft gibt es noch keine Ergebnisse, es stehen Beschuldigungen gegen Wedels Unschuldsbeteuerung. Trotzdem tat die „Zeit“-Autorin Susanne Mayer in einem Text kürzlich so, als wäre Wedel eigentlich schon überführt:

„Hier entspringt jener Unschuldsgestus, den alle bemühen, die im Bademantel erwischt werden, Dominique Strauss-Kahn im New Yorker Sofitel, Harvey Weinstein in Hollywood, Wedel in Bremen.

Ein Bademantel ist an und für sich noch kein Signifikant von Macht. Wirkt eher kindlich. Ein Kinderbademantel ist allerdings prototypisch festgezurrt, während der Männerbademantel gerne offen steht. Darunter: die nackte Schwarte. Ja, wie verletzlich ist das? Dazu das irre Gehabe, Grapschen, Reißen, Brüllen – historisch betrachtet, ist es ein Habitus, der bei Frauen als Symptom einer Geistesstörung galt und heute zur Demenz-Diagnose führt.

Nun die Wendung – wie groß muss die Macht dessen sein, der sich so ausstellen kann, im offenen Bademantel, geifernd und brüllend, ohne irre zu wirken, der nicht als Opfer von Demenz rüberkommt, sondern als machtvoller Täter?“

Der Filmemacher Simon Verhoeven nahm die „Zeit“-Artikel als Vorlage, um auf Facebook sein Standgerichtsurteil über Wedel zu sprechen:

„Ich schäme mich für die Mechanismen meiner Branche, die es diesem Sadisten und brutalen Gewalttäter erlaubt haben, jahrzehntelang Frauen zu vergewaltigen und Menschen zu quälen – Geschützt durch das Schweigen der Sender, Produktionen und Filmschaffenden, die mit Wedel arbeiteten. Es wurde verharmlost, verdrängt, verschwiegen. Aus Angst. Aus Scham. Aus falsch verstandenem Respekt vor einem kranken Tyrannen und seiner Macht.
Aber eben auch aus dem Wunsch, Erfolg zu haben mit Dieter Wedel!“

Und forderte:

„Es ist Zeit, sich von diesem Mann aufs deutlichste zu distanzieren. Seine Serien nie wieder auszustrahlen.“

Das ist, was man damnatio memoriae nennt: Den dauerhaften Ehrverlust, die Auslöschung aus dem öffentlichen Gedächtnis. So, wie sie in den USA gerade von Aktivistinnen für den Schauspieler Matt Damon gefordert wird – nicht, weil der sich einen Übergriff hätte zu Schulden kommen lassen, sondern weil er gemahnt hatte, in der MeeToo-Debatte zwischen Komplimenten und strafbaren Attacken zu differenzieren.

Auch in einem anderen Männerfall zeigte die „Zeit“ eine bemerkenswerte Härte: Seite an Seite mit dem britischen „Guardian“ beschuldigte sie 2015 den britischen Physiker und Nobelpreisträger Tim Hunt wegen einer Bemerkung bei einem Vortrag in Südkorea, ein verachtenswerter Frauenfeind zu sein. Ein Tonbandmitschnitt belegte später, dass es sich bei Hunts angeblicher sexistischer Entgleisung um einen harmlosen und auch von allen im Publikum als harmlos verstandenen Scherz handelte. Tat nichts zur Sache: Hunt verlor alle akademischen Posten.

Was hat das nun mit der „Zeit“-Homestory über Bushido zu tun? Ziemlich viel. Gegen Ferchichi aka Bushido gibt es nämlich keine unbelegten Vorwürfe, er habe Frauen in der Vergangenheit körperlich attackiert. Auch keine Scherze, in die jemand Frauenfeindlichkeit hineinlesen könnte. Vielmehr erzählte Bushido selbst im Jahr 2010 der Welt in einem Doppelinterview mit der Schauspielerin Sibil Kekilli, dass er Gewalt gegen Frauen unter Umständen für durchaus angemessen hält. Überschrift in der Welt damals: „Bushido erklärt Kekilli, warum er Frauen schlägt“.

In dem Interview heißt es:

„WELT ONLINE: „Mit der Rechten werd ich wichsen, mit der Linken dich schlagen“.

Bushido: Das stammt von 1999! Aber ich sage es ehrlich, ich habe schon mal eine Frau geschlagen.

Kekilli: Bushido!

Bushido: Ich hatte einen Grund.

Kekilli: Es gibt keinen Grund, eine Frau zu schlagen!

Bushido: Pass mal auf: Es ist doch ein Unterschied, ob einer seine Ehefrau zu Hause jeden Tag kaputt schlägt. Das macht man nicht, Punkt. Aber wenn ich in einer Disco bin und eine Frau sagt: „Pass mal auf, du Hurensohn …“ – dann hau ich ihr auf die Fresse.“

Niemand muss lange suchen, um noch ein paar andere Höhepunkte unter den Äußerungen des Rappers und Integrationsbambi-Preisträgers Bushido aufzuspüren. Auf seiner Webseite zeigte der Musiker 2013 eine Landkarte, in der Israel, Westbank und Gaza-Streifen komplett mit palästinensischen Nationalfarben ausgefüllt sind – ein Symbol, das von allen benutzt wird, die sich wünschen, dass der Staat Israel ausradiert wird. Die israelische Botschaft in Berlin twitterte damals:

„@bushido78: Erst Frauen, dann Schwule, nun #Israel: Wir sind stolz darauf, zu den Opfern des Integrationspreisgewinners #Bushido zu gehören”

Im gleichen Jahr rappte der Musiker: „Ich verkloppe blonde Opfer so wie Oli Pocher“.

Bei Ferchichi findet sich also wirklich alles: Rechtfertigung von Frauenschlagen, Antisemitismus, Rassismus, das ganze Paket, das normalerweise zur gesellschaftlichen Ächtung führt. Aber nicht in seinem Fall, nicht in der „Zeit“. Auf zwei Seiten redet Bushido unter Moderation durch zwei „Zeit“-Redakteurinnen mit seinen Nachbarn in Kleinmachnow, die Journalistinnen sprechen ihn kein einziges Mal auf Frauen-und-Blonde-Verkloppen und Israel-Hass an. Die Nachbarn tun es natürlich auch nicht.

Seine früheren Ausfälle hatte Bushido nie zurückgenommen. Hier allerdings, bei Häppchen und Cola, möchte er sich bei den Anwohnern „in aller Form entschuldigen“ für die Lärmbelästigungen, die beim Bau seiner Villa entstanden waren. Eine Nachbarin verabschiedet sich von ihm: „Herr Ferchichi, ich hätte nicht gedacht, dass Sie so sympathisch sind.“

Vielleicht ist es auch naiv, gleiche Maßstäbe für ganz unterschiedliche Kategorien zu erwarten. Bei Dieter Wedel und Tim Hunt handelt es sich bekanntlich um alte weiße Männer. #TheyToo. Damit ist das Wesentliche über ihre Schuld eigentlich schon gesagt. Und auch darüber, warum für Anis Ferchichi andere mediale Regeln gelten.

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