Eine in Berlin lebende Israelin dankt und mahnt  

August 5, 2016 – 1 Av 5776
Mein Liebesbrief an Deutschland

Von Orit Arfa

Liebes Deutschland,

heute möchte ich dir meine Gefühle mitteilen – Gefühle, die ich jetzt noch gar nicht so richtig verstehe, Gefühle, die überhaupt nur wenige verstehen werden, Gefühle, von denen einige Freunde sagen werden, dass sie falsch seien und unsensibel – und, dass ich vielleicht einen Psychologen brauche.

Es ist seltsam dir das zu schreiben: Ich bin verrückt nach dir. Als Deutschland bei der EM gewann, fühlte ich als sei es meine Mannschaft. Als ihr dann im Halbfinale ausgeschieden seid, war ich traurig. Ja, ich mag sogar eure Sprache. Diesen Sommer bin ich als Berlinerin hier herumspaziert, Fahrrad gefahren, habe die einwandfreie Straßenbahn genossen, die hervorragenden Biergärten und die schönen Parks. Nette Menschen, die mich freundlich aufnahmen und bei mir zu einem Heilungsprozess beitrugen nach den schweren Erfahrungen im vom Terror geplagten Israel der letzten Jahre.

Verstehen kann ich das nicht, besonders nachdem ich kürzlich Auschwitz besuchte und sah wie eure Nation vor vielen Jahren, mein Volk zusammentrieb – nackt, erniedrigt, verletzt – in einen Raum, wo maskierte Deutsche ein paar blaue Dosen hineinwarfen. Unter dem ausströmenden Gas wanden sich die Körper vor Qualen bis sie aufhörten zu funktionieren.
Meine Großeltern mütterlicherseits überlebten Auschwitz, weil ihre Körper stark genug waren.

Trotz allem – es ist so seltsam, ich liebe dich, Deutschland! Ich, die israelische Patriotin. Die Zionistin. Diese stolze Jüdin. Das dunkelhaarige, gelockte Mädchen. Vielleicht ist es, weil unsere Schicksale miteinander so eng verbunden sind und deswegen, was dir passiert, auch mich betrifft, weil viel von dem, was ich bin, von dir geformt wurde durch das, was du meinem Volk, meinen Großeltern und deren ermordeten Familien angetan hast. Zur selben Zeit, wo Du begreifst, was du meinem Volk angetan hast, versteht mein Volk das Ausmaß, dass du uns angetan hast.

Heute spüre ich deine Umarmung, ungeachtet was Statistiken zu Antisemitismus sagen. Ich erlebe eine wunderschöne Zeit im kreativen, verrückten und schönen Berlin.
Und nun, da der Terror dich getroffen hat, empfinde ich mehr Schmerzen für dich als für die anderen europäischen Länder, die betroffen sind. Obwohl ich Freunde sagen höre, Deutschland verdiene es, nachdem die Grenzen bedingungslos für viele Menschen aus antisemitischen muslimischen Ländern geöffnet wurden.

Doch ich spüre deinen Schmerz und möchte für dich kämpfen, fast genauso wie ich für Israel kämpfen will. Deswegen habe ich das Bedürfnis dir mitzuteilen: es ist in Ordnung wieder „brutal“ zu sein. Es ist in Ordnung wieder „grausam“ zu sein. Nein, ich meine nicht zu morden und Konzentrationslager zu bauen. Ich meine damit, wachsam zu sein und nicht so verdammt politisch korrekt. Ich meine damit, dass du wieder den Feind beim Namen nennst – den radikalen Islam – und ihn bekämpfst. Medien zufolge sollen die Motive des Schützen aus München, des mit der Axt schwingenden Afghanen, und (während ich dies schreibe) des syrischen Macheten-Mannes und Selbstmordattentäters – „unbekannt“ sein.

Aber Deutschland, wir kennen doch die Motive, oder zumindest die Ideen und Methoden von denen sie inspiriert wurden: der Dschihad (Heiliger Krieg) gegen die „Ungläubigen“. Die „Einsame-Wölfe-Strategie“ ist schlicht eine neue manipulierende Kriegstechnik, um die feindlichen Linien zu verwischen und uns zu lähmen.

Du dachtest, es wäre edel die Grenzen uneingeschränkt zu öffnen, doch damit hast du einen selbstzerstörerischen Pfad betreten. Vielleicht ist es, weil du, tief im Inneren, einen Selbsthass auf dich wegen deiner Vergangenheit empfindest. Oder vielleicht, wie einige Freunde behaupten, bist du tief im Inneren bereit dich selbst zu zerstören, wenn es nur deinen latent vorhandenen Judenhass befriedigt.

Vielleicht hättest du mehr zu Israel halten sollen in seinem Kampf gegen den Dschihad. Vielleicht hättest du den Antisemitismus kontrollieren sollen, der in dein Land einwanderte. Natürlich kamen gute, hilflose Menschen in dein Land, aber es kamen auch Menschen, die an deiner schrecklichen Vergangenheit Gefallen haben und nicht mit dem guten und freien Deutschland der Zukunft sympathisieren.

Trotz allem, du verdienst das nicht. Es ist legitim sich als deutsche Patrioten gegen islamischen Terror und seine Anhänger zu verteidigen. Eigentlich bitte ich sogar darum, weil ich mich wieder sicher fühlen möchte. Ich möchte, dass du mir diese Sicherheit wieder zurückgibst, weil du mir schon so viel Freude in so kurzer Zeit gegeben hast.

Vielleicht – ich wage es mal so zu schreiben – schuldest du das mir und meiner Familie sogar. Aber am meisten schuldest du es dir selbst.

Bitte, bitte, du sollst wissen, dass selbst die Enkeltöchter von Holocaust-Überlebenden dich lieben können und dir raten, dass du noch immer eine eiserne Faust haben solltest, wenn dies nötig ist. Du kannst stolz darauf sein, was dein Land erreicht hat und was es in Zukunft noch erreichen kann. Ich weiß, es ist seltsam, dass ich dir das erzähle. Ich kann es immer noch nicht erklären.

Daher Deutschland, pass auf dich und mich auf.

In Liebe,

Deine Orit

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