Eine kleine philosophische Spurensuche 

August 7, 2014 – 11 Av 5774
Kritische Theorie und Israel

«Solltest Du aber Deiner antideutschen Gesinnung irgendwie erkennbaren Ausdruck geben, so würde ich das Tischtuch zwischen uns ebenso zerschneiden, wie ich es mit Werner – leider zu spät – getan habe.»

Brief von Arthur Scholem an Gerhard Scholem, 12.5.1917

So wie der 20. Juli 1944 heute nicht als ein Ereignis nach dem Motto «die Ratten verlassen das sinkende Schiff» erinnert wird, so wird auch der Erste Weltkrieg 2014 kaum als deutscher Nationalismus und Militarismus erinnert, eher als die europäische Katastrophe, in die ‚man‘ eben so hinein geschlittert sei. Der israelische Philosoph Gershom Scholem (1897–1982), den sein Vater im vorletz- ten Kriegsjahr so eindringlich vor antideutscher Gesinnung warnte, war einer der Begründer der Forschung zu «jüdischer Mystik» oder «Kabbala» und einer der bedeutendsten Kritiker des «Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch». Scholem stand in regem Kontakt zur Kritischen Theorie. Er emigrierte 1923 als Zionist nach Palästina und wurde einer der bedeutendsten Professoren der Hebräischen Universität Jerusalem. Er war zeitlebens ein Kritiker des Antizionismus, und das aus einer sicher als «links» oder «linksradikal» zu bezeichnenden Position heraus. Eventuell könnte man Gershom Scholem als einen frühen «antideutschen» und «anarchistischen» Zionisten bezeichnen. Scholem selbst sah sich durchaus als Anarchist. Angesichts heutiger Vernichtungsdrohungen gegen den Judenstaat von Seiten des Iran und von Terrorgruppen wie Hamas und Hisbollah, muss man daran erinnern, wie er als Zeitgenosse die Rezeption der Nazipropaganda bei den Arabern wahrnahm. Am 15. Dezember 1939 schrieb Gershom Scholem in einem Brief an Walter Benjamin:
«Die Nazipropaganda ist unter den Arabern sehr viel wirksamer als man gemeinhin zugibt und das ist ein bitteres Stück.»
Im Juli 2014 gab es im gesamten Bundesgebiet, von Bremen und Hamburg über Berlin nach Kassel, Göttingen, Frankfurt und Essen, um nur einige Städte zu nennen, antisemitische Demonstrationen, wo Migranten mit arabischem, türkischem bzw. muslimischem Familienhintergrund Hitler lobten, den Holocaust in Frage stellten und antijüdische Sprüche schrien. Diese positiven Bezugnahmen auf den Nationalsozialismus sind noch viel ungeheuerlicher als jene pronazistischen Tendenzen unter Arabern Ende der 1930er Jahre im Mandatsgebiet «Palästina» der Briten. Denn heute schreien und hetzen die Antisemiten angesichts von Auschwitz, Sobibor und Majdanek.
Vor diesem Hintergrund und vieler weiterer antiisraelischen Demonstrationen, Bücher, Texte, Kampagnen und Aktionen in den letzten Jahren und Jahrzehnten wird häufig davon ausgegangen, dass «Linke», ganz allgemein und pauschal gesagt, antiisraelisch sind und historisch betrachtet gegen den Zionismus waren.
Doch was dachten die Vertreter einer der bedeutendsten philosophischen Schule des 20. Jahrhunderts über Israel und den Zionismus? Wie stand die Kritische Theorie zu Israel?
Gewissermaßen der Gründer der Kritischen Theorie war der Philosoph Max Horkheimer (1895–1973) im Jahr 1937, als er einen Text über «traditionelle und kritische Theorie» publizierte. Horkheimer war Direktor des 1923 gegründeten Instituts für Sozialforschung, das 1933 ins Exil ging, später in New York arbeitete und 1950 zurück nach Frankfurt am Main in die BRD kam. Mitte der 1950er Jahre schrieb Horkheimer:
Dann jedoch sieht Horkheimer zur gleichen Zeit die Gefahr, die durch den ägyptischen Präsidenten Nasser bestand:
«Die negativen, negativistischen Geister, die nur sehen und sagen, was das Grauen ist, was nicht sein soll, die Gott zu nennen sich scheuen, was wollen sie? – Daß es gut wird. Die Positiven handeln in seinem Namen, sie bejahen die Welt und ihren Schöpfer. Sie einigen sich – sind nicht gegen die heiligen Güter. Sie führen sie im Mund. So einigte Hitler die Deutschen, indem er die Juden als Opfer designierte, Nasser die Araber, indem er Israel als Opfer designiert.»

Teile des Textes sind aus dem jüngst erschienen Buch von Clemens Heni: Kritische Theorie und Israel, Berlin: Edition Critic, 2014, ISBN 978-3-9814548-8-8, 178 S., Personenregister, 18€, im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich. www.editioncritic.de

Komplett zu lesen in der Druckausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier abonnieren oder hier einen Kennenlernen-Exemplar bestellen.

Brief an die Redaktion schreiben

Soziale Netzwerke