Die Deutschen haben sich bereits aufgegeben – und nehmen den Israelis übel, dass sie nicht das Gleiche tun.  

Januar 11, 2018 – 24 Tevet 5778
Israel – Die Staat gewordene Provokation

Von Alexander Grau

Keine Frage: Deutschland hat ein Israel-Problem. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit beschwört man, das Existenzrecht Israels gehöre zur deutschen Staatsräson und verurteilt lautstark und mit geschwollener Brust jede Form von Antisemitismus. Faktisch jedoch lässt man kaum eine Gelegenheit aus, Israel zu brüskieren. Wenn die Sache nicht so ernst wäre – es wäre zum Lachen.

Nehmen wir ein prominentes Beispiel aus dem Frühjahr: Da postete der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel, Israel hätte in Hebron ein Apartheids-Regime errichtet, bezeichnete den Antisemiten Machmud Abbas als seinen „Freund“ und traf sich mit Vertretern von überwiegend aus Europa finanzierten NGOs, die unter dem Deckmäntelchen des zivilgesellschaftlichen Engagements an der Delegitimierung und Dämonisierung Israels arbeiten. Kritisiert wurde hierzulande aber nicht das Verhalten Gabriels, sondern die israelische Reaktion darauf.

Deutsche Verrenkungen
Es ist immer wieder das Gleiche: Nach außen hin gibt man sich als unerschrockener Freund Israels, in der Realität jedoch zeigt man großes Verständnis für die Todfeinde des jüdischen Staates. Die Posse um die Verweigerung der üblichen rechtsverbindlichen Rückgabezusage von Qumran-Texten an Israel, die bei einer Ausstellung in Frankfurt gezeigt werden sollten, ist da nur ein weiteres unter vielen Beispielen.

Mit Tollpatschigkeit allein lassen sich diese deutschen Verrenkungen nicht erklären. Sie sind vielmehr das Ergebnis einer umfassenden Realitätsverweigerung, deren Wurzeln tiefer liegen und vor allem etwas mit Deutschland, den Deutschen und ihren Befindlichkeiten zu tun haben. Sie prägen hierzulande das Bild vom Nahen Osten, von „Palästina“ und von Israel.

Der Orient als Sehnsuchtsort
Die arabische Welt – wohl gemerkt: nicht die reale arabische Welt, sondern der im deutschen Gemüt imaginierte „Orient“ – erscheint dabei als ein letztes Paradies von Anti-Kapitalismus, Anti-Globalismus und unverstellter Authentizität. Der Orient ist dem Deutschen ein heimlicher Sehnsuchtsort, ein Refugium, das es ihm erlaubt, all jene Ressentiments auszuleben, die er in seiner eigenen modernen und funktionalistischen Realität unterdrücken muss.

Anders Israel. Der jüdische Staat – wirtschaftlich potent, wissenschaftlich erfolgreich, demokratisch und westlichen Idealen verpflichtet – ist für die romantische deutsche Seele der Pfahl der Moderne im Fleische des arabischen Idylls: ein modernistischer Fremdkörper in der exotischen Beschaulichkeit von Tausend und einer Nacht.

Israels Selbstbehauptungswille irritiert
Vor allem aber erkennt man in Deutschland instinktiv, dass Israel ein Spiegel ist, der einem tagein tagaus die eigene Schwächlichkeit vor Augen hält: Für den postheroischen, auf Ausgleich, Beschwichtigung und vorauseilendem Gehorsam gepolten Schmusedeutschen ist Israel, sein Selbstverständnis, seine Staatsräson, sein Wille zu Selbstbehauptung eine einzige, große Zumutung.

Denn dass es da tatsächlich ein modernes und liberales Land gibt, dass auf seine kulturelle Identität pocht, das willens ist, diese auch mit Waffengewalt zu verteidigen, das nicht bereit ist, sich selbst aufzugeben, sondern tatsächlich um die eigene Existenz kämpft – das übersteigt das durchschnittliche deutsche Vorstellungsvermögen bei weitem.

Für den Appeasement-Deutschen, der in seiner verquasten Logik die Verteidigung des Eigenen als Diskriminierung der Anderen empfindet, ist Israel daher die Staat gewordene Provokation. Schließlich muss Israel Kampfbereitschaft kultivieren, Entschlossenheit und Standhaftigkeit. Das ist für den bundesdeutschen Wellness-Bürger eine emotionale Überforderung, die ihn erheblich verstört.

Konfrontation mit der Wirklichkeit
Der Staat der Juden ist die permanente Mahnung der Realität: dass die Welt nicht friedlich ist, dass Frieden mit Waffen erzwungen werden muss, dass Härte eine Überlebensnotwendigkeit ist. Im Grunde ist es ist diese andauernde Konfrontation mit der Wirklichkeit, die der Deutsche Israel nicht verzeiht.

Und so ist es kein Wunder, dass man hierzulande, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz, Israel bei fast jeder sich bietenden Gelegenheit ermahnt und erziehen möchte und sich nachsichtig zeigt bei israelfeindlichen Demonstrationen und antizionistischen Kundgebungen. Denn wo das Ressentiment klammheimlich Beifall klatscht, fällt entschlossenes Handeln schwer.

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Vor Kurzem erschien sein Buch „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“ beim Claudius Verlag München.

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