Zum Jubiläum des einzigen pluralistischen deutsch-jüdischen Internetmagazins  

Dezember 4, 2015 – 22 Kislev 5776
haGalil wird 20

Von Roland Kaufhold

Ein Anfang nach dem Schock

Die Ermordung Jitzak Rabins vor 20 Jahren war für viele Israelis und deutsche Juden ein Schock. Zugleich jedoch war der Schock über diesen Mord die Geburtsstunde des deutsch-jüdischen Internetmagazins haGalil. David Gall und seine Frau Eva Ehrlich, beide durch ihre jüdische Biografie geprägt, gründeten in München das deutsch-jüdische Internetmagazin haGalil.com. Das Internet befand sich seinerzeit noch in den Anfängen.

Interessierte trafen bei der Suche nach jüdischen Themen unvermeidlich auf rechtsradikale Internetseiten. HaGalil verstand sich von Anfang an als Bollwerk gegen dieses gefährliche Gift. Dank seiner außergewöhnlichen thematischen Vielfalt und seines inzwischen mehrere Zehntausend Beiträge umfassenden Archivs zu jüdischen Themen kann haGalil heute als das bedeutendste, professionell gestaltete jüdische Archiv gelten. Die Zahlen sprechen für sich: Gegenwärtig hat haGalil etwa 100.000 Besucher pro Monat bei 240.000 Besuchen und 950.000 Seitenzugriffen, bemerkt die promovierte Historikerin Andrea Livnat. Sie betreibt von Tel Aviv aus die redaktionelle Arbeit am Magazin.

HaGalil lebt von der Selbstausbeutung: Die häufig prominenten Autoren stellen ihre Beiträge kostenlos zur Verfügung. Andrea Livnat: „Alle, die bei haGalil mitarbeiten, tun das von Zuhause aus. Wahrscheinlich haben viele Leser ein ganz anderes Bild von haGalil, manchmal kann man aus den Anfragen verstehen, dass der Leser meint, es gibt hier ein große Redaktion mit vielen festen Mitarbeitern und Büroräumen. Ich arbeite an einem 1,20 Meter breiten Schreibtisch in jeder freien Minute, die ich habe, viel davon abends, wenn meine Kinder schlafen.“

Angriffe gegen haGalil – die Spur führt nach Katar
haGalil war von Anfang an scharfen Angriffen ausgesetzt. Attackiert wurde es nicht nur wegen seines jüdischen Selbstverständnisses, sondern vor allem wegen seiner politischen Pluralität und der politischen Brisanz vieler seiner Beiträge. Auf haGalil wurde kein Blatt vor den Mund genommen. Kultstatus erlangten die Beiträge und Satiren der Schriftstellerin Ramona Ambs, feste Autorin von haGalil. Bernard Schmid verfasst seit Jahren in Paris kenntnisreiche Analysen zum französischen Rechtsradikalismus. Und Karl Pfeifer ist und bleibt als Zeitzeuge eine mahnende Stimme, seit 20 Jahren.

Scharf attackiert wurde haGalil selbstverständlich von rechtsradikalen Kreisen, aber auch von selbsternannten konservativen „Israelpatrioten“. Und haGalil scheute auch keine Auseinandersetzungen, wenn es um offenkundigen Antisemitismus von Rechts wie auch von Links ging, auch wenn diese vor Gericht endeten und an die finanzielle Substanz des Portals gingen.
Es kam auch immer wieder zu Hackerangriffen gegen haGalil. Ende Januar 2006 veröffentlichte das Magazin – wie auch mehrere andere Medien – die Mohammed-Karrikaturen des dänischen Karrikaturisten Kurt Westergaard. Unmittelbar danach wurde das gesamte Archiv von haGalil durch einen gezielten Hackerangriff zerstört. Der „Spiegel“ titelte am 3. Februar 2006: „Mohammed-Karikaturen: France Soir offline, HaGalil gehackt“. Die Spur führte damals nach Katar. In den folgenden Monaten konnten die Betreiber Dank ihres Tel Aviver Archivs alle Beiträge wieder herstellen.

Andrea Livnat formuliert ihr Selbstverständnis nach 20 Jahren so: „Was mir weiterhin am wichtigsten ist, und was auch das große Vermächtnis von David ist: haGalil als pluralistisches Medium zu erhalten. Eine Plattform, die zeigt, dass es mehr als nur eine Meinung bei jüdischen Themen gibt, die alle Strömungen innerhalb des Judentums enthält etc. Deswegen gibt es bei uns Artikel der israelischen Friedensbewegung genauso wie die offiziellen Stellungnahmen aus dem Büro von Netanjahu, Wochenabschnitte von Chabad und Ansprachen aus der liberalen Gemeinde. Dass wir damit offensichtlich ganz gut mittendrin liegen, zeigt die Tatsache, dass wir von allen möglichen Seiten angegiftet werden. Wir werden als faschistoide Zionisten und als Antizionisten beschimpft, als Antisemiten genauso wie als Chabadniks… Alles ist dabei.“

Keinerlei staatliche finanzielle Unterstützung
Anfangs hatte es finanzielle Unterstützung für dieses einmalige Projekt durch das Bundesministerium für Familie und Bildung gegeben. Dennoch: 2004 strich das seinerzeit Familienministerium die Unterstützergelder. Es gab zahlreiche Proteste gegen diese offenkundig politisch motivierte Maßnahme. Auch das politische Fernsehmagazin „Monitor“ brachte 2005 einen gutgemachten Beitrag über diesen Geld-Entzug. Ergebnislos. Seitdem erscheint haGalil ohne staatliche Unterstützung. (…)

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