Warum ich die jüdische Frauen-Perücke trage  

Februar 2, 2017 – 6 Shevat 5777
Ganz normal: Leben mit dem Schajtel

von Miriam Magall

Den meisten, auch Nichtjuden, ist das Bild des frommen Juden mit einer Kopfbedeckung wohlbekannt. Zu Hause und in Israel, auch auf der Straße trägt er eine Kippa, ein rundes Käppchen, auf Jiddisch auch Jarmulke genannt. Anhand des Materials, aus dem diese Kippa hergestellt wurde, kann man ihren Träger zuordnen.

Ist sie aus schwarzem Samt, handelt es sich um einen frommen, traditionellen Juden. Ist sie dagegen gehäkelt, haben wir es mit der sogenannten kippá srugá, auf Deutsch „gehäkelte Kippa“ zu tun. Sie begegnet vor allem in Israel und drückt die politische Zugehörigkeit ihres Trägers aus: national-religiös. Oft leisten Männer, die solch eine Kippa tragen, ihren Militärdienst wie jeder normale Israeli, viele der in Deutschland und Europa eher verpönten „Siedler“ tragen ebenfalls eine kippa sruga. Traditionellere Juden tragen über ihrer Kippa, wenn sie aus dem Haus gehen, noch einen schwarzen Hut, und die ganz Frommen am Schabbath und an jüdischen Feiertagen ihren Schtrejmel, ihren Pelzhut. Nur wenn ein frommer Jude in die Badewanne steigt oder ins Bett geht, legt der Jude seine Kippa ab.

Historisch betrachtet hat sich die Kopfbedeckung für Männer recht spät und eher zögerlich durchgesetzt. In dem im 8. Jahrhundert fertiggestellten Werk „Sofrim“ wird eingehend die Frage diskutiert, ob das Schma Jisrael, das „Höre, Israel!“, das Glaubensbekenntnis eines Juden, mit unbedecktem Haupt gesagt werden darf. Denn allgemein wird für die Kopfbedeckung als Grund angeführt, dass es verboten sei, den G-ttesnamen barhäuptig auszusprechen, ebenso wenig sollte man keine 4 Ellen barhäuptig gehen, aus Ehrfurcht vor G-tt. In Frankreich wird bis zum 13. Jahrhundert die Thora mit unbedecktem Haupt vorgelesen; selbst im 16. Jahrhundert studieren einige namhafte Gelehrte noch ohne Kopfbedeckung. Aber allmählich setzt sich der Brauch durch, den Kopf nicht nur bei Gebet, Studium oder Mahlzeiten – wenn mit den begleitenden Segenssprüchen der G-ttesname ausgesprochen wird – sondern praktisch ständig im Alltag zu bedecken.

„Wie steht es mit den Frauen?“ wird man nun fragen. Eine Kopfbedeckung für Frauen ist bereits seit der Antike üblich. Als Erste, so lesen wir in Genesis 24,66, ist es Rebekka, die Abrahams Knecht aus Haran nach Kanaan folgt, um die Frau seines Sohnes Jitzchak/Isaak zu werden, und sich verhüllt, als sie ihren zukünftigen Mann erblickt, der ihr auf dem Feld entgegenkommt: „Da nahm sie [Rebekka] den Schleier und verhüllte sich.“ Später klingt es mahnend in Jeremia (2,32): „Vergisst denn ... eine Braut ihren Schleier?“ Im Mittelalter setzt sich in Aschkenas, das ist „Deutschland“, der Brauch durch, nach der Hochzeit das Haar abzuschneiden und den Kopf mit einer Haube, Kupka, zu bedecken. Seit dem 19. Jahrhundert wird darüber in Osteuropa das auf Jiddisch so genannte Tichel getragen. An die Stelle dieses Tichels tritt später, wiederum vor allem in Osteuropa, der Schajtel, eben die Perücke. Da eine Perücke meistens jedoch kaum von natürlichem Haar zu unterscheiden ist, ist das Tragen eines solchen „Schajtels“ umstritten.

In Deutschland begegnet man Jüdinnen mit einem Schajtel hauptsächlich in Gestalt einer Rebbetzin, also der Frau eines orthodoxen Rabbiners, sowie den Frauen der, ebenfalls orthodoxen, Chabad-Rabbiner, den Anhängern einer um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Südostpolen entstandenen mystisch-religiösen jüdischen Bewegung, die sich bis heute erhalten hat und vor allem in Israel (im Kfar Chabad) und in den USA weiterbesteht. Seit der Ankunft von Rabbiner Israel Diskin in München im Jahr 1988 gibt es diese Bewegung auch in Deutschland in mittlerweile insgesamt 16 Standorten mit eigenen Synagogen und Gemeindezentren, oft auch mit Kindergärten, Schulen und Jeschiwot (=Talmud-Thora-Schulen), die auch nicht-orthodoxen Juden weit ihre Tore öffnen, nicht zuletzt dank ihrer stets im orthodoxen Sinn korrekt gekleideten Rebbetzin mit langen Röcken und einem Schajtel.

Irgendwann in meinem Leben habe ich beschlossen, es diesen bemerkenswerten Frauen nachzumachen. Seither trage ich außerhalb des Hauses, meistens, einen langen Rock und ebenfalls einen Schajtel. Die meisten, denen ich draußen begegne, werden das nicht einmal bemerken. Ich persönlich befolge diesen Brauch, um außerhalb des Hauses keine 4 Ellen mit unbedecktem Haupt zu gehen. Denn vor G-tt, dem König, geht man nicht bloßen Hauptes.

Praktisch betrachtet hat ein Schajtel den Vorteil, dass man stets eine gepflegte Frisur hat, ohne dass man ständig beim Friseur nachhelfen muss. Und ein Schajtel hat noch einen weiteren Vorteil: Den meisten Menschen, denen ich begegne, fällt es nicht einmal auf, dass ich mein Haar mit einer Perücke bedecke – im Gegensatz zu einer Muslima, die das gleiche mit einem Kopftuch macht, mit der Folge, dass sie damit häufig unliebsam aneckt. Vielleicht wäre auch für sie ein Schajtel empfehlenswert? Man bilde sich seine Meinung.

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